Die Bilder haben sich in unseren Köpfen eingebrannt: Während des EM-Spiels gegen Finnland bricht der Däne Christian Eriksen plötzlich zusammen. Teamkollege Simon Kjaer erkennt den Ernst der Lage sofort und bewahrt einen kühlen Kopf. Dafür erntet er Lob von allen Seiten.
Nach rund zweistündiger Spielunterbrechung wird die Partie fortgesetzt. Später sickert durch, dass dies auf Wunsch Eriksens geschah, der aus dem Spital per Facetime zu seinen Teamkollegen sprach. Es ist eine Nachricht, die dafür sorgt, dass man als «Zeuge» dieser Szene Stunden später einigermassen beruhigt einschlafen kann.
Dass es soweit kommt, liegt auch am Kapitän der Dänen, der in den bangen Minuten regelrecht über sich hinauswächst und später als Lebensretter gefeiert wird. Der Innenverteidiger eilt sofort zu Hilfe und soll verhindert haben, dass sein bewusstloser Freund die Zunge verschluckt. Danach ruft er lautstark das medizinische Personal und beginnt umgehend mit einer Herzmassage.
Als die professionellen Kräfte die lebensrettenden Massnahmen fortführen, veranlasst er gemeinsam mit Thomas Delaney und Torhüter Kasper Schmeichel, dass die Mitspieler einen Sichtschutz um Eriksen bilden.
Als die komplett aufgelöste Freundin von Eriksen, Sabrina Kvist Jensen, unter Tränen an den Spielfeldrand stürmt, ist Kjaer erneut zur Stelle. Er nimmt Jensen, die seit 2012 mit Eriksen zusammen ist und mit dem sie zwei kleine Kinder hat, in den Arm, versucht sie zu beruhigen und spendet Trost.
«Simon war tief betroffen und zweifelte, ob er weitermachen konnte. Er hat es versucht, aber es war nicht möglich.»
Dänemark-Coach Kasper Hjulmand zur Auswechslung seines Captains
Als das Spiel nach 107-minütiger Unterbrechung fortgesetzt wird, führt der 32-Jährige sein Team mit Tränen in den Augen zurück aufs Spielfeld. Das zuvor Erlebte hat offensichtlich und verständlicherweise Spuren hinterlassen. Trainer Kasper Hjulmand sagt nach der 0:1-Niederlage gegen Finnland: «Simon war tief betroffen und zweifelte, ob er weitermachen konnte. Er hat es versucht, aber es war nicht möglich.»
Knapp 20 Minuten nach der Wiederaufnahme des Spiels lässt sich der Kapitän in der 62. Minute auswechseln. Kjaer und Eriksen sind enge Freunde, «obwohl sie in Mailand für zwei rivalisierende Vereine spielen», führt der Trainer aus. Er sei stolz auf seine Mannschaft, die nach dem schockierenden Vorfall alles versucht habe. Die Niederlage verkommt an diesem Abend zur Nebensache: «Alle Gedanken sind bei Christian und seiner Familie. Er ist einer der besten Spieler. Und dann kann ich sagen, dass er ein noch besserer Mensch ist.»
Psychologische Hilfe für dänisches Team
Dass seine Mannschaft schon am Donnerstag gegen den Gruppenfavorit Belgien (18.00 Uhr) gegen das Vorrunden-Aus bei diesem Turnier anspielen muss, ist klar. Fraglich ist, wie schnell sich die Spieler von diesen Bildern erholen werden – es dürfte auch wesentlich davon abhängen, wie es dannzumal um Eriksen steht.
Der dänische Verband kündigt noch am Samstagabend an, dass den Spielern und Eriksens Familie nun professionelle Hilfe in Form von psychologischer Betreuung angeboten werde. «Es ist eine traumatische Erfahrung, der sie ausgesetzt sind», meint Trainer Hjulmand dazu.
«Ich war in meinen Gedanken bei Christian, ich habe viel geweint, ich hatte Angst. Und ich hoffe, er ist wieder gesund.»
Belgiens Matchwinner Romelu Lukaku
Fussball-Mannschaften und Fussball-Spieler weltweit nehmen nach dem Drama grossen Anteil an Eriksens Zustand. Sie schicken Gebete und Genesungswünsche über die sozialen Medien. Auch Romelu Lukaku, der Belgien zu einem 3:0-Sieg über Russland führt, ist in Gedanken bei seinem Vereins-Teamkollegen. Schon auf dem Platz rennt er nach seinem ersten Treffer auf eine Kamera zu und sendet eine Botschaft in Richtung Eriksen.
Nach dem Spiel widmet der Doppeltorschütze seine Auszeichnung zum «Spieler des Spiels» seinem dänischen Freund: «Es war für mich heute schwierig, zu spielen», sagt Lukaku nach dem Spiel. «Ich war in meinen Gedanken bei Christian, ich habe viel geweint, ich hatte Angst. Und ich hoffe, er ist wieder gesund.»