Läuft es einer Mannschaft nicht wunschgemäss, so ist der Sündenbock schnell gefunden und zwar in der Person des Trainers. Wie lächerlich das ist, zeigen etwa die Beispiele von Lucien Favre und Martin Schmidt.
Und so sieht der Prozess der klassischen Trainerentlassung aus. Ein Team spielt unter den (teils überhöhten) Erwartungen. Die Medien beginnen mit der Ursachenforschung, landen schnell einmal beim Trainer. Die sind dann zu emotional, zu wenig emotional, zu jung (unerfahren), zu alt (verbraucht), sie rotieren zu viel oder zu wenig, sie zwängen ihr Team in ein taktisch zu enges Korsett, stellen die falschen Spieler auf und so weiter. In den sozialen Medien ist die Zündschnur bei den enttäuschten Fans ohnehin kurz, da wird dann schon mal unter die Gürtellinie gezielt.
Es folgt die Phase, in der die Klub-Bosse öffentlich Stellung nehmen müssen. Zwar stärken sie dem Trainer zunächst meist den Rücken, doch spätestens wenn sie im Stadion nach einer neuerlichen Enttäuschung die «Trainer-Raus-Rufe» hören, sehen sie sich zum Handeln gezwungen. Sprich, der Trainer wird entlassen. Die Privilegierten bekommen noch eine letzte Chance, ein sogenanntes Schicksalsspiel.
Trainer, die ein Lied davon singen können, sind Lucien Favre und Martin Schmidt, um nur zwei zu nennen. Die beiden Schweizer Bundesliga-Trainer sahen sich noch vor wenigen Wochen massiver Kritik ausgesetzt und wären längst auf Jobsuche, hätten die Medien mit ihrer Hetzjagd Erfolg gehabt. Schliesslich haben die in der vergangenen Saison noch mit Lob überschütteten Coaches ja so ziemlich alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann. Ganz offensichtlich haben sie ihr Handwerk verlernt.
Favre kriegt die Kurve
Doch die beiden Schweizer machten den Kritikern einen dicken Strich durch die Rechnung. Plötzlich stimmten die Resultate wieder. Favre hat mit Dortmund sein Schicksalsspiel auswärts bei Hertha 2:1 gewonnen, es folgte das 5:0 gegen Fortuna Düsseldorf und der 2:1-Sieg gegen Prag in der Champions League, ein weiteres Schicksalspiel, wie es hiess. Dank der Schützenhilfe Barcelonas (Sieg bei Inter) hat dieses Resultat zur Achtelfinal-Qualifikation gereicht. Die Kritik ist abgeflacht, zumal ein 4:0-Sieg gegen Mainz und das verrückte 3:3 im Spitzenkampf gegen Leader Leipzig folgten.
Hat sich der 62-Jährige in dieser kurzen Zeit neu erfunden? Ist Favre ein anderer Trainer geworden? Einige Medien meinen ja. Er zeige mehr Emotionen, war etwa zu lesen. Wer die Karriere des Schweizers schon länger verfolgt, der kann über solche Aussagen nur müde lächeln. Favre ist Favre, ein akribischer Arbeiter, dem kein Detail entgeht. Einer, der seit Jahren Spieler besser macht. Kein grosser Entertainer, keiner der grosse Töne spuckt. Aber wenn’s läuft, wenn seine Spieler seine Vorgaben umsetzen, dann zaubert das Favre ein Lächeln ins Gesicht.
Wilde Achterbahnfahrt mit Martin Schmidt
Dem «Tod» geweiht war auch Martin Schmidt, der vergangene Saison als Retter in der Not gefeiert wurde. Schliesslich hatte er Augsburg mitten im Abstiegskampf übernommen und den Klassenerhalt geschafft. Doch der Start in die neue Saison verlief holprig, nach sieben Spielen hatte Augsburg nur fünf Punkte auf dem Konto und scheiterte im Pokal am Viertligisten Verl.
Und so postete der Augsburger Fanklub «Burning Nuts» vor dem Spiel gegen die Bayern ein «Bullshit-Bingo» mit inhaltslosen Aussagen des Schweizer Trainers. Markus Kamenew, der Vorsitzende des Fanklubs, sagte: «Wir haben auf unserer Facebook-Seite abstimmen lassen, ob wir diesmal einen aufbauenden oder einen kritischen Flyer veröffentlichen sollen.» Das Ergebnis sei eindeutig gewesen: 65 Prozent der 340 Teilnehmer plädierten für einen kritischen Grundton. «Nachdem es gerade so katastrophal läuft, haben viele zu mir gesagt: Jetzt muss etwas Kritisches her.»
Kamenew sind die ewig gleichen Durchhalteparolen aufgefallen. Gegen den Schweizer Trainer habe er persönlich nichts. «Aber wenn ich zum 100. Mal höre, dass man nun Gras fressen muss und so weiter und am Wochenende sehe ich wieder den alten Trott – da reicht es mir einfach.»
Schmidt reagierte mit Klasse – und einer weiteren Durchhalteparole. «Jeder Trainer, egal wo er arbeitet, hat schwierige Phasen, wo er Druck bekommt.» Dass Kritik aufkomme, sei legitim, «aber ich muss mich komplett davon lösen, das würde nur meine Arbeit beeinflussen. Wichtig ist, dass ich in der Spur bleibe und auf meine Arbeit fokussiert bin.» Und: «Jetzt liegt es an uns für positive Schlagzeilen zu sorgen. Da kommt das Spiel gegen Bayern gerade recht.»
Während Fans und Medien wohl mit einer weiteren Niederlage gerechnet haben und sich den Befreiungsschlag («Schmidt raus») herbeigesehnt haben, liefen die Augsburger heiss und holten ein 2:2 gegen die Bayern. Es folgte das 0:0 bei Wolfsburg und die 2:3-Niederlage gegen Schalke. Die Kritik an Schmidt wird wieder lauter, Augsburg liegt auf einem Abstiegsplatz. Gott sei Dank wird die Klubführung nicht aktiv und hält an Schmidt fest.
Denn es folgt, was keiner für möglich gehalten hat. Der Meister der Durchhalteparolen, den man natürlich längst hätte entlassen müssen, reiht mit seinem Team Sieg an Sieg. Von den letzten sieben Spielen hat Augsburg sechs gewonnen und einmal Unentschieden gespielt. Unabhängig davon, ob das letzte Vorrundenspiel gegen Leipzig gewonnen oder verloren geht, Schmidt sitzt sicher im Sattel. Die Fans träumen bereits von Europa, die Abstiegsängste sind verflogen. Schmidt konnte halt schon immer Euphorie entfachen wie kein Zweiter. Ein Top-Trainer eben. Zumindest bis zur nächsten Augsburger Schwächephase.
Geduld und Vertrauen zahlt sich aus
Wie mit Trainern umgegangen wird, wie wenig Respekt ihnen entgegengebracht wird, ist bisweilen eine Schweinerei. Natürlich gibt es Situationen, in denen eine Trennung Sinn machen mag. In sehr vielen Fällen wäre es aber erfolgsversprechender, man würde am Trainer festhalten. Insbesondere dann, wenn sie wie Favre und Schmidt bereits bewiesen haben, dass sie etwas auf dem Kasten haben und die Spieler hinter ihnen stehen.