Jesse Zgraggen und Kristian Pospisil Der HC Davos ist mit zwei unerwarteten Playoff-Helden zurück im Geschäft

Von Marcel Allemann

5.4.2022

Grosser Jubel beim HC Davos nach Kristian Pospisils Treffer in der Verlängerung – am Montag schlug der Slowake erneut zu.
Grosser Jubel beim HC Davos nach Kristian Pospisils Treffer in der Verlängerung – am Montag schlug der Slowake erneut zu.
Bild: Keystone

In den Playoffs werden oft neue Helden geboren. Aktuell sieht man dies beim HC Davos, der einen 0:3-Rückstand in der Serie gegen Rappi in ein 3:3 verwandelt hat – und nun das Werk in der «Belle» noch vollenden muss.

Von Marcel Allemann

Es hätte vor dem Playoff-Start über ein Dutzend realistische Varianten  gegeben, mögliche Davoser Helden zu benennen. Aber um auf die Namen von Jesse Zgraggen und Kristian Pospisil zu kommen, dafür hätte es zu diesem Zeitpunkt ziemlich viel Fantasie gebraucht. Doch der plötzlich mutig gewordene defensive Defensivverteidiger und der Ausländer-Notnagel sind im Rahmen der Wende gegen die Rapperswil-Jona Lakers völlig überraschend zu den Davoser Schlüsselfiguren geworden. 

Viertelfinals: Der Stand in den Serien (Best-of 7)

  • EV ZUG vs. HC Lugano 4:0 (2:1, 6:2, 6:3, 5:3)
  • HC FRIBOURG-GOTTÉRON vs. Lausanne HC 4:1 (2:0, 4:5, 3:2, 4:1, 5:4)
  • SC Rapperswil Jona-Lakers vs. HC Davos 3:3 (4:3, 4:1, 4:0, 0:2, 2:3, 3:7)
  • ZSC LIONS vs. EHC Biel 4:3 (4:5, 3:4, 1:0, 1:0, 1:3, 3:1, 3:1)

Zgraggen ist Schweiz-Kanadier, mehrheitlich in der Region Alberta aufgewachsen. Aber im Kanton Uri hat er seine Wurzeln. Die Eltern sind Urner, die nach Kanada auswanderten. Nach Jesses Geburt und dem frühen Unfalltod des Vaters ist die Familie für einige Jahre zurück in die Schweiz zurückgekehrt. Als Jesse fünfjährig war, ging Mutter Rita mit ihm und seinem Bruder Michael aber wieder nach Kanada.

Toreschiessen war für Zgraggen ein Fremdwort

Zgraggen tingelte ohne realistische Aussichten auf die grosse NHL durch die kanadische Juniorenliga WHL, erhielt dann aber mit 21 bei Ambri die Möglichkeit, in der National League Fuss zu fassen. Um seine Finanzierung ausser Budget sicherzustellen, gründete Ambris Donatoren-Vereinigung eigens die Gruppe «Jesse» und sammelte Geld. Vor allem im Kanton Uri war der Zuspruch gross.

In der National League entwickelte sich Zgraggen zum bissigen Defensivverteidiger und dies blieb auch so, als er nach vier Jahren bei Ambri nach Zug und später nach Davos weiterzog. Der mit einem leichten englischen Slang perfekt Schweizerdeutsch sprechende Mann mit der blonden Mähne stand im Ruf eines dankbaren Mitläufers. Bis zu diesen Playoffs.

Jesse Zgraggen ist vom defensiven Defensivverteidiger zum wichtigen Torschützen mutiert.
Jesse Zgraggen ist vom defensiven Defensivverteidiger zum wichtigen Torschützen mutiert.
Bild: Keystone

Mit seinem kernigen Distanzschuss zum 2:0 stellte der 28-Jährige am vergangenen Donnerstag die Saisonverlängerung für Davos und den ersten Sieg in der Viertelfinal-Serie gegen die Lakers sicher. Und am Montag traf Zgraggen dann mit einem weiteren Hammer zum 2:1 und lieferte den Assist zum 3:2.

Um das Ganze richtig einzuschätzen: Wir sprechen da über einen Mann, der in den letzten vier Saisons in der National League gerade mal ein Törchen (!) erzielt hat. Der defensive Defensivverteidiger ist mitten in der Viertelfinal-Serie zur Kreativfigur mutiert und zu einem wichtigen HCD-Mittel für Tore gegen die Lakers geworden. Der SC Bern, wo Zgraggen ab der kommenden Saison unter Vertrag stehen wird, darf sich schon jetzt freuen.

Pospisil wird vom Platzhalter zum Retter

Pospisil hat grundsätzlich etwas mehr Erfahrung mit dem Toreschiessen. Doch beim HCD hatte der slowakische Nationalspieler trotzdem nur die Rolle eines Notnagels. Geholt wurde der Stürmer anfangs Dezember vom finnischen Verein Lukko Rauma – als Platzhalter für den damals verletzten Mathias Bromé. Und kaum war der Schwede wieder fit, da war der Fixplatz von Pospisil dann wieder auf der Tribüne. Nach gerade mal acht Spielen und einem Tor.

Bis am vergangenen Samstag. Als er wegen der Sperre gegen Magnus Nygren plötzlich gebraucht wurde. Und sogleich reüssierte. Mit seinem Treffer in der Verlängerung zum 3:2 schoss der zu einem Grossteil in Hockey-Academy von RB Salzburg in Österreich ausgebildete Pospisil das wichtigste Tor der Davoser in dieser Saison. Und am Montag, beim 7:3-Sieg, traf auch er erneut – wieder zum sehr wichtigen 3:2.

Über das nötige Selbstvertrauen scheint Pospisil trotz der fehlenden Spielpraxis verfügt zu haben. Dies dürfte mit den Olympischen Spielen in Peking zusammenhängen, als der linke Flügel mit der Slowakei völlig überraschend die Bronzemedaille gewinnen konnte.

Der perfekte Lückenbüsser: Wegen Kristian Pospisil darf der HC Davos wieder von den Halbfinals träumen.
Der perfekte Lückenbüsser: Wegen Kristian Pospisil darf der HC Davos wieder von den Halbfinals träumen.
Bild: Keystone

Pospisil trumpft derart auf, dass Davos-Trainer Christian Wohlwend plötzlich ein Problem hätte, wenn Davos es tatsächlich in die Halbfinals gegen Zug schaffen sollte. Denn ab diesem Zeitpunkt wäre HCD-Verteidigungsminister Nygren wieder spielberechtigt. Müsste Pospisil, obwohl er das Ganze überhaupt erst ermöglicht hätte, dann tatsächlich wieder zurück auf die Tribüne? 

Ganz so weit sind wir natürlich noch nicht. Zuerst muss der HC Davos am Mittwoch den vierten Sieg in Folge feiern und die «Belle» gegen die Lakers zu seinen Gunsten entscheiden. Aber das Momentum hat definitiv die Seite gewechselt und der nun mit breiter Brust auftretende Favorit für die Halbfinal-Qualifikation ist der Rekordmeister. Mit Jesse Zgraggen und Kristian Pospisil. Den unerwarteten Playoff-Helden.