Der Schweizer Fussballverband verlängert den Vertrag mit Nati-Trainer Murat Yakin. Nach der erfolgreichen EM-Kampagne ist die Fortsetzung der Zusammenarbeit ein weiterer Triumph für Yakin – der vor wenigen Monaten noch vor der Entlassung stand.
Im August 2021 wird Murat Yakin als Nachfolger von Vladimir Petkovic präsentiert. Der Basler, dessen letzte Trainer-Station der FC Schaffhausen in der Challenge League war, sollte einerseits die sportliche Erfolgsserie mit der Nationalmannschaft fortführen. Andererseits wünschte sich die Mehrheit der hiesigen Fussball-Landschaft – vor allem die Medien sowie der Schweizerische Fussballverband selbst – einen Nati-Trainer, der zugänglicher und nahbarer ist, als es Petkovic in seiner Amtszeit war.
Mit Yakin kommt in der Tat gleich die gewünschte Lockerheit in die Auswahl. Mit der Charmeoffensive erreicht er offenbar nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Spieler. Der frühere Internationale (49 Länderspiele) begeistert mit seiner inneren Ruhe und Gelassenheit. So setzt man sich in der Qualifikation unter anderem gegen Europameister Italien durch und kann sich direkt für die WM 2022 qualifizieren.
In der Nations League zeigt die Nati dann Charakter. Nach Horror-Auftakt mit drei Pleiten gegen Tschechien, Portugal und Spanien schlägt die Yakin-Truppe zurück und gewinnt die nächsten drei Partien gegen die gleichen Gegner allesamt – der nicht mehr für möglich gehaltene Ligaerhalt in der Gruppe A ist geschafft, Yakin untermauert seinen Ruf als gewiefter Taktiker.
Nach vielversprechendem Start der Absturz
In Katar erfolgt der grosse Dämpfer. Gegen Portugal gehen Xhaka & Co. im Achtelfinal sang- und klanglos mit 1:6 unter. Yakins Entscheidung, das System umzustellen sowie keine Ersatzleute für die Aussenverteidigerpositionen mitzunehmen, fällt ihm prompt auf die Füsse. Auch treten nach dem missglückten zwanzigsten Spiel als Nati-Coach erstmal Risse zwischen ihm und dem Team auf. Xherdan Shaqiri bemängelt stellvertretend die taktische Ausrichtung: «Der Trainer gibt uns immer einen Plan mit und der ist in diesem Fall nicht aufgegangen.»
Die nachfolgende Lustlosigkeit von Yakin, die Pleite zu analysieren, gepaart mit seiner nonchalanten Art, die nun vermehrt unpassend wirkt, helfen auch nicht weiter. Zwar gelingt der Nati der Auftakt in die EM-Qualifikation mit drei Siegen optimal, dann gerät der Motor aber plötzlich ins Stocken.
In den restlichen sieben Quali-Spielen holt man sich nur noch einen Sieg (gegen Andorra), während man sich gegen Gegner wie Rumänien, Kosovo, Belarus oder Israel Punkte abknöpfen lassen muss. Vor allem die Art und Weise, wie die Nati sich gegen die vermeintlich schwächeren Teams präsentiert, sorgt für Kopfschmerzen.
In neun von zehn Qualifikationsspielen ging die Schweiz mit 1:0 in Führung, zeigte sich mindestens bis zur Pause spielbestimmend und hielt sich bis zur 60. Minute jeweils schadlos. Die zwölf Gegentreffer – so viele hat das Team in einer Qualifikation seit der (missglückten) Kampagne für die EM 2012 nicht mehr erhalten – fielen mit einer Ausnahme (50.) allesamt in der Schlusshalbstunde. Gestandene Leistungsträger wie Champions-League-Sieger Manuel Akanji verloren wie aus heiterem Himmel die Souveränität. Nervosität und Zittern bestimmte das Schweizer Spiel.
Yakin steht kurz vor der Entlassung
Yakin wirkte in dieser Phase fast machtlos und bezeichnete die Auftritte seiner Spieler als «unerklärlich». Einen Plan, wie diese Anomalie aus den Köpfen verschwindet, hat er aber nicht zu bieten. Die Art und Weise, wie Yakin sowohl mit den Medien als auch mit den Spielern kommunizierte, wirkte nicht mehr erfrischend, sondern widersprüchlich.
Granit Xhaka prangerte gar die Trainingsintensität an und zeigte sich unzufrieden mit seiner Rolle auf dem Spielfeld. Yakin war aber schlau genug, sich nicht auf einen Machtkampf mit seinem Captain einzulassen. Das Duell gegen den wichtigsten Spieler im Kader hätte der frühere Thun-, Luzern-, Sion- und Basel-Trainer nicht überlebt. Zu allem Übel starb im November noch seine Mutter.
«Wir dürfen die negative Entwicklung der Mannschaft nicht unterschätzen»
Nati-Direktor
Die Dauerkritik schien ihm sichtlich zuzusetzen, zumal auch Nati-Direktor Pierluigi Tami ihn nach der bescheidenen EM-Quali – die Schweiz sicherte sich als punktschlechteste der direkt qualifizierten Mannschaften einen Platz an der Endrunde – öffentlich anzählte. Auch die Mehrheit der Medien forderte seine Absetzung.
Yakins Poker geht auf
Eine eingehende Analyse von Yakin für die entstandene Krise besänftigte die SFV-Bosse vorerst – sie beliessen ihn im Amt, obwohl die Presselandschaft weiterhin wenig schmeichelhafte Kommentare übrig hatte. Eine Vertragsverlängerung gab es aber für Yakin auch nicht – ein richtiger Vertrauensbeweis sieht anders aus.
In der schwierigen Gemengelage blieb sich Yakin treu, liess den Sturm an sich vorüberziehen und fand wieder zu sich. Mit Giorgio Contini bekommt er einen Assistenten, der zu ihm passt – und dem Yakin vertraut. Als sich die Chefetage des Schweizerischen Fussballverbandes im Frühling mit ihm nun doch den Vertrag über die EM hinaus verlängern will – aber im Negativ-Fall mutmasslich auch schnell und billig loswerden kann –, pokert der 49-Jährige und verschiebt die Gespräche auf die Zeit nach der Endrunde.
Der Glaube an ein erfolgreiches Abschneiden seiner Spieler zahlt sich aus. Nach einer tollen EM-Kampagne ist Yakin nicht mehr in der Defensive, sondern kann aus einer Position der Stärke agieren. Die Vertragsverlängerung dürfte ihm eine nette Gehaltsverbesserung eingetragen haben. Noch mehr Freude hat Yakin aber sicher an der positiven Grundstimmung, welche die Schweiz dank den sensationellen Nati-Auftritten erfasst hat. Nichtsdestotrotz weiss er aus eigener Erfahrung selbst nur zu gut, wie schnell der Wind drehen kann. Yakin soll nun die Gegenwart geniessen – es sei ihm gegönnt.