Das küsst mich an Jetzt kommt alles ans Licht – das haben sich Spaniens Weltmeisterinnen verdient

Von Patrick Lämmle

22.8.2023

Alexia Putellas (links) und Jennifer Hermoso feiern den spanischen WM-Triumph.
Alexia Putellas (links) und Jennifer Hermoso feiern den spanischen WM-Triumph.

Spaniens Frauen-Nationalmannschaft gewinnt die Weltmeisterschaft. Leider wird der sportliche Erfolg zu wenig gewürdigt, weil einige Herren im Hintergrund die Schlagzeilen für sich beanspruchen. Ein Kommentar.

Von Patrick Lämmle

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Spaniens Fussball-Chef Luis Rubiales küsst nach dem gewonnen WM-Final eine Spielerin auf den Mund. Erst nennt er seine Kritiker «Idioten», später versucht er sich zu entschuldigen.
  • Von Weltmeistertrainer Jorge Vilda kursiert ein Video, das zeigt, wie er die Brust der Co-Trainerin begrapscht.
  • Den WM-Titel mag man den spanischen Spielerinnen gönnen, er wirkt wie eine Art Schmerzensgeld für all das, was sie unter der aktuellen Führung durchmachen mussten.
  • Verdient hätten sich die Spielerinnen auch, dass Rubiales und Vilda per sofort zurücktreten.

Spanien schlägt England am Sonntag 1:0 und krönt sich im ausverkauften Stadium Australia in Sydney vor 75’784 Zuschauern zum Weltmeister. Nach der WM könnte man so viele Geschichten sportlicher Natur erzählen. Es gab Zuschauerrekorde, Überraschungen, Traumtore und vieles mehr.

Auf Spanien bezogen, hätte man die 19-jährige Salma Paralluelo mehr in den Fokus rücken dürfen. Im Viertelfinal erzielte sie als Joker den Siegtreffer, im Halbfinal das Führungstor und im Final stand sie anstelle von Weltfussballerin Alexia Putellas in der Startelf.

Auch dass Aitana Bonmati zur besten Spielerin des Turniers gewählt wurde, ging unter. Einzig die traurige Geschichte rund um Finaltorschützin Olga Carmona, die nach dem Spiel vom Tod ihres Vaters erfuhr, konnte vom Leserinteresse her mit den Geschichten rund um den Kuss-Eklat mithalten. Am Dienstag hat es sich aber ausgeküsst, ein Griff an die Brust macht’s möglich.

Spaniens Triumph wird Rubiales und Vilda das Genick brechen – hoffentlich

Vor dem Final habe ich gehofft, dass die Engländerinnen den Titel holen, angeführt von der grossartigen Trainerin Sarina Wiegman. Denn dass bei Spanien hinter den Kulissen vieles nicht so läuft, wie es sollte, das war bekannt. Aber wahrscheinlich ist es besser, hat Spanien gewonnen. Denn nun haben gewisse Herren ihr wahres Gesicht gezeigt – und die ganze Welt konnte dabei zuschauen. Und für die Spielerinnen ist der Titelgewinn eine wunderbare Belohnung für all das, was sie durchstehen mussten.

Da ist Spaniens Verbandschef Luis Rubiales, der bei der Siegerzeremonie seine Landsfrauen innig herzt und ihnen Küsse auf die Wangen drückt. Bei Jennifer Hermoso geht er noch einen Schritt weiter und küsst die Spielerin auf den Mund. «Hat mir nicht gefallen», gibt sie kurze Zeit später darauf angesprochen zu Protokoll.

Stunden danach kursiert eine vom Verband versandte Nachricht, in der Hermoso den Trainer in Schutz nimmt. Ob das wohl wirklich ihre Worte waren, die der Verband da verbreitete? Vielleicht hat sie sich tatsächlich in diese Richtung geäussert, weil sie in der Stunde des grössten Triumphs einfach nur feiern wollte und keinen Bock auf dieses Thema hatte. Alles spekulativ.

Dass Rubiales kein Sympathieträger ist, daran gibt es kaum Zweifel. Als nach der EM im letzten Jahr 15 Nationalspielerinnen Spaniens zurücktraten, weil sie gegen den unbeliebten und umstrittenen Trainer Jorge Vilda aufbegehrten und seinen Rücktritt forderten, da hielt Rubiales zum Trainer. Die beiden Herren sollen ein freundschaftliches Verhältnis pflegen, sich auf den Mund küssend hat man die beiden aber noch nie gesehen. Allerdings gab es von Rubiales nach dem Final auch für Vilda einen dicken Schmatzer auf die Wange.

Rubiales küsst Vilda nach dem Triumph bei der Frauen-WM auf die Wange.
Rubiales küsst Vilda nach dem Triumph bei der Frauen-WM auf die Wange.
Bild: Keystone

Nein, Herr Rummenigge, es ist nicht okay …

Unerwünschter Kuss auf den Mund? Skandal. Unerwünschter Griff an die Brust? Skandal. Der 67-jährige Karl-Heinz Rummenigge sieht das zwar anders, zumindest was das Küssen angeht. Er nimmt den spanischen Verbandspräsidenten tatsächlich in Schutz: «Wenn man Weltmeister wird, ist man emotional. Und was er da gemacht hat, ist – sorry, mit Verlaub – absolut okay.»

Halten wir fest: Wenn du auch mal emotional sein solltest, dann darfst du Grenzen verschieben. Coole Geburtstagsfeier? Na klar, dann küss deine Mitarbeitenden einfach mal ungefragt auf den Mund?!? Besser hätte Herr Rummenigge geschwiegen, zumal er eigentlich gleich selbst erklärt, weshalb es eben nicht okay ist, dass Rubiales eine Spielerin auf den Mund geküsst hat. «Ich kann mich erinnern: Als wir letztes Mal die Champions League gewonnen haben, habe ich Männer geküsst – nicht auf den Mund zwar, aber aus Freude.» Man solle deshalb die «Kirche im Dorf» lassen. Ja, und in dieser Kirche könnte man dann ja praktischerweise auch gleich noch eine Beichte ablegen. Und dann einfach weiter machen wie zuvor.

Die schlechteste Entschuldigung aller Zeiten?

Natürlich prasselte nach dem Kuss-Eklat die geballte Ladung Kritik auf Rubiales. Bei Radio Marca reagierte er am Sonntag wie folgt darauf: «Der Kuss mit Jenni? Idioten gibt es überall. Wenn zwei Menschen miteinander eine unwichtige Geste der gegenseitigen Zuneigung teilen, darf man dem Mist, der da gesagt wird, keine Beachtung schenken.»

Als er tags darauf realisierte, dass die «Idioten»-Fraktion grösser ist als die «Wir dürfen uns alles erlauben»-Fraktion, da versucht er sich dann doch zu entschuldigen. Versucht. Denn er scheitert kläglich. Seine Entschuldigung hat nichts mit Einsicht zu tun, er sieht sich viel eher dazu genötigt.

Der 45-Jährige meldet: «Es gibt eine Sache, die ich bedauere, und zwar das, was zwischen mir und einer Spielerin passiert ist, zu der ich eine grossartige Beziehung unterhalte. Da habe ich wahrscheinlich einen Fehler gemacht.» Er habe Hermoso «spontan» und «ohne jede böse Absicht oder bösen Willen» auf den Mund geküsst.

«Hier haben wir es alle als etwas Natürliches, Normales betrachtet, aber draussen scheint es einen Aufruhr gegeben zu haben», erklärte er. Und weiter: «Ich muss mich entschuldigen, da führt kein Weg dran vorbei. Und ich muss daraus lernen und verstehen, dass man als Präsident einer so wichtigen Institution wie der RFEF vorsichtiger sein muss, vor allem bei Zeremonien und dieser Art von Angelegenheiten.»

Zurücktreten, bitte!

Nein, Herr Rubiales. Sie müssen nicht nur als Präsident aufpassen und auch nicht nur dann, wenn die ganze Welt zuschaut. Sie dürfen selbst im dunkelsten Kämmerchen dieser Welt den Anstand nicht verlieren und Grenzen überschreiten. Alles, was sie jetzt noch tun können, um den Schaden einigermassen in Grenzen zu halten, das ist zurückzutreten. Am besten noch heute. Und Trainer Vilda können Sie gleich mitnehmen. Alles andere wäre ein Skandal.

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