Wie die «Bild»-Zeitung über Dortmund-Coach Lucien Favre berichtet, ist nicht akzeptabel. Seit Monaten betreibt das Boulevardblatt eine regelrechte Hexenjagd gegen den Schweizer. Ein Kommentar.
Vergangene Saison wurde Lucien Favre noch gefeiert. Er führte Dortmund auf Platz 2, am Ende hatte man nur zwei Punkte weniger auf dem Konto als Meister Bayern München. Alle Erwartungen erfüllt, das sah auch die «Bild»-Zeitung nicht anders. Nicht ohne Grund haben die BVB-Bosse nach der vergangenen Saison den Vertrag mit dem Fussball-Lehrer vorzeitig bis Ende Juni 2021 verlängert.
Doch in der laufenden Spielzeit ist alles anders, zumindest in der medialen Berichterstattung. Favre wird für jede Niederlage an den Pranger gestellt. Plötzlich soll der akribische Arbeiter, dem kein Detail entgeht, den Ansprüchen eines Meisterkandidaten nicht mehr genügen. Anfang Oktober herrschte offenbar «Alarmstimmung beim BVB», er soll nicht mehr die volle Rückendeckung aller Spieler geniessen. Doch gibt es nicht in jedem Team unzufriedene Spieler?
In öffentlich ausgestrahlten Interviews stärkten die Spieler ihrem Trainer allerdings immer den Rücken. Wie dem auch sei, Mitte Oktober handelte das Boulevardblatt José Mourinho bereits als möglichen Favre-Nachfolger, denn die Tage des Schweizers in Dortmund waren gezählt. So vermittelte es die Zeitung ihren Lesern.
Doch die «Bild»-Zeitung irrte. Selbst nach der 1:2-Niederlage zum Abschluss der Vorrunde und dem enttäuschenden vierten Platz in der Tabelle (sieben Punkte Rückstand auf Herbstmeister Leipzig), hielten die BVB-Bosse ihrem Trainer die Treue. Warum auch nicht?
Immerhin ist Dortmund im DFB-Pokal noch immer dabei und auch in der Champions League steht das Team von Favre im Achtelfinal. Und auf Top-Meisterkandidat Bayern München, damals im dritten Rang klassiert, hatte man auch nur drei Punkte Rückstand.
Wo bleibt das Lob für Favre?
Wer glaubte, dass die Boulevardzeitung Favre in der Winterpause erstmal einen Waffenstillstand anbietet, der sah sich getäuscht. Kaum hatte Dortmund Erling Haaland verpflichtet, schrieb «Bild» von «Favres Titel-Druck». Und siehe da, Haaland liefert, wie es niemand für möglich gehalten hätte. Der 19-jährige Norweger erzielte in drei Spielen sieben Treffer. Auch Jadon Sancho, der sich von Favre gedemütigt fühlte und offenbar nur noch weg wollte, spielt überragend. Da muss Favre wirklich hervorragende Arbeit geleistet haben. Dazu gibt es allerdings keine Schlagzeilen.
Fakt ist: Dortmund steht dank dreier Siege in Folge (5:3 in Augsburg, 5:1 gegen Köln und 5:0 gegen Union Berlin) inzwischen auf Platz drei der Tabelle. Der Rückstand auf die Bayern ist gleich geblieben, der Vorsprung von Wintermeister RB Leipzig auf den BVB ist allerdings von sieben auf zwei Punkte geschrumpft und mit Gladbach ist Dortmund gleichgezogen. 15 Tore in drei Spielen, verrückt! Und was titelt die «Bild» nach diesem Traumstart in die Rückrunde? «BVB: Ohne Titel wackelt Favres Job». Gelobt werden nur Einzelspieler: «‹Bild› erklärt Dortmunds Knaller-Jungs».
Flick geniesst Sonderstatus
So ist das halt, es ist das Los eines jeden Trainers. Läuft es nicht, ist der Coach der Schuldige. Läuft es rund, bleibt er im Hintergrund. Ersteres trifft meistens zu, letzteres nicht in allen Fällen. Das zeigt der Blick nach München. Bayern spielt derzeit ebenfalls auf ganz hohem Niveau. Woran das liegt? «Bild» titelt nach dem vergangenen Wochenende: «Flick ist der ALLES-BESSER-MACHER – er lässt Müller müllern und Thiago zaubern.» Der Trainer als Erfolgsgarant.
Klar, auch einige Spieler werden hervorgehoben. Derzeit fährt das Boulevardblatt eine regelrechte Kampagne pro Müller – es wird gefordert, dass Jogi Löw ihn zurück ins Nationalteam beordert. Wie der Wind doch dreht. Nach der Ausbootung Müllers, der Spieler reagierte enttäuscht, war in einem Kommentar noch zu lesen: «Beleidigtes Nachtreten, Herr Müller! Mit seinem Rauswurf-Trip nach München hat Jogi Löw alles richtig gemacht.»
Dass sich unter der Woche Jérôme Boateng und Leon Goretzka an die Gurgel gingen, das findet zwar auf der Seite in grossen Lettern statt, doch es wirft kein schlechtes Licht auf den Trainer. Wäre es in Dortmund zu solch einem Vorfall gekommen, dann hätte das wohl für ganz andere Schlagzeilen gesorgt. Vielleicht etwas in der Art: Prügel-Skandal beim BVB – Favre hat seine Spieler nicht im Griff!
Und aus all diesen Gründen kann man sich nur wünschen, dass Favre Dortmund zum Titelgewinn führt. Am besten holt er auch noch den Pokal und die Champions League. Mal schauen, was die Stänkerer dann in die Tasten hauen. Trainer-Gott Favre lässt den BVB jubeln. Fünf Gründe, warum er der beste Dortmund-Coach aller Zeiten ist. Wir haben es schon immer gewusst …
Nur einige «Bild»-Schlagzeilen der letzten Monate:
3. Februar 2020: Der Himmels-Stürmer-Vergleich: «Bild» erklärt Dortmunds Knaller-Jungs
1. Februar 2020: BVB: Ohne Titel wackelt Favres Job
29. Dezember 2019: Kommentar: Nach Mega-Einkauf – jetzt hat Favre Titel-Druck
21. Dezember 2019: Kommentar zum BVB: Lucien Favre zurück im Wackel-Modus
24. November 2019: BVB-Boss Watzke macht Lucien Favre Druck
23. November 2019: 3:3 nach 0:3 – Rettet das Favre?
22. November 2019: Dortmund-Trainer Lucien Favre hat fast fertig
11. November 2019: Kommentar: BVB-Trainer Lucien Favre wie Niko Kovac (Kovac wurde wenige Tage zuvor entlassen)
23. Oktober 2019: Falls Favre scheitert: Mourinho ist Trainer-Kandidat in Dortmund
2. Oktober 2019: Alarmstimmung beim BVB: Was die Stars an Favre stört
18. Juni 2019: Erwartungen zu 100 Prozent erfüllt: Dortmund verlängert mit Favre
2. Oktober 2018: Meine Meinung – Favre lässt den BVB leben wie Klopp und Tuchel