Marco Streller wird Fussball-Experte bei Teleclub. Der 38-Jährige spricht mit «Bluewin» über die neue Herausforderung und seinen unrühmlichen Abgang beim FCB. Und er verrät, warum er nicht mehr ins Joggeli geht.
Marco Streller, Sie werden ab Juli das Teleclub-Expertenteam verstärken. Wie ist es zu dazu gekommen?
Ich wurde ja im Herbst zum ersten Mal in die Expertenrunde des Champions-League-Studios von Teleclub eingeladen und habe mich da sehr wohlgefühlt. Ich bin auf Menschen getroffen, die persönlich wie auch fachlich sehr gut waren. Es war eine tolle Atmosphäre und ich finde es auch ein super Format, sehr professionell.
Im Dezember sind Sie dann noch einmal nach Volketswil gekommen.
Dann ist Claudia Lässer (Anm. d. Red.: Leiterin Teleclub Sport) auf mich zugekommen und hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, das Expertenteam zu verstärken. Da musste ich nicht lange überlegen. Wir sind uns dann auch sehr schnell einig geworden.
Sie waren ja bereits nach ihrem Karriereende beim SRF als Fussball-Experte tätig. Macht diese Arbeit mehr Spass, als Sportchef zu sein?
Beides macht Spass, aber es ist natürlich komplett anders. Als Experte bist du plötzlich auf der anderen Seite, wirst nicht bewertet, sondern bewertest andere. Damals beim SRF war das direkt nach meinem Karriereende, da hatte ich noch diesen Stallgeruch des Spielers. Jetzt ist die Management-Komponente noch dazugekommen. Die Zeit ist reif, um auf die andere Seite zu springen und meine Erfahrungen als Spieler und Sportchef einzubringen.
Im letzten Juni haben Sie Ihr Amt als Sportchef beim FCB niedergelegt. Können Sie sich vorstellen, irgendwann wieder in dieses Geschäft zurückzukehren? Ein Angebot von Köln haben Sie ja bereits abgelehnt.
Eine Rückkehr in dieses Business kann und will ich nicht ausschliessen, dafür habe ich im Fussball zu viel erlebt. Ich denke aktuell aber nicht daran, sondern will nach vorne schauen. Ich habe als Sportchef positive wie auch negative Erfahrungen gemacht, die mich in meinem beruflichen Leben weiterbringen werden.
Acht Monate sind seit dem Rücktritt beim FCB vergangen. Wie ist für Sie das Leben ohne den Profifussball?
Es ist speziell, aber der Fussball lässt dich ja nie ganz los. Ich bleibe Fussballfan und bin auch nach wie vor sehr mit dem FC Basel verbunden. Ich bin mit dem Klub aufgewachsen und habe da eine grosse Geschichte.
Wie blicken Sie mit diesem Abstand auf Ihre beiden Jahre als Sportchef zurück?
Wir hatten zu Beginn einen riesigen Umbruch, das haben wir auch unterschätzt. Dann wurden richtige, aber eben auch falsche Entscheidungen getroffen, wie das überall gemacht wird. Es war eine sehr lehrreiche und intensive Zeit, die nicht einfach war. Aber so ist der Fussball: schnelllebig und mit vielen Emotionen verbunden.
Emotional war auch Ihr Abgang. Sie haben Ihren Spielern in einer SMS mitgeteilt, dass «zwei, drei Sachen passiert sind, die ich nicht akzeptieren kann». Der «Blick» hat diese SMS veröffentlicht.
Es ist traurig, dass solche internen Sachen an die Medien gelangen. Das hat mich sehr enttäuscht.
Wie ist heute das Verhältnis zum FCB? Besteht überhaupt noch Kontakt?
Ich ging 15 Jahre lang ein und aus in diesem Stadion. Klar habe ich noch Kontakte. Der FC Basel ist natürlich auch immer noch mein Verein, ich bin nicht mit negativen Gefühlen gegangen und habe weiterhin ein gutes und professionelles Verhältnis mit den Menschen beim FCB. Ich wünsche ihnen von Herzen viel Erfolg. Ich spüre auch, dass ich nicht einer bin, der nicht mehr willkommen ist im Joggeli.
Gehen Sie denn noch oft in den St. Jakob Park?
Nein, ich bin nie im Joggeli. Es war halt eine spezielle Situation und ich habe Abstand gebraucht. Wenn ich ins Stadion gehen würde, würde ich vielleicht wieder die Aufmerksamkeit kriegen, die ich gar nicht will. Ich schaue mir die FCB-Spiele zu Hause vor dem TV an und bin da mit Emotionen dabei. Ich wollte einfach ein paar Schritte zurückgehen, mich wieder sammeln. Wenn man am Boden liegt, muss man sich manchmal schütteln und dann wieder aufstehen. Genau an diesem Punkt bin ich jetzt. Irgendwann werde ich aber bestimmt wieder im Joggeli zu sehen sein – als Fan (lacht).
Im September haben Sie auch Ihren Rücktritt als Verwaltungsrat beim FCB gegeben.
Es braucht Zeit, um die Dinge, die passiert sind, einzuordnen. Ich bin momentan in einer Findungsphase und will auch Zeit in mich investieren. Das Engagement als Experte bei Teleclub ist nun der ideale Schritt, so gerate ich auch nicht ganz in Vergessenheit.
Sie werden für Teleclub Expertisen zur Champions League und Super League abgeben. Wer wird Schweizer Meister?
Wenn man sich die letzten Spiele anschaut, erkennt man bei keinem der drei Top-Teams Konstanz. Ich glaube, dass es für alle drei Mannschaften möglich ist, Meister zu werden.
Sie trauen also auch St. Gallen den grossen Coup zu.
Definitiv. Ich habe viele ihrer Spiele gesehen und stelle fest, dass da eine Idee vorhanden ist. Sie spielen unbekümmert, haben ein ruhiges Umfeld und eine sehr gute Klubführung. Wenn es hart auf hart kommt, fehlt dem Team aber vielleicht ein wenig die Erfahrung. Und jetzt müssen die St. Galler den Ausfall von Boris Babic, der sich leider das Kreuzband gerissen hat, verkraften. Aber wie gesagt: Ich traue ihnen den Meistertitel zu, im Fussball ist alles möglich.
Alles ist möglich – das haben Sie bestimmt auch vor sieben Jahren gedacht, als Sie mit Basel sensationell den Halbfinal der Europa League erreicht haben. Was trauen Sie dem FCB in dieser Saison zu?
Es kommt darauf an, wie die Prioritäten gesetzt werden. Aber es muss schon brutal viel aufgehen, damit der FCB erneut so weit kommen kann. Denn ich denke, dass die Europa League in den letzten Jahren noch besser geworden ist.
Allerdings haben die Bebbi in dieser Saison im Europacup ein anderes Gesicht gezeigt als im Liga-Alltag.
Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Team international für Furore sorgt, während es in der Liga mehr Probleme hat. Beim Auswärtsspiel gegen APOEL hat Basel eine reife und saubere Leistung gezeigt, da wird im Rückspiel kaum noch was anbrennen. Auf einmal bist du dann im Achtelfinal, dann geht es Schlag auf Schlag und plötzlich stehst du im Halbfinal. Einfach wird es aber mit Sicherheit nicht.
Wer ist Ihr Favorit in der Champions League?
Ich sage immer: Wer im Spätherbst am besten im Form war, hat am Ende die Champions League nicht gewonnen.
Liverpool wird also nicht schon wieder triumphieren?
Natürlich gehört Liverpool zu den Top-Favoriten. Aber jetzt müssen sie auch zunächst mal gegen Atlético gewinnen. Das wird ein sehr mühsames Rückspiel, weil die Madrilenen mit all ihren Kräften dagegenhalten werden.
Wer wird sich am Ende durchsetzen?
In der letzten Saison war Juventus für mich im Herbst die beste Mannschaft. Jetzt dominieren sie in der Liga zwar nicht mehr so wie in den Jahren zuvor, aber vielleicht werden sie nun genau deshalb in den entscheidenden Monaten bereit sind. Aber auch Manchester City habe ich auf dem Zettel.
Weil es für City danach womöglich zwei Jahre keine Königsklasse mehr geben wird?
Zum einen wegen dieser Europacup-Sperre, ja – für Pep Guardiola ist es vielleicht die letzte Chance, mit City den Titel zu holen. Zum anderen ist die Meisterschaft in England bereits gelaufen. Aber auch Bayern hat mich in den letzten Wochen sehr beeindruckt, individuell ist auch PSG sehr stark. Wenn ich mich festlegen muss, sage ich: Juve gewinnt die Champions League.
Wenige Tage nach dem Champions-League-Final steht bereits die EM an. Unsere Nati-Stürmer Seferovic, Drmic, Ajeti und Gavranovic kommen in ihren Vereinen aktuell kaum zum Zug. Müssen wir uns Sorgen machen?
Als Stürmer ist es natürlich immer besser, wenn man spielt. Das weiss ich aus eigener Erfahrung. Trotzdem hat in Vergangenheit der eine oder andere Spieler in der Nati sein Selbstvertrauen wiedergefunden, während er im Klub nicht so glücklich war. Wir haben auch in der Super League gute Angreifer. Cedric Itten etwa, der Shootingstar dieser Saison. Oder auch Kemal Ademi. Es ist noch zu früh, um sich Sorgen zu machen (lacht).
Was würden Sie Nati-Coach Petkovic raten: Lieber einen formstarken Super-League-Stürmer à la Itten einsetzen oder einen erfahrenen Bankdrücker?
Ich kenne die Ideen von Vladimir Petkovic nicht. Aber ich vertraue ihm sehr und finde, er macht einen sehr guten Job als Nati-Trainer. Natürlich stelle ich mir solche Fragen als Fan auch. Ich denke, da sollten wir dem Bauchgefühl und der Erfahrung von Petkovic vertrauen. Er wird schon wissen, was er macht.
Seferovic wurde letzte Saison Torschützenkönig in Portugal, in dieser Saison ist er meistens nur noch Joker. Würden Sie ihm raten, den Verein zu wechseln?
Heutzutage wird beim kleinsten Widerstand gleich der Verein gewechselt. Haris hat bei Benfica schon einmal eine schwierige Phase durchgemacht und wurde später Torschützenkönig. Jeder Stürmer kennt diese Phasen. Aber das wird wieder gut kommen. Wo das sein wird, werden wir sehen.
Dass er sich durchbeissen kann, hat Seferovic schon mehrmals bewiesen. Mittlerweile ist er in der Schweiz wieder besser akzeptiert, nachdem er 2017 von Fans der Nati ausgepfiffen wurde. Dasselbe mussten Sie vor zehn Jahren auch erleben. Sie hatten damals zwar gesagt, dass Sie es gut wegstecken könnten, sind wenig später aber doch aus der Nati zurückgetreten.
Wenn jemand sagt, dass er sowas locker wegsteckt, dann lügt er. Das ist Blödsinn, das kann gar nicht sein. Man hat auch bei Haris gesehen, dass ihm das sehr nahe geht. Pfiffe gegen eigene Spieler finde ich inakzeptabel. Aber mit meiner Erfahrung kann ich sagen: Wenn du am Boden liegst, wird es irgendwann auch wieder aufwärtsgehen, wenn du kämpfst.
Haben Sie den Nati-Rücktritt also im Nachhinein bereut?
Mit all der Erfahrung würde man das eine oder andere im Nachhinein vielleicht anders machen. Für mich hat der Weg, wie sich dann alles entwickelt hat, aber gestimmt. Es gibt halt immer Spieler, die polarisieren. Ob man will oder nicht. Manchmal bist du der Held und manchmal der Depp. Die Leute denken nur schwarz oder weiss, das ist ein Stück weit auch ein gesellschaftliches Problem bei uns.
Was machen Pfiffe oder allgemein Kritik mit einem Spieler oder Sportchef? Hinterfragt man auf einmal selbst, ob es das Richtige ist, was man gerade macht?
Natürlich geht das nicht spurlos an einem vorbei. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder du zerbrichst daran oder du wirst stärker. Aber ich glaube, es ist wichtig, solche Phasen zu erleben, um besser zu werden. Kritiker wirst du immer haben, egal was du machst. Wenn auf einmal die Mehrheit mit dir unzufrieden ist, fragst du dich, ob du etwas falsch machst. Aber Kritik kann auch wertvoll sein.
Inwiefern?
Wenn sie sachlich ist, kann sie dir helfen, Dinge zu verbessern. Es gibt aber auch Kritiken von frustrierten Menschen, die unter der Gürtellinie sind. Die darfst du nicht zu ernst nehmen. Ich weiss auch nicht, was solche Menschen antreibt, andere zu beschimpfen und zu beleidigen. Nichtsdestotrotz gehören Emotionen zum Fussball dazu und man muss damit umgehen können, wenn man mal etwas Negatives über sich hört oder liest – auch wenn das natürlich nicht einfach ist.
Ab Sommer werden Sie als Fussball-Experte womöglich selber den einen oder anderen Spieler, Trainer oder Sportchef kritisieren müssen. Mit welchem Gefühl gehen Sie diese Aufgabe an?
Ich bin keiner, der den Doppelhänder rausholt. Aber ich bin mir bewusst, dass ich als Experte auch die Aufgabe habe, mal etwas zu kritisieren. Ich werde immer sachlich bleiben. Als ehemaliger Spieler und Sportchef kann ich mich in gewisse Situationen oder Personen auch hineinversetzen. Um dem Zuschauer auch erklären zu können, warum in dieser Situation jetzt so gehandelt oder entschieden wurde. Ich bin noch nicht lange weg vom Geschehen und besitze den Stallgeruch immer noch.