Ski-Trip als falsches Signal? Das sollen die Gründe für das Nagelsmann-Aus sein

SB10/DPA

24.3.2023

Strahlten nicht immer um die Wette: Hasan Salihamidžić, Julian Nagelsmann und Oliver Kahn (hier bei der letztjährigen Wiesn).
Strahlten nicht immer um die Wette: Hasan Salihamidžić, Julian Nagelsmann und Oliver Kahn (hier bei der letztjährigen Wiesn).
Bild: Imago

Der offizielle Vollzug lässt noch auf sich warten, doch höchstwahrscheinlich wird Thomas Tuchel Julian Nagelsmann als Bayern-Trainer ablösen. Darum sieht sich die Bayern-Führung offenbar zum Handeln gezwungen.

SB10/DPA

Der Zeitpunkt des Trainerwechsels beim Rekordmeister kommt überraschend. Zumindest für den mutmasslich in Kürze gefeuerten Julian Nagelsmann. «Nein, noch nicht», meinte der 35-Jährige zum «Kicker» auf die Frage, ob er von den Verantwortlichen schon informiert wurde.

«Nein, noch nicht»

Julian Nagelsmann

Noch-Bayern-Trainer

Die verhängnisvollen Gerüchte, welche das italienische Fussball-Orakel Fabrizio Romano als Erstes in Umlauf setzte, verbreiteten sich am Donnerstagabend wie ein Lauffeuer. Nagelsmann erreichten die Meldungen über seine Person gemäss «Sport1» in Österreich. In den Bergen wollte der 35-Jährige – zusammen mit Freundin und ehemaligen «Bild»-Reporterin Lena Wurzenberger – seine Akkus wiederaufladen.

Der Ski-Trip kam bei seinen Vorgesetzten gemäss Insidern nicht gut an. Es sei ein falsches Signal, in der heiklen Phase des Klubs nicht vor Ort zu sein. Dabei ist aktuell Länderspiel-Pause – und die Bayern haben fast nur Spieler mit internationalen Verpflichtungen. Zumindest aus neutraler Sicht also nicht wirklich ein Grund, gleich die Reissleine ziehen zu müssen. 

Zumal in allen drei Wettbewerben – Bundesliga, Champions League, DFB-Pokal – ein Titelgewinn noch möglich ist. Seine Saison-Bilanz lässt sich zumindest auf dem Papier sehen: In wettbewerbsübergreifend 37 Spielen gab es 27 Siege, 7 Unentschieden und nur 3 Niederlagen, 112 Tore schossen die Bayern bisher. 

Bayern-Bosse sehen die Saisonziele gefährdet

Und trotzdem beunruhigte die Gesamtkonstellation offenbar die Bayern-Bosse. Sie erkennen demnach trotz eines top besetzten Kaders keine nachhaltige sportliche Bewegung nach vorne unter Nagelsmann. In der Kabine soll er ausser von Joshua Kimmich nicht wirklich bedingungslos akzeptiert worden sein, vermelden Gewährsleute. Auch bei der Förderung der Talente und Weiterentwicklung der Stars sah man noch Luft nach oben. So wirkt etwa Star-Einkauf Sadio Mané noch wie ein Fremdkörper, auch die talentierten Leroy Sané oder Serge Gnabry haben in dieser Spielzeit noch nicht gezündet. 

Kurzum: Die ständigen Schwankungen zwischen Topleistungen in der Champions League wie gegen PSG und sich immer wiederholenden Nachlässigkeiten in der Bundesliga werden dem Trainer angelastet.

Sadio Mané hat seine Rolle – auch wegen Verletzungen – noch nicht gefunden in München. 
Sadio Mané hat seine Rolle – auch wegen Verletzungen – noch nicht gefunden in München. 
Bild: Getty

Die Bayern waren mit neun Punkten Vorsprung auf Dortmund in die WM-Pause gegangen, vor dem anstehenden direkten Duell nach der Länderspielpause liegen sie einen Punkt zurück. Nach dem 1:2 bei Bayer Leverkusen hatte Sportvorstand Hasan Salihamidzic seinen Unmut geäussert: «Das ist nicht das, was Bayern bedeutet.» Er zählte eine ganze Mängelliste auf und stellte sogar die Mentalitätsfrage.

Das passte so gar nicht zu den vielen vorherigen Aussagen der Bosse mit viel Lob für Nagelsmann. Die Zusammenarbeit war eigentlich als Langzeitprojekt angelegt. Bayern-Präsident Herbert Hainer betonte am vergangenen Sonntag noch im «Kicker»: «Wir planen langfristig mit Julian Nagelsmann und haben das mit einem Fünfjahresvertrag dokumentiert, weil wir mit ihm etwas aufbauen wollen. Man erkennt einen deutlichen Fortschritt in diesen eineinhalb Jahren. Julian macht es sehr gut. Die Trainer-Diskussion zwischendurch kam von aussen. Die haben nicht wir vom Zaun gebrochen.»

«Julian ist unheimlich weit. Ein Top-Trainer, der auch gegen Paris bewiesen hat, dass er auf höchstem europäischen Niveau taktisch und strategisch hervorragend agiert.»

Herbert Hainer

Bayern-Präsident

Im April werden die Karten aufgedeckt

Um Nagelsmann gab es zudem zu viele Nebenschauplätze. So sorgte etwa die von ihm vorangetriebene Ablösung des Manuel-Neuer-Vertrauten Toni Tapalovic als Torwartcoach für viel Wirbel. Mit einer Beziehung zu einer Reporterin machte er sich intern angreifbar. Seine forsche und fordernde Art stiess nicht überall auf Gegenliebe, speziell als junger Coach ohne grossen internationalen Leistungsausweis vermisste man bei ihm möglicherweise auch mal ein wenig Selbstkritik und Demut – zumindest intern.

Manuel Neuer verlor mit Toni Tapalovic eine langjährige Vertrauensperson. 
Manuel Neuer verlor mit Toni Tapalovic eine langjährige Vertrauensperson. 
Bild: Getty

Trainerwechsel sind immer auch eine Frage der Alternative. Tuchel ist auf dem Markt – und international begehrt. Angeblich war der 49-Jährige auch Kandidat bei Real Madrid und Tottenham Hotspur. Entweder jetzt oder wieder nicht, könnte die Frage beim Bayern-Kalkül gelautet haben.

Die Führungsetage ginge mit der Abberufung seines vermeintlichen Hoffnungsträgers ein grosses Risiko ein. Finanziell wäre es sicher ein Fiasko. So wurde Nagelmann 2021 für 25 Millionen Euro aus Leipzig geholt, zwischen sieben und acht Millionen Euro Jahresgehalt soll ihm sein bis 2026 laufender Vertrag garantieren. 

Am 1. April wird also höchstwahrscheinlich Thomas Tuchel in der Allianz Arena an der Seitenlinie dirigieren. Der frühere BVB-Coach muss gegen seinen alten Arbeitgeber gleich liefern. Mit einer Pleite gegen den Direktkonkurrenten würde die Mission Titelverteidigung Bundesliga zu einer Herkulesaufgabe. Die heisse Phase im April – acht Spiele in 30 Tagen – wird zum Schicksalsmonat an der Isar. Nach dem Kracher gegen den BVB wartet das unbequeme Freiburg im DFB-Pokal und in der Meisterschaft, ehe man in der Königsklasse den Brocken Manchester City aus dem Weg räumen muss. 


Marcel Reif über die Entlassung von Julian Nagelsmann: «Sie haben das seit einigen Wochen intern diskutiert»

Marcel Reif über die Entlassung von Julian Nagelsmann: «Sie haben das seit einigen Wochen intern diskutiert»

Die Entlassung von Bayern-Coach Julian Nagelsmann schlägt hohe Wellen. Auch blue Sport-Experte Marcel Reif ist vom Entscheid überrascht – aber nicht schockiert. Der Bayern-Kenner glaubt, dass eine Entlassung schon seit längerer Zeit Thema war.

24.03.2023