Die Wohnungsnot spitzt sich in der ganzen Schweiz zu. Ungeachtet des akuten Bedarfs bleiben zahlreiche Bauflächen ungenutzt. Wo die Potenziale liegen und warum private Eigentümer Bauland zurückhalten.
jke
30.08.2024, 20:23
Jenny Keller
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
In Städten wie Zürich und Winterthur befinden sich die grössten ungenutzten Bauflächen des Landes oft in privater Hand.
Ein wachsender Teil neuer Bauvorhaben scheitert an Einsprachen.
Kantonale Massnahmen sollen nun den Druck erhöhen.
Die Nachfrage nach Wohnraum in der Schweiz ist hoch, insbesondere in urbanen Gebieten. Die Leerwohnungsziffer, die nächsten Monat veröffentlicht wird, dürfte dieses Jahr erstmals unter ein Prozent fallen, wie der «Blick» berichtet. Wohnungsmangel ist damit kein städtisches, sondern ein gesamtschweizerisches Problem geworden.
Um die Nachfrage zu decken, müssten jährlich rund 50'000 neue Wohnungen entstehen. Der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) rechnet für dieses Jahr jedoch lediglich mit 40'000 Neubauten. Die Bautätigkeit ist im zweiten Quartal 2024 um 10 Prozent gesunken, auch 2025 werde sich das nicht gross verändern.
Ein Grund: Immer mehr Baugesuche werden abgelehnt – laut Raiffeisen knapp ein Drittel aller Anträge im ersten Quartal 2024. Fredy Hasenmaile, Immobilienexperte von Raiffeisen, fordert eine dringend nötige Bauoffensive. Auch der SBV schliesst sich diesem Appell an: «Lasst uns endlich wieder mehr Wohnungen bauen!»
Zürich mit grösster ungenutzter Baufläche
Doch wo gibt es überhaupt noch Bauflächen in der Schweiz? Der «Blick» hat die Zahlen der Bauzonenstatistik des Bundesamts für Raumentwicklung aus dem Jahr 2022 analysiert. Die Stadt Zürich führt die Liste der grössten ungenutzten Baulandreserven an.
Satte 288 Hektaren sind dort unbebaut – das entspricht mehr als 400 Fussballfeldern. Auch Winterthur, Bern, Bellinzona, Genf, Lausanne, Lugano und Luzern haben grosse Baulandreserven, die noch nicht genutzt werden.
Neben institutionellen Investor*innen oder der Stadt befindet sich ein erheblicher Teil dieses Landes in privatem Besitz. «Man kann aber davon ausgehen, dass private Grundbesitzer eher Land horten als institutionelle Investoren», so Hasenmaile.
Einsprachen verzögern 70 Prozent der Bauprojekte
Wichtig zu wissen ist, dass auch kleine Baulücken innerhalb von Siedlungsgebieten, zum Beispiel zwischen zwei Gebäuden, zu den hohen Bauland-Zahlen beitragen. Diese Baulücken können oft nur durch eine Erhöhung der Ausnützungsziffer sinnvoll bebaut werden.
«Eine höhere Ausnützungsziffer wäre ein zentrales Element für eine erfolgreiche Verdichtung», erklärt SBV-Sprecherin Jacqueline Theiler gegenüber dem «Blick».
Ein weiterer Grund sind Einsprachen, welche in der Stadt Zürich etwa 70 Prozent aller Bauprojekte verzögern. Seit einem Urteil des Bundesgerichts 2011 können auch unbeteiligte Personen Einspruch erheben. Laut dem Bauverband wird dies oft genutzt, um die eigene Aussicht zu schützen.
Private geben Bauland der Familie weiter
Die aktuelle Regelung, dass Einsprachen kostenlos sind, führe ausserdem dazu, dass sich Bauprojekte oft um Jahre verzögern. Und: 75 Prozent der Stadtfläche von Zürich sind im nationalen Inventar für Ortsbildschutz eingetragen. Das verursache zusätzliche Blockaden.
Dieser Umstand betrifft nicht nur Zürich. In rund 450 von über 2000 Schweizer Gemeinden sind mehr als 20 Prozent der Bauzonen unbebaut. Private Eigentümer*innen lassen ihr Bauland oft über Jahrzehnte ungenutzt und geben es innerhalb der Familie weiter. In den letzten Jahren war Bauland eine attraktive Geldanlage, weshalb viele keinen Anreiz hatten, es zu bebauen.
Seit 2014 sind Gemeinden jedoch verpflichtet, ihre Bauzonen auf die Bevölkerungsentwicklung der nächsten 15 Jahre anzupassen. Gemeinden, die zu viel Bauland eingezont haben, müssen wieder auszonen. Ungenutzte Flächen werden nicht an den Markt zurückgeführt.
Rasche Lösung ist nicht in Sicht
Einige Kantone haben bereits Massnahmen ergriffen, um brachliegendes Bauland zu mobilisieren. So können Gemeinden bei öffentlichem Interesse Fristen zur Überbauung setzen oder Abgaben erheben, solange ein Grundstück ungenutzt bleibt.
Eine rasche Lösung für die Wohnungsnot ist trotzdem nicht in Sicht. «Wir haben zu lange zugeschaut, wie sich ein giftiger Cocktail zusammengebraut hat», sagt Hasenmaile zum «Blick». Für nachhaltige Veränderungen brauche es ein Umdenken – sowohl auf politischer Ebene als auch in der Gesellschaft.