Thermoskannen und Erdsonden So lässt sich die Sommerwärme in den Winter retten

Von Gabriela Beck

11.9.2022

Wenn überschüssiger Strom aus Solarkraftwerken – hier die Anlage an der Muttsee-Staumauer mit 4872 Solarmodulen im Bau 2019 – in Form von Wärme gespeichert würde, könnten Wärmepumpen im Winter entlastet und so Strom gespart werden.
Wenn überschüssiger Strom aus Solarkraftwerken – hier die Anlage an der Muttsee-Staumauer mit 4872 Solarmodulen im Bau 2019 – in Form von Wärme gespeichert würde, könnten Wärmepumpen im Winter entlastet und so Strom gespart werden.
Gian Ehrenzeller/Keystone

Die Schweiz investiert kräftig in Solarstrom-Anlagen, um die drohende Stromlücke im Winter zu überbrücken. Saisonale Wärmespeicher könnten einen wesentlichen Beitrag dazu leisten.

Von Gabriela Beck

Mit einer neuen Einmalvergütung von bis zu 60 Prozent der Investitionskosten für Solarstrom-Anlagen ohne Eigenverbrauch soll ab Januar 2023 die Fotovoltaik in der Schweiz zusätzlich gefördert werden. Damit will der Bund künftig einem allfälligen Strommangel im Winter begegnen.

Die Ankündigung zeigt schon jetzt Wirkung. Schweizer Energiekonzerne setzen neuerdings insbesondere auf alpine Solarkraft zur Stromerzeugung. Denn Anlagen in den Alpen liefern gemäss einer Publikation des Bundesamts für Energie (BFE) in den Wintermonaten bis zu 50 Prozent mehr Strom pro Fläche als Anlagen im Flachland. Sie liegen über der Nebeldecke und sind damit mehr Sonnenstrahlung ausgesetzt. Zudem reflektiert die Schneedecke das Sonnenlicht.

So beteiligt sich Alpiq an der grössten Solarstromanlage der Schweiz oberhalb des Walliser Dorfs Gondo. Axpo produziert auf dem Staudamm am Muttsee im grossen Umfang Solarstrom. Die EWZ bauen aktuell ihre zweite grosse Fotovoltaikanlage auf einer Staumauer des Lago di Lei in Graubünden. Die andere befindet sich seit 2020 auf der Staumauer Albigna im Bergell.

Vorwärtsmachen beim Ausbau der Solarenergie will auch die Umweltkommission des Ständerats. Sie hat beschlossen, dass bei Neubauten ab 2024 Solaranlagen generell Pflicht werden. Geeignete Oberflächen von Infrastrukturanlagen des Bundes sollen zudem bestmöglich zur Nutzung von Sonnenenergie verwendet werden. Diese Anträge sollen noch in der Herbstsession 2022 vom Ständerat behandelt werden.

Strom in Wärme umwandeln und speichern

Eine andere Möglichkeit zur Vermeidung einer Mangellage wäre, den Strombedarf im Winter erheblich zu senken – über saisonale Wärmespeicher. Sie sind via Wärmepumpen und Fotovoltaikanlagen mit dem Stromsystem und damit mit dem kompletten Energiesystem verbunden. Vor allem im Sommer nehmen sie Energie in Form von Wärme auf und geben diese im Winter wieder ab. Dadurch muss im Winter weniger Energie, sprich: Strom zum Heizen, aufgewendet werden, strombetriebene Wärmepumpen würden entastet.

Gianfranco Guidati vom Energy Science Center der ETH Zürich schätzt die mögliche Einsparung von Strom in den Wintermonaten über saisonale Wärmespeicher auf bis zu vier Terawattstunden pro Jahr.

In den Energieperspektiven des Bundes ist die saisonale Wärmespeicherung bislang allerdings nicht zu finden. Priska Wismer-Felder, Mitglied der nationalrätlichen Umweltkommission, macht deshalb Druck: «Die Verwaltung und die Regierung sind gefordert, das konkrete Potenzial von Wärmespeichern zu erheben und als Basis für politische Entscheide verfügbar zu machen», sagt sie dem «Blick».

Auch Othmar Reichmuth, Mitglied der Umweltkommission des Ständerats, fordert in dem Medienbericht konkrete Schritte: «Es ist zu ermitteln, wo und wie in der Schweiz saisonale Wärmespeicher tatsächlich realisiert und betrieben werden können.» Der Präsident des Fernwärmeverbands Schweiz ist überzeugt: «In der Energiezukunft spielen thermische Speicher eine zentrale Rolle.»

Prinzip Thermoskanne

Bis jetzt gibt es in der Schweiz nur eine Handvoll Einzelprojekte, etwa den Erdspeicher des Suurstoffi-Areals in Rotkreuz oder den geplanten Geothermiespeicher in Bern. Manche Städte greifen aber inzwischen auch auf das bewährte Prinzip «Thermoskanne» zurück.

Zürich etwa plant, riesige Silos über das Stadtgebiet zu verteilen. Darin wird heisses Wasser aufbewahrt, das bei hohem Wärmebedarf ins Fernwärmenetz eingespeist werden kann, um kurzfristige Bedarfsspitzen aufzufangen, etwa am Morgen, wenn die Heizungen hochgefahren werden und die Duschen angehen.

«Bei der Standortauswahl und der Umsetzung kommt städtebaulichen Aspekten eine sehr wichtige Bedeutung zu», sagt Tobias Nussbaum, Sprecher der Dienstabteilung Entsorgung und Recycling der Stadt Zürich. Damit die Riesentanks so gestaltet werden können, dass sie sich möglichst gut ins Stadtbild einfügen, arbeite man eng mit dem Amt für Städtebau zusammen. Denkbar wäre es demnach, die Behälter mit einer Glasfront zu verkleiden, die Fassade zu begrünen oder die Fläche für Fotovoltaik zu nutzen.

Zwar kann Wärme in den «Thermoskannen» aufgrund ihrer Grösse über Monate gespeichert werden, doch abgesehen von der Ästhetik lassen sich solche Riesentanks längst nicht überall bauen – mal fehlt der Platz, mal ist der Baugrund ungeeignet oder die Nachrüstung im Baubestand ist oft nicht rentabel.

Borsäure statt Wasser als Speichermedium

Wissenschaftler experimentieren deshalb mit effizienteren Speichermedien als Wasser, die nicht so viel Volumen benötigen. Einige beruhen auf der Umwandlung von Wärme in energiereiche chemische Verbindungen, die beliebig lang gelagert werden können und deren Ausgangsmaterialien kostengünstig sind. «Es gibt unterschiedliche chemische Reaktionen, die man für diesen Zweck nutzen kann», sagt Franz Winter vom Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und technische Biowissenschaften der TU Wien.

Winter und sein Team haben einen Borsäure-Reaktor entwickelt. Die Forscher vermischen Borsäure mit Öl zu einer Suspension, die in einem Behälter erhitzt wird. Durch die Wärme kommt es zu einer chemischen Reaktion, bei der sich die Borsäure in Boroxid umwandelt. Dabei wird Wasser freigesetzt, das als Dampf entweicht. Führt man dem Boroxid-Speichermedium wieder Wasser zu, läuft die chemische Reaktion umgekehrt ab, und die gespeicherte Wärme wird wieder freigesetzt – ein geschlossener Kreislauf über viele Zyklen hinweg.

Winter schätzt, dass eine Reaktorfüllung über Jahre nicht ausgewechselt werden muss. Dazu komme die Platzersparnis: Wegen der höheren Speicherdichte von Boroxid könne ein bis zu acht Mal kleinerer Reaktor die gleiche Menge Energie speichern wie ein entsprechender Wassertank, so Winter.

Vorgewärmter Boden im Winter

Optisch völlig unauffällig wären dagegen Erdsonden, denn sie nutzen das thermische Potenzial des Erdreichs. Gerade im Neubaubereich ergänzen sie häufig auf Wärmepumpen basierende Heizsysteme, die sie im Winter mit vergleichsweise «warmen» Temperaturen aus dem Boden unterstützen.

Doch mit Erdsonden lässt sich dem Boden nicht nur Wärme entziehen. Überschüssige Energie aus Solarstromanlagen könnte im Sommer auch in Form von Wärme den Boden zurückgeschickt werden. So kühlt er auf Dauer nicht aus, wenn ihm in der kalten Jahreszeit Wärme zum Heizen entzogen wird, es entsteht ein zirkulares System.

Ob sich über Erdsonden erwärmtes Erdreich als Energiespeicher auch in bestehenden Stadtstrukturen einsetzen lässt, untersuchte das Projekt AnergieUrban für zwei Stadtquartiere in Wien. Testgebiete waren ein Gründerzeitviertel mit Blockrandbebauung und rund 10'000 Bewohnern und eine Wohnbebauung aus den 60er-Jahren für 2'000 Menschen.

Es stellte sich heraus, dass es sowohl ausreichend Solarquellen als auch genug Bohrflächen für die Erdwärmesonden gab, um ein flächendeckendes Netz aufzubauen.