Die Schweiz braucht in Baku gegen die Türkei einen Sieg, um realistische Chancen auf die Achtelfinals zu haben. Dazu ist eine Steigerung nötig – zuallererst von Trainer Petkovic.
Auf den ersten Blick hat der Parco de Medici am trostlosen, südlichen Stadtrand von Rom so gar nichts gemeinsam mit der Stadt Salvador an der brasilianischen Atlantikküste. Und doch fällt hier in diesen Tagen rund um das Trainingsgelände der Schweizer Nationalmannschaft auffallend oft dieses Wort. Salvador. Dort im fernen Brasilien und im fernen Jahr 2014 hatte sich die Schweiz an der WM nach zwei Gruppenspielen in einer vergleichbaren Situation befunden wie jetzt an der EM.
Die Erinnerung an Salvador
Salvador 2014 steht für die höchste Schweizer Niederlage der letzten 20 Jahre – 2:5 gegen Frankreich. Es war ein ähnlich pitoyabler Auftritt wie am letzten Mittwoch beim 0:3 gegen Italien. Eine Demaskierung, eine Degradierung – aber noch keine Eliminierung. Nach Salvador folgten Manaus und São Paulo. Nationalcoach Ottmar Hitzfeld bog in Brasilien die Sache zurecht, stellte sich öffentlich vor die Mannschaft und coachte sie zunächst zu einem 3:0 gegen Honduras, dann zu einem heroischen Achtelfinal-Duell gegen Lionel Messi und Argentinien, das die Schweiz erst in der 119. Minute verlor.
Hitzfeld war sehr oft dann am Stärksten, wenn er am meisten in Schwierigkeiten steckte. Diese Qualität ist jetzt im Hinblick auf das letzte Gruppenspiel gegen die Türkei auch von Vladimir Petkovic gefordert. Bis jetzt hat der Nationalcoach an der EM keinen guten Eindruck gemacht. Seine Mannschaft spielt ohne Leidenschaft, sie zerfiel gegen Italien kurz nach dem Anpfiff in ihre Einzelteile. Gegen Italien überzeugte die Aufstellung taktisch nicht, in beiden Spielen bewirkten die Wechsel wenig. Kurz: Will die Schweiz das frühe Ausscheiden verhindern, muss Petkovic jetzt in Form kommen. Vor dem Spiel und während dem Spiel.
Anders als Hitzfeld 2014 hat Petkovic mit der Schweiz einen Weg zu gehen, der über das Turnier hinausgeht. Sein Vertrag mit dem SFV läuft noch bis zur WM 2022. Trotz Gerüchten um ein Interesse von Zenit St. Petersburg darf man bis zum Gegenbeweis davon ausgehen, dass Petkovic die Schweiz an die WM nach Katar begleiten will. Das wird schwierig, wenn er die EM-Bühne mit seinem Team sieglos nach der Vorrunde verlassen muss. Aber Petkovic ist ein Kämpfer. 75 Spiele hat er die SFV-Auswahl nun betreut. Ganz am Anfang hat er gegen England und Slowenien verloren. Danach gab es in Pflichtspielen nie mehr zwei Niederlagen in Folge.
Wende dank mutigen Entscheiden
Petkovic hat Stürme immer wieder überstanden und das Boot, in dem alle gemeinsam sitzen, wie er mit Worten immer wieder das entsprechende Bild zeichnet, stets in den Hafen gesteuert. Das war zu Beginn seiner Amtszeit so, als er nach zwei Niederlagen fünf Qualifikationsspiele in Folge gewann und die EM 2016 souverän erreichte. Das war vor eben jener EM vor fünf Jahren so, als er nach Problemen in den Testspielen einen harten Schnitt wagte und für immer auf den Captain Gökhan Inler verzichtete.
Auch im Nachgang der gerade atmosphärisch misslungenen WM-Endrunde 2018 kam Petkovic nicht vom Kurs ab. Vier Monate nach der WM bejubelte die Schweiz in der Nations League ein 5:2 gegen Belgien und die Qualifikation für das Finalturnier. Zuvor hatte Petkovic den Umbruch eingeleitet und die Abgänge von Stammspielern wie Valon Behrami und Blerim Dzemaili provoziert sowie das Ende der Ära von Captain Stephan Lichtsteiner eingeleitet.
In den letzten sieben Jahren hat Petkovic stets einen Ausweg aus einer scheinbar verworrenen Situation gefunden. Er hat sich mit dem Rücken zur Wand nicht vor mutigen Entscheiden gedrückt. Anders als Hitzfeld vor sieben Jahren in Brasilien kam Petkovic in Rom nach dem Debakel nicht sofort aus der Deckung und stellte sich der Situation öffentlich. Das muss für Sonntag und für das Spiel gegen die Türkei nichts Schlechtes verheissen. Auf sportlicher Ebene hat Petkovic bis jetzt durchaus gutes Krisenmanagement betrieben.
stw, sda