Bei der europäischen Dominanz von Real Madrid war Gareth Bale ein wichtiger Faktor. Der Waliser hat weitaus bessere Skorerwerte als viele frühere Real-Stars, trotzdem wird er vom Hof gejagt. Droht ein Irrtum wie bei Cristiano Ronaldo?
Alle Vorzeichen deuten darauf hin, dass die Zeit von Gareth Bale in Madrid abgelaufen ist. Der 30-Jährige ist nicht nur bei den Fans unbeliebt, auch sein Trainer Zinédine Zidane will ihn nicht mehr im Kader haben und liess öffentlich verlauten, es wäre das Beste für alle, wenn er einen neuen Verein finden würde.
Warum der Waliser für viele ein Sündenbock ist, ist rational schwierig zu erklären. Eigentlich sollte der Flügelflitzer vielmehr ein Symbol für die grösste Epoche in der stolzen Geschichte der Königlichen stehen. Seit seiner Ankunft vor sechs Jahren überzeugte Bale mit vielen Assists und Toren, oft auch in wichtigen Spielen.
Als Real 2013 Bale von Tottenham unter Vertrag nahm, war der Ruhm der Königlichen in Europa am erblassen – seit 2002 triumphierten sie nicht mehr in der Champions League. Mit Bale holten sie in den folgenden sechs Spielzeiten viermal (!) den Henkelpott. Gemäss «BBC» war Bale etwa an stolzen 30 Prozent aller Europacup-Erfolge des Klubs beteiligt.
Diese unfassbare Siegesbilanz macht ihn zu einem der erfolgreichsten Spieler des grössten Klubwettbewerbs der Welt. Nur sein ehemaliger Teamkollege Cristiano Ronaldo durfte sogar fünf Erfolge in der Königsklasse feiern. Doch nicht nur die Champions-League-Trophäe durfte der 77-fache Internationale schon in die Luft stemmen, auch Meisterschaft, Pokal, Klub-Weltmeister (4), Uefa-Supercup (3) und spanischer Super Cup. Dazu kommt je eine individuelle Auszeichnung als bester Torschütze in der Meisterschaft und an der Klub-WM.
Mit seinem prall gefüllten Trophäenschrank überstrahlt Bale viele Real-Ikonen. Deren Bilanz in der Königsklasse fällt beispielsweise «magerer» aus: Raul hat dreimal triumphiert, sein aktueller Chef Zidane einmal, ebenso wie Luis Figo. Die brasilianische Fussballlegende Ronaldo blieb ein Champions-League-Sieg versagt. Apropos: Ronaldo blieb in der Liga beim weissen Balett einst 215 Tage ohne Torerfolg.
Eine solche Torflaute kannte ein Gareth Bale nie: In 231 Spielen buchte er 102 Tore und gab 65 Vorlagen – eine beeindruckende Bilanz.
Seine Trefferquote (163 Minuten pro Tor) übertrifft etwa diejenige von Vereinslegende Raul (325 Tore in 741 Spielen; 184 Minuten). Noch eindrücklicher sind seine Zahlen im Vergleich zu Zidane – Bale absolvierte vier Spiele mehr für den Verein als der Franzose und erzielte mehr als doppelt so viele Tore als der offensive Mittelfeldspieler (Zidane buchte 49 Tore in 227 Spielen). Auch die Assistzahlen sind überraschend ähnlich – Zidane hat mit 66 Vorlagen nur eine mehr auf dem Konto.
Ein Mann für die grossen Spiele
Ausserdem liess der Mann mit dem Schmetterantritt seine Klasse oft in wichtigen Spielen aufblitzen: Er skorte in zwei verschiedenen Champions-League-Finals: 2014 brachte Bale Real gegen Atlético Madrid mit dem 2:1-Treffer in der Verlängerung auf die Siegerstrasse, 2018 schoss er als Einwechselspieler Liverpool mit zwei Toren ab – darunter sein unvergessener Fallrückzieher. 2014 schoss er sein Team in der Copa del Rey gegen Erzrivale Barcelona mit einem unfassbaren Solo zum Sieg.
Die kolportierten 100 Millionen Euro waren also unter dem Strich sicher gut investiertes Geld. Auch wenn die Verantwortlichen sicher darauf gehofft haben, ihn mehr auf dem Platz zu sehen: Insgesamt 19 Verletzungen erlitt der fragile Offensivspieler. So fehlte er in 73 Spielen, sprich er stand umgerechnet 375 Tage auf der Lazarettsliste. Speziell in jüngerer Zeit mehrten sich die Ausfälle bei ihm.
Immer wieder wurde ihm auch der Vergleich zu Cristiano Ronaldo zum Verhängnis: Zuerst stellte der Portugiese vereinsintern überall Rekordwerte auf, neben denen – mit Ausnahme von Messi – auch jeder andere Fussballer verblasste. Und nach dem Abgang von CR7 zu Juve sollte Bale dessen Lücke füllen, was ihm – auch aufgrund seiner Verletzungsanfälligkeit – nicht gelang. Eigentlich war es aber unter diesen Voraussetzungen wohl vielmehr eine «Mission Impossible».
So wurde Bale für die kritischen Real-Fans (welche auch schon Cristiano Ronaldo auspfiffen) schnell zum Sündenbock abgestempelt. Die spanische Presse half sicher auch dabei, sein Image als «fauler Spieler» zu fördern. Tatsächlich spricht der scheue Familienvater nur sehr gebrochen Spanisch und gilt auch im Team nicht als gut integriert. Diese Kombination war auf lange Dauer wahrscheinlich zu toxisch für einen Klub, der in seinen Star-Spielern auch ein weltweites Vermarktungsinstrument sieht. Und natürlich ist es legitim, wenn ein Klub seine Zukunft nicht auf einen 30-jährigen, verletzungsanfälligen Spieler ausrichten will.
Trotzdem verletzt die öffentlich geführte Diskussion um seine Person den sensiblen Mann wohl mehr, als er zugibt. So meinte Bale zu den Gerüchten, er solle trotz seines laufenden Vertrags bis 2022 abgeschoben werden, trotzig: «Wenn ich gehen soll, schulden sie mir für jedes ausstehende Vertragsjahr mein Gehalt von 17 Millionen Euro, ansonsten bleibe ich. Und wenn ich nicht zum Einsatz komme, spiele ich halt Golf.» Eine solche Aussage trifft die Real-Seele natürlich mitten ins Herz. Aber spricht hier nicht eine gekränkte Seele, die sich einfach nur nach der Anerkennung sehnt, welche ihm augrund seiner Leistungen eigentlich auch tatsächlich zusteht?