Der Schweizer Achtelfinal-Gegner Portugal bestreitet sein viertes grosses Turnier mit Fernando Santos als Trainer. Der 68-Jährige betreut umsichtig ein hochkarätiges Team, das viel Sprengpotenzial hat.
Der Mann, der das schwierige Konstrukt Portugal zusammen hält, hat mit den Vorzeigefiguren der Branche auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Man findet in Fernando Santos wenig von der Extravaganz von Pep Guardiola, selten die Euphorie von Jürgen Klopp oder den erkennbaren unbändigen Siegeswillen eines Diego Simeone oder Thomas Tuchel. Auch die Systemtreue eines Julian Nagelsmann oder Erik ten Hag sucht man bei ihm vergebens.
Mit meistens düster-trauriger Miene steht Santos an der Seitenlinie. Fast kann man im Hintergrund den Fado hören, diesen melancholischen, portugiesischen Musikstil, der so gut zu seiner Erscheinung passt. Wäre es ein Trick, er wäre gut. Leicht kann man den 68-Jährigen unterschätzen. Dann aber sprudelt es plötzlich auch ihm heraus, mit überschäumender Energie dirigiert, korrigiert und kommentiert er. Wenn es sein muss, dann schreckt er auch vor schwierigen Entscheidungen nicht zurück, dann nimmt er zum Wohl der Mannschaft auch mal Cristiano Ronaldo aus dem Spiel wie im letzten Gruppenspiel gegen Südkorea.
Der Erfolg definiert Santos wohl am besten. Ein Blender ist er nicht, weder in taktischer noch in menschlicher Hinsicht. Pragmatismus begleitet den früheren Verteidiger seit seinen ersten Schritten im Traineramt. In Porto sammelte er Ende der Neunzigerjahre die ersten Titel, und in Griechenland führte er erfolgreich das Erbe von Otto Rehhagel fort und kam mit der Nationalmannschaft 2012 in den EM-Viertelfinal und 2014 in den WM-Achtelfinal. Aus Griechenland hat er viel Erfahrungen, die Kenntnis der Sprache und die eine oder Freundschaft mitgenommen, die immer noch hält.
Zweifel und Fragen
Seit Herbst 2014 trainiert Santos die Nationalmannschaft Portugals. Als erster Coach erreichte er über 100 Länderspiele, als erster führte er Portugal mit dem EM-Triumph 2016 zu einem Titel. Seither hält er die Mannschaft an der europäischen Spitze, selbst wenn die letzten beiden grossen Turniere mit Achtelfinal-Outs enttäuschend verliefen. Unumstritten ist Santos ohnehin nicht. In der Heimat wirft man ihm vor, das stark besetzte Team spiele zu wenig spektakulär.
Cristiano Ronaldo, João Felix, Rafael Leão, André Silva, Bernardo Silva oder Bruno Fernandes – wenn es um die Offensive geht, stehen Santos so viele Spieler zur Verfügung, dass Diskussionen unumgänglich sind. Wäre Portugal besser ohne Ronaldo? Welche Formation bringt die Kreativen am besten zur Geltung? Wer soll den Dreimann-Sturm bilden?
Problemfall Ronaldo
Von Aussen betrachtet scheint aber die schwierigste Aufgabe von Santos nicht im taktischen und nicht mal im personellen Bereich zu liegen, sondern im zwischenmenschlichen. Seit die Portugiesen in Al-Samriya, 30 Kilometer von Doha, Quartier bezogen haben, dreht sich vieles um Ronaldo und seine persönlichen Ambitionen, seine Jagd nach dem portugiesischen WM-Torrekord von Eusebio und seine Zukunft im Klub. Ronaldo braucht viel Platz im Team, was längst nicht jedem – ebenfalls berühmten – Mannschaftskollegen gefällt.
Santos ist also auch Vermittler und erste Ansprechperson. Die Nebenschauplätze bringen ihn manchmal sichtlich zur Verzweiflung, etwa wenn ein englischer Journalist wieder über den Disput zwischen Ronaldo und Manchester United sprechen will. Manchmal entzieht er sich der Diskussion mit einem Lachen. Ob das Tor gegen Uruguay Ronaldo oder Bruno Fernandes zugesprochen wird, ist ihm zwischen zwei herzhaften Lachern nur eine Bemerkung wert: «Das ist völlig egal.»
Alles für die Mannschaft, alles für den Sieg ist das Motto von Santos. Er entschärft Situationen neben dem Feld und versucht mit seinem Team, auf dem Rasen immer die Kontrolle zu behalten. Deshalb nahm er auch die Niederlage gegen Südkorea nicht auf die leichte Schulter, auch wenn sie ohne Auswirkungen auf die Vorrunden-Tabelle blieb. «Es ist eine Warnung, eine sehr ernsthafte Warnung», bemerkte er mit dem ihm eigenen Ernst und ergänzte versöhnlich: «Aber vielleicht entspringen aus dieser Niederlage positive Dinge.»
SDA
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