Vor- und Nachteile Was hat es mit den neuen Tot-Impfstoffen auf sich?

uri

20.12.2021

Mit den Produkten von Novavax und Valneva befinden sich zwei Vakzine in den Schlagzeilen, die auch als Tot-Impfstoffe bezeichnet werden. Wie funktionieren die Vakzine? Wirken sie auch? 

uri

Die EU-Arzneimittelbehörde EMA könnte am Montag, 20. Dezember 2021, über eine Zulassung des Corona-Impfstoffes Nuvaxovid (NVX-CoV2373) des US-Herstellers Novavax entscheiden, mit dem auch die Schweiz einen Vorvertrag über Millionen Dosen geschlossen hat. Ausserdem hat die EU-Behörde schon Anfang des Monats die beschleunigte Prüfung der Zulassung des Corona-Impfstoffs VLA2001 des französisch-österreichischen Unternehmens Valneva angekündigt.

Als attraktiv gelten die beiden Vakzine nicht zuletzt für all jene, die skeptisch gegenüber den neuartigen mRNA- und Vektorimpfstoffen sind und sich deshalb noch nicht gegen das Coronavirus haben impfen lassen.

Auch Bayern-Star Joshua Kimmich wartete laut «Bild» angeblich auf die Zulassung eines solchen Tot-Impfstoffs, bevor er sich mit dem Coronavirus ansteckte. Valneva selbst spricht hinsichtlich des eigenen Produkts von einer «alternativen Impfstoff-Lösung für noch Ungeimpfte».

Laborantinnen bei der Impfstoff-Herrstellung. (Symbolbild)
Laborantinnen bei der Impfstoff-Herrstellung. (Symbolbild)
Bild: dpa

Was unterscheidet die Vakzine von bereits in der Schweiz zugelassenen Produkten?

Die bislang zugelassenen Vakzine gegen das Coronavirus fussen auf verschiedenen Technologien. Die in der Schweiz gängigen Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer etwa enthalten «messenger-RNA» (mRNA), also den Bauplan für einen bestimmten Bestandteil des Virus.

Anhand der gespritzten mRNA kann der Körper dann selbst das Antigen gegen das Coronavirus produzieren. Die Vektorimpfstoffe von Johnson & Johnson oder Astrazeneca hingegen vermitteln die genetischen Informationen des Coronavirus mittels sogenannter Vektoren, das sind harmlosen Trägerviren. Bei beiden Impfstoffgruppen spricht man von genbasierten Impfstoffen.



Bei den nun ins Spiel gebrachten Impfstoffen werden unterdessen unschädlich gemachte Krankheitserreger gespritzt. Bei Valneva handelt es sich um abgetötete Coronaviren, wohingegen bei Novavax eine auch unter der Verwendung von Gentechnik im Labor gezüchtete Kopie des Spike-Proteins die Immunreaktion im Körper auslöst. Es handelt sich bei Novavax also nicht um einen klassischen Tot-Impfstoff, sondern um einen sogenannten Proteinimpfstoff.

Streng genommen sind übrigens alle bislang zugelassene Corona-Vakzine Tot-Impfstoffe, denn sie enthalten keine lebenden Erreger. Oder wie es Christian Bogdan, Mitglied der Ständigen Impfkommission und Direktor des Mikrobiologischen Instituts am Universitätsklinikum Erlangen, gegenüber der «Apotheken Umschau» sagte: «Unter dem Tot-Impfstoff im weiteren Sinne des Wortes verstehen wir alle Impfstoffe, die nicht vermehrungsfähige Erreger oder Erregerkomponenten beinhalten.»

Was sind die Vorteile der Impfstoffe?

Da der Ganzvirus-Impfstoff von Valneva den Körper mit allen Teilen des Coronavirus konfrontiert, sieht Bogdan den Vorteil vor allem in einer breiteren Immunantwort. Diese richte «sich dann nicht nur gegen das Spike-Protein, sondern gegen weitere Viruskomponenten». Dabei gehe es nicht nur um die Bildung von Antikörpern, sondern auch um die Stimulation weiterer Komponenten des Immunsystems, etwa auch der T-Lymphozyten.

In dieser Hinsicht unterscheide sich das Produkt dann aber auch gerade vom Novovax-Vakzin, das mit dem Spike-Protein lediglich ein Eiweiss des Virus enthalte. Beim Spike-Protein handle es sich jedoch um das Ziel-Antigen schlechthin, erklärte Experte Bogdan. Da es sich auf der Virusoberfläche befinde und nicht etwa wie andere Eiweissen im Inneren des Virus, könne es direkt von Antikörpern erkannt werden.

Ein Vorteil der Impfstoffe ist, dass sie sie sich leichter und bis zu sechs Monaten lagern lassen, wobei herkömmliche Kühlschränke ausreichen. Sie sind deshalb einfacher weltweit zu verteilen. Zudem lassen sie sich recht schnell in grossen Mengen produzieren und könnten teils auch direkt vor Ort in südlichen Ländern produziert werden, was sie gerade für ärmere Länder interessant macht.

Ein weiterer Vorteil dürfte sein, dass beide Technologien schon Jahrzehnte alt und bewährt sind und deshalb womöglich auch Impfskeptiker überzeugen, die den neueren Technologien anderer Impfstoffe misstrauen. 

Was sind die Nachtteile?

Beide Impfstoffe enthalten Adjuvantien, das sind Zusatzstoffe, um die Impf-Wirkung zu verstärken. Bei Valneva handelt es sich dabei um ein Aluminiumsalz und bei Novavax um ein neues Produkt, das kleine Nanopartikel bildet. Diese Zusatzstoffe sind manchmal für weitere Nebenwirkungen und Impfreaktionen verantwortlich. Experten befürchten zudem, dass es verstärkt zu Autoimmunreaktionen kommen kann. Bei Novavax, wo es bereits erste Zulassungsdaten gibt, sollen sich die Nebenwirkungen jedoch in Grenzen halten.

Wie wirksam sind die Impfstoffe?

Laut einer Phase-3-Studie mit insgesamt 30'000 Probanden in Mexiko liegt die Wirksamkeit des Novavax-Impfstoffs bei 90,4 Prozent. Die Personen aus der Gruppe der Geimpften verzeichneten also 90 Prozent weniger Erkrankungen als die Ungeimpften aus der Kontrollgruppe. Laut Novavax lag der Schutz vor mittelschweren und schweren Erkrankungsverläufen sogar bei 100 Prozent. Weitgehend bestätigt wurden diese Ergebnisse durch eine weitere Studie mit mehr als 16'000 Teilnehmenden in Grossbritannien.

Die Wirksamkeit des Valneva-Impfstoffs wurde in einer Phase-3-Studie bei knapp 4000 Erwachsenen im Vereinigten Königreich ermittelt. Dabei erhielten die Probanden entweder zwei Dosen des Valneva-Impfstoffs oder jenen von Astrazeneca. Wie sich herausstellte, verzeichneten beide Gruppen ähnlich viele Infektionen, allerdings hatten die mit Valneva Geimpften zwei Wochen nach der zweiten Dosis eine bedeutend höhere Zahl von Antikörpern im Blut. Demnach wäre Valneva insgesamt wirksamer als Astrazeneca, dem Studien eine Wirksamkeit von 70 attestieren. Um den tatsächlichen Schutzfaktor zu bestimmen, müsste der Impfstoff aber noch mit den gängigen mRNA-Impfstoffen verglichen werden. 

Wie wirken die Impfstoffe gegen Omikron? 

Wie die Impfstoffe gegen die neue Virusvariante Omikron wirken, ist noch nicht in Studien belegt, da diese bereits vor dem Auftauchen der Mutante erfolgten. Der Impfstoffexperte Florian Krammer vom Mount Sinai Hospital in New York sagte dem «Spiegel» jedoch, er mache sich Sorgen bei den «inaktivierten Impfstoffen».



Laut dem Magazin gingen Experten davon aus, dass bei klassischen Tot-Impfstoffen wie jenem von Valneva die Wirksamkeit gegenüber Omikron am stärksten abnehmen würden. Auch bei Proteinimpfstoffen, wie bei Novovax könne sie stärker nachlassen als bei mRNA- Oder Vektor-Impfstoffen, so die Befürchtung. 

Wie ist ihre Booster-Wirkung?

Bei einer britischen Studie zur Boosterwirkung verschiedener Impfstoffe, die im Fachmagazin «The Lancet» erschien, zeigte der Impfstoff von Valneva das schlechteste Ergebnis hinsichtlich der Steigerung der Antikörper, während Moderna am besten abschnitt.

Ebenfalls wurde die Wirkung von Novavax untersucht. Der Impfstoff schnitt zwar besser ab, als der Valneva-Produkt, jedoch schlechter als die mRNA-Impfstoffe. Der Berliner Impfstoffforscher Leif Erik Sander sagte dem «Spiegel» dazu: «Ich hätte eigentlich auch erwartet, dass der Proteinimpfstoff von Novovax die Antikörpertiter ähnlich stark erhöht. Das war in der Studie aber nicht der Fall.»

Welche Nebenwirkungen haben die Totimpfstoffe?

Laut Studiendaten ist das Novavax-Vakzin gut verträglich. Berichtet wird vor allem nach der zweiten Dosis von milden Nachwirkungen wie leichten Schmerzen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen und Müdigkeit. Blutgerinnsel oder Herzproblemen soll es bislang noch keine gegeben haben.

Auch Valneva teilte hier bereits Ergebnisse mit. Demnach sei die Verträglichkeit des eigenen Impfstoffs besser als beim Impfstoff von Astrazeneca: Es habe weniger Reaktionen an der Einstichstelle und im Körper gegeben. Schwere Nebenwirkungen seien keine festgestellt worden.

Sollten Skeptiker auf die Impfstoffe warten?

Experte Christian Bogdan appelliert an alle, nicht auf neue Impfstoffe wie Valneva zu warten: «Ich würde im Moment jedem, der nicht geimpft ist, raten, sich jetzt definitiv schleunigst impfen zu lassen. Ansonsten wird er in den kommenden Wochen Teil der «Pandemie der Ungeimpften» sein, sagte er der «Apotheken Rundschau».

Ins gleiche Horn stösst gegenüber dem «Spiegel» auch der Valneva-Geschäftsführer Thomas Lingelbach. Er sagte: «Ich rate niemandem, auf unseren Impfstoff zu warten. Das wäre ethisch inakzeptabel.» Lingelbach erklärte weiter, er empfehle Verwandten und Bekannten derzeit Vakzine anderer Hersteller und habe sich kürzlich mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer boostern lassen.

Wann kommen die Impfstoffe?

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hat angekündigt, in der kommenden Woche über die Zulassung des Impfstoffs des US-Pharmakonzerns Novavax zu entscheiden. Das zuständige Arzneimittelkomitee werde am 20. Dezember zu einer ausserordentlichen Sitzung zusammentreten. 

Für die Schweiz liegt noch kein Zulassungsantrag vor. Der Bund hat jedoch bereits im Februar mit dem Unternehmen einen Vorvertrag über sechs Millionen Impfdosen geschlossen. Wie es vom Bundesamt für Gesundheit BAG heisst, könne der Impfstoff ab dem 2. Quartal 2021 in die Schweiz geliefert werden, sobald die finale Vertragsunterzeichnung erfolgt sei. Voraussetzung dafür sei aber eine Zulassung durch Swissmedic. 

Der Valneva-Impfstoff könnte ab kommenden Jahr erstmals in der EU zur Verfügung stehen. Die EU-Kommission schloss mit dem Unternehmen im November einen Vertrag über die Lieferung von bis zu 60 Millionen Impfdosen in den kommenden beiden Jahren. Voraussetzung ist, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) den Valneva-Impfstoff zulässt. Die Schweiz ist bislang keine Verträge mit Valneva eingegangen.