Gerardo Seoane hat YB zu drei Meistertiteln in Folge geführt, im Sommer folgte der Wechsel in die Bundesliga. Und siehe da, nach 27 Runden ist der 43-Jährige mit Leverkusen auf Champions-League-Kurs. Ein Gespräch über die Eigenheiten des Trainerbusiness.
Eine alte Fussballweisheit besagt, dass es nicht junge und alte Spieler, sondern nur gute und schlechte gibt. Gilt das auch für Trainer? «Es geht in die gleiche Richtung», meint Seoane. «Aber ein wichtiger Faktor bei der Qualität der Trainer ist natürlich schon auch die Erfahrung. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch in der Kabine und im Trainerstaff. Der Trainerstaff ist so vielfältig geworden, dass man unmöglich schon von Anfang an alle Facetten beherrschen kann.» Das sagt einer, der in seiner noch jungen Trainerkarriere von Erfolg zu Erfolg eilt.
Wie viel Nähe zu den Spielern darf und soll man als Trainer zulassen, bei welchen Entscheidungen bezieht man die Spieler mit ein, wie hat sich das Trainerbusiness insgesamt verändert und was hat sich für ihn mit dem Wechsel in die Bundesliga verändert? Diese und weitere Fragen beantwortet Seoane im Gespräch mit blue Sport.
Gerardo Seoane über …
… die vielfältigen Aufgaben eines Trainers
«Als Cheftrainer musst du eine ganze Mannschaft begeistern, den ganzen Staff mitnehmen. Wenn es möglich ist, auch die Kultur des Klubs beeinflussen. Und das Wichtigste natürlich: Du musst auch die Fans mitnehmen.»
… den Begriff Laptop-Trainer
«Ich glaube, dieser Ausdruck hat der Trainergilde gar nicht gutgetan. Weil man hat dann das Gefühl, dass die Laptop-Trainer anders sind als die anderen. Trainer haben schon früher immer versucht, auf dem neuesten Stand zu sein. Das ist eine wichtige Aufgabe vom Trainer, dass man versucht, die möglichen Ressourcen auch einzusetzen. […] Und trotzdem gibt es immer noch einen ganz wichtigen Faktor als Trainer, das ist dein eigenes Bauchgefühl, deine Intuition. Daten sprechen immer im Nachhinein, die können dir im Nachhinein immer alles analysieren. Aber du als Trainer musst die Entscheidungen ja immer vorher treffen und darum musst du auch ein Gefühl für Intuition und ein Vertrauen in deine Entscheidungen haben.»
«Wir versuchen, die Spieler wirklich nur ganz kurz zu beanspruchen, ihre maximale Konzentration ist so fünf bis zehn Minuten.»
… die Persönlichkeitsentwicklung von jungen Spielern
«Ich glaube, da kann der Trainer extrem viel Einfluss nehmen. Das ist auch etwas, das am meisten Spass macht am Trainerjob, dass man Spieler über eine Zeit lang begleiten kann. Natürlich versucht man, eine ganze Mannschaft zu begleiten, aber auch den Spieler individuell zu unterstützen, und versuchen, dass sie das Maximum herausholen. Ich glaube auch, die Persönlichkeitsentwicklung ist ein wichtiges Thema bei uns Trainern, dass man sich selber immer reflektieren muss. Was ich vor zwei Jahren gemacht habe, ist in zwei Jahren wohl nicht mehr angebracht. Ich glaube, da braucht es auch ein offenes Mindset von uns Trainern, dass man versucht, sich immer zu erneuern.»
… die Aufmerksamkeitsspanne, die bei Spielern bei maximal zehn Minuten liegen soll
«Wir versuchen, die Spieler wirklich nur ganz kurz zu beanspruchen, ihre maximale Konzentration ist so fünf bis zehn Minuten. Aber das natürlich mehrmals in der Woche. Es wird auch versucht, vor dem Training schon gewisse Szenen vom folgenden Training zu visualisieren. Weil man genau weiss, dass der Spieler das auf dem Platz in so kurzer Zeit wahrscheinlich gar nicht aufnehmen kann. Darum versuchen wir, auch im Vor- und Nachgang viel mehr Aufwand zu betreiben, dass auch so viel wie möglich haften bleibt. Man hat das Gefühl, dass die Konzentrationsfähigkeit bei den Spielern weniger hoch ist als früher. Dafür haben sie ganz andere Stärken. Die Spieler haben sehr viel Kreativität, wenn man ihnen Raum lässt. Die Spieler sind auch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Das sind Spieler, die nicht mehr einfach alles akzeptieren und nichts sagen. Jede Generation hat immer Stärken und Schwächen und das gilt es immer herauszuspüren.»
… Situationen, in denen Spieler wenig Mitspracherecht haben
«Im Aufstellungsbereich oder bei der taktischen Grundausrichtung, da liegen die Kompetenzen ganz klar beim Staff. Natürlich versucht man schon, auch die wichtigen Spieler, ich sage mal die Säulen, abzuholen und die Temperatur zu messen. Man kann die besten Pläne haben, aber wenn es nicht umsetzbar ist mit der Mannschaft, dann bringt das gar nichts.»
«Empfehlenswert, eher mal ein Gespräch mehr als eines weniger!»
… Situationen, wo Spieler viel Mitspracherecht haben
«Schlussendlich sind es die Spieler, die im Spiel die Leistung bringen müssen. Darum finde ich es einen ganz wichtigen Punkt, dass man auch versucht, die Mannschaft in die Verantwortung zu nehmen betreffend Essenszeiten, Hotels, Trainingszeiten und Abläufen. Ich glaube, da sind die Spieler ein wichtiger Faktor. Vor allem auch nach den Spielen im Bereich Regeneration. Man hat immer gewisse Trainingszeiten im Kopf, aber vielleicht hast du eine Mannschaft mit vielen jungen Spielern, die gerne mal ein, zwei Stunden länger schlafen. Wir Trainer können ja nicht bis zehn, elf, zwölf Uhr schlafen, aber die jungen ‹Giele› können das schon. Von dem her lohnt es sich schon, in den Dialog mit den Spielern zu gehen. Für mich war es immer wichtig, dass ich die Berührungsängste verliere mit der Mannschaft, dass ich ihnen auch versuche, ein bisschen Vorschuss im Vertrauen zu geben.
… die Nähe zu den Spielern
«Ich versuche, mich via Dokumentationen oder anderen Trainerbeispielen weiterzuentwickeln. Und ich habe da eine ganz spannende Dokumentation über einen Basketballtrainer gesehen, der gesagt hat: ‹Mir hat man früher gesagt, halte unbedingt Abstand zu den Spielern, du musst deine Position auch demonstrieren. Der erfahrene Trainer sagt das Gegenteil. Gehe so nah ran wie möglich an die Spieler. Je näher, desto besser. Spürst du die Mannschaft, spürt sie auch dich?› Und ich denke schon, dass das eher die Richtung ist, die heutzutage auch angebracht ist.»
… die Kommunikation mit den Spielern
«Empfehlenswert, eher mal ein Gespräch mehr als eines weniger! Weil viele Sachen setzt man einfach voraus oder hat das Gefühl, dass es für den Spieler klar ist. Aber es ist immer besser, wenn man das Gespräch führt und die Sachen ganz normal miteinander bespricht und die Entscheidungsgrundlage auch offen darlegt. Und dann dem Spieler auch die nötigen Werkzeuge in die Hand gibt, damit er sich wieder aufdrängen kann oder die Entscheidung auch akzeptiert.»
«Ich glaube, dass der Trainerjob sich nicht mehr grundlegend verändern wird. Wir sind schon extrem weit. Eines der wichtigsten Themen wird in Zukunft sicher das Management des Staffs sein.»
… die Unterschiede im Umgang mit Spielern in der Bundesliga und der Schweiz
«Schlussendlich hat jeder Spieler den Anspruch, zu spielen, für das trainiert er ja auch. Jeder Spieler ist enttäuscht, wenn er nicht spielt. Jeder Spieler ist ‹verruckt›, wenn er ausgewechselt wird oder nur kurz reinkommt. Das ist die gleiche Problematik, die jede Teamsportart hat, und das ist eine der wichtigsten Aufgaben des Trainers, dass er es schafft, die ganze Gruppe mitzunehmen, egal wie. Nur so kann ein richtiger Teamspirit entstehen. Klar, in der Bundesliga kann ein Konflikt mit einem Spieler etwas grössere Wellen schlagen als vielleicht in der ‹kleineren Fussball-Schweiz›. Wenn da gewisse Spieler zwei-, dreimal nicht spielen würden, wirft das viel mehr Wellen und wird in der Öffentlichkeit viel mehr diskutiert. Und durch das wächst natürlich irgendwo auch der Druck auf den Trainer. Und es gibt mehr Unruhen im Umfeld, das ist vielleicht ein Unterschied zur Schweiz.»
… Sachen, die in der Bundesliga ganz anders sind als in der Schweiz
«Ich musste mich nicht neu erfinden, aber sicher adaptieren an die ganze Medienarbeit. Wir haben praktisch jeden Tag Journalisten im Training, da muss man an gewissen Tagen wirklich geschlossene Trainings absolvieren, damit man gewisse Sachen im Hinblick aufs Spiel trainieren kann. Weil durch diese Präsenz einfach jede Bewegung, jedes Coaching und jede Massnahme von dir gehört und wahrgenommen wird. Und im Nachgang sowohl du als Trainer wie auch die Spieler damit konfrontiert werden. Das ist am Anfang für einen Trainer eine Umstellung, wenn er sich das nicht gewohnt ist.»
… die Veränderungen im Trainerbusiness
«Das kommt immer ein bisschen auf den Klub an, was für eine Rolle der Trainer hat. Es gibt Klubs, wo der Trainer auch sehr viele Aufgabengebiete hat. […] Bei uns ist das so, dass, ähnlich wie auch bei YB, die ganze Transfer-Geschichte, die Scouting-Geschichte, parallel läuft. Dass wir hier sehr viele kompetente Leute haben, die das dem Trainer abnehmen. Und der Trainer erst im letzten Moment dazukommt. Ich glaube, dass der Trainerjob sich nicht mehr grundlegend verändern wird. Wir sind schon extrem weit. Eines der wichtigsten Themen wird in Zukunft sicher das Management des Staffs sein. Weil es geht ein bisschen mehr Richtung der amerikanischen Sportarten, wo man eigentlich für jedes Segment einen Spezialisten hat. Es gibt Offensivtrainer, Defensivtrainer, ‹Stehende-Bälle-Trainer›, Videoanalysten. Wir haben alles Mögliche und als Cheftrainer musst du es schaffen, dass jeder seinen Freiraum hat und du trotzdem auch die Mannschaft nicht verlierst. Schlussendlich ist der Trainer immer noch der, der die Marschrichtung vorgibt.»