Biologe über Mikroplastik im Blut«Wir werden seit Jahrzehnten überschwemmt»
Von Oliver Kohlmaier
4.4.2022
Mikroplastik lässt sich nun auch in unserem Blut nachweisen — ob es uns schadet, ist unklar. Ein Biologe erklärt, warum die Menschheit trotzdem gegen die Plastikflut vorgehen muss.
Von Oliver Kohlmaier
04.04.2022, 00:00
04.04.2022, 15:27
Von Oliver Kohlmaier
Mikroplastik im Grundwasser, auf den höchsten Berggipfeln, in der Antarktis — und auch im Blut. Vergangene Woche sorgten Studienergebnisse für Aufsehen, welche die winzigen Partikel erstmals auch in der Blutbahn des Menschen nachwiesen. Einige der Proband*innen hatten Partikel aus gleich drei verschiedenen Quellen in ihrem Blut.
Dass sich Plastik jetzt auch in der Blutbahn nachweisen lässt, dürfte nicht viele überrascht, dafür umso mehr beunruhigt haben. Das geht auch Expert*innen nicht anders.
So äusserte bereits das an der Studie beteiligte Forschungsteam die Sorge, die Partikel könnten sich in Organen ablagern und diese schädigen. Zuvor war in Laborexperimenten nachgewiesen worden, dass Mikroplastik-Partikel Zellen schädigen können.
Bereits hinlänglich bekannt ist, dass sich Mikroplastik in allen möglichen Ökosystemen findet, auch in der Schweiz. Welche Auswirkungen die Partikel im Blut auf die Gesundheit haben, ist bislang jedoch noch weitgehend unklar.
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27.06.2020
«Ich habe quasi darauf gewartet»
Auch Karsten Grote von der deutschen Uniklinik Marburg betont auf Anfrage von blue News, es brauche auf diesem Gebiet noch viele Studien. Der Biologe forscht selbst zu den Auswirkungen von Mikroplastik auf Zellen. Dass das Aufspüren der Partikel im Blut erst jetzt gelang, ist für den Laborleiter nachvollziehbar.
Denn anders als in Böden oder Gewässern sei der Nachweis in einer biologischen Probe ungleich schwieriger. Grote erklärt, in den Experimenten würden häufig sogenannte Absorptionsmethoden verwendet und das überall präsente Hämoglobin überlagere dann meist alle anderen Signale.
«Ich habe quasi darauf gewartet, dass es eine Studie gibt, die Mikroplastik auch im Blut bei Menschen nachweist», sagt Grote. «Wir wissen, dass es im Stuhl landet, was logisch ist, jetzt auch im Blut».
Dem Biologen zufolge lagert sich das Mikroplastik vermutlich in den Organen ab oder reichert sich dort über die Zeit an. «Was wir noch nicht wissen, ob und wie gefährlich es wirklich für uns ist.»
Dennoch befürchtetet auch er schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit: «Die meisten vermuten es, ich auch, aber Studien zu dem Thema sind schwierig.»
Denn was wolle man da auch vergleichen, fragt Grote. Schliesslich werden wir «seit Jahrzehnten mit Mikroplastik überschwemmt». Im Prinzip gäbe es solche Studien aber schon lange — «Nämlich mit Feinstaub!»
Da wisse man bereits, dass eine Exposition das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, Lungenerkrankungen, zahlreiche Tumorerkrankungen und sogar metabolische Erkrankungen erhöhe, erklärt er.
In Feinstaub sei neben Stickoxiden, allen möglichen Kleinteilen wie Pollen und Mikroplastik vor allem durch mechanischen Abrieb enthalten — etwa von Reifen sowie allen beweglichen Kunststoffteilen etwa an Fahrzeugen oder Industrieanlagen.
Verdopplung des Plastikmülls in 20 Jahren
Zwischen 2000 und 2019 hat sich die weltweite Plastikproduktion laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von 234 Millionen auf 460 Millionen Tonnen nahezu verdoppelt.
Der Plastikmüll hat sich im selben Zeitraum auf einen Umfang von 353 Megatonnen sogar mehr als verdoppelt. Von den 22 Millionen Tonnen Plastik allein im Jahr 2019 landeten sechs Megatonnen in Wasserläufen, Seen und Meeren.
Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass das Mikroplastik in der Blutbahn keine oder nur geringe Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hat: Um eine Reduzierung wird die Menschheit nicht herumkommen.
«Auch wenn das Gefährdungspotenzial von Mikroplastik für den Menschen noch nicht abschliessend geklärt ist, stellt es sicher einen Risikofaktor für unsere Gesundheit dar», sagt Grote.
Für die Umwelt hingegen ist die Mikroplastik-Schwemme verheerend. So konnte bereits nachgewiesen werden, das es die Reproduktionsrate und damit die Populationsgrösse von marinen Kleinstlebewesen vermindert.
Laut einer Studie des WWF zusammen mit dem Alfred-Wegener-Institut für Meeresforschung ist davon auszugehen, dass inzwischen fast alle Arten im Meer mit Plastikverschmutzung konfrontiert seien. Die Folgen seien vielfältig. Sie reichten von Meerestieren, die Plastik bei der Nahrungssuche verschluckten sowie durch Plastikmüll bedeckte Korallen bis hin zu Beeinträchtigungen durch die Aufnahme hormonell wirksamer Substanzen in den Körper durch mikroskopische Nanokunststoffpartikel.
Für Nachschub ist gesorgt
Nach Erkenntnissen der Expert*innen des AWI ist der ökologisch als riskant geltende Schwellenwert für die Konzentration von Mikroplastik in einigen Brennpunktregionen wie dem Mittelmeer, dem Gelben Meer oder dem arktischen Meereis bereits heute überschritten.
Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte dies aufgrund des fortschreitenden Zerfalls der bereits in den Weltmeeren befindlichen Kunststoffe auf einer Fläche der Fall sein, die der zweieinhalbfachen Grösse Grönlands entspricht.
Laut Prognosen wird die globale Plastikproduktion bis zum Jahr 2040 voraussichtlich noch einmal mehr als verdoppeln, wodurch sich die Menge des grösseren Plastikmülls in den Meeren in den kommenden 30 Jahren vervierfacht.
Anders als bei uns, wo Plastik etwa in geschlossenen Recyclinganlagen verflüssigt oder verbrannt werde, werde es andernorts einfach auf die nächste unbewohnte Insel ausser Sichtweite der Urlaubsdomizile verschifft.
Gerate der Müllberg zu hoch, werde er kurzerhand angezündet. Grote erklärt: «Bei der Verbrennung entstehen unglaubliche Mengen an Mikroplastik, die auf diese Art und Weise direkt ins Meer gelangen.»
«Die globale Plastikproduktion vor allem in Asien ist nach wie vor auf hohem Niveau, es wird also für reichlich Mikroplastiknachschub gesorgt», sagt Grote. Für ihn und viele andere ist klar: «Es gibt Handlungsbedarf.»