Schwerkrimineller als Social-Media-Star Darum wird ein Gangsterboss auf Tiktok gerade abgefeiert

Samuel Walder

27.10.2024

Neun Jahre Haft für Zuhälterei, schweren Menschenhandel und weitere Verbrechen: Der Deutschtürke Necati Arabaci, besser bekannt als «Pate von Köln».
Neun Jahre Haft für Zuhälterei, schweren Menschenhandel und weitere Verbrechen: Der Deutschtürke Necati Arabaci, besser bekannt als «Pate von Köln».
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Dieser Mann soll der Hells-Angels-Boss von Europa sein. Ein Schwerkrimineller, der für diverse Delikte im Knast sass, erlangt auf Social Media Berühmtheit: Ein Experte ordnet den fragwürdigen Hype ein.

Samuel Walder

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Auf Social Media kursieren Videos von Necati Arabaci, einem Schwerverbrecher aus Deutschland.
  • Die Videos werden millionenfach geklickt und User*innen jubeln den «Paten von Köln» hoch.
  • Experten hinterfragen das Verhalten der User*innen und stellen moralische Fragen.
  • Necati Arabaci ist ein Kölner Zuhälter, Hells-Angles-Boss, Drogenbaron und wurde mehrfach Verurteilt. 

Die Geschichte von Necati Arabaci (52) gleicht einem Hollywood-Streifen aus den 90ern. Der schwerkriminelle Bandenboss, auch Kölner Pate genannt, wird gerade in den sozialen Medien abgefeiert. 

Auf Tiktok kursieren Videos, die teilweise über 15 Millionen Views haben, von Arabaci in Monaco und anderen Städten. Vom Hells-Boss sind wenig Bilder im Netz zu finden, doch vor Videos scheint sich der Drogenbaron nicht zu fürchten. Immer wieder zeigt er sich mit teuren Autos, so auch mit einem Rolls-Royce mit einer Zürcher Nummer in Monte-Carlo.

Sobald Arabaci irgendwo auftaucht, zücken die Passanten ihre Handys und filmen den Drogenbaron. Fans machen sogar Bilder mit ihm.

Im Netz wird er gefeiert – sogar schon fast vergöttert wie ein Star. User*innen schreiben: «Trés trés grand monsieur moi je l'adore!!!», was so viel heisst wie, ein sehr, sehr grosser Mann, ich liebe ihn. Aber auch kritische Stimmen fallen in der Kommentarspalte.

Wieso geniesst ein Schwerkrimineller auf Social Media so viel Aufmerksamkeit und Zuspruch? 

Social Media Experte: «Luxus spielt eine grosse Rolle»

Keenan Brill ist Social and Influencer Manager bei Contcept Communication. Er sagt auf Anfrage von blue News: «Der Algorithmus von TikTok bevorzugt Inhalte, die an den Interessen der Nutzer ausgerichtet sind – und Luxus spielt dabei eine grosse Rolle.» Arabaci zeige stolz seine teuren Autos, luxuriösen Uhren, massgeschneiderten Anzüge und sogar Reitszenen mit edlen Pferden. «Solche Szenen finden besonders in der deutschen Hiphop-Kultur Anklang, die stark von Mafia-Ästhetik und kriminellen Lebensstilen geprägt ist», sagt Brill weiter.

Diese Kombination von Mafioso-Look und opulentem Reichtum sei äusserst ansprechend und verstärkt den Algorithmus weiter. Ähnlich wie bei der Glorifizierung der Mafia im Rap bleibe auch hier die dunkle Realität seiner Taten und deren Opfer im Hintergrund. «Stattdessen wird die charismatische und coole Seite des kriminellen Lebensstils betont, was die Faszination für Figuren wie Arabaci und den Mafia-Kult verstärkt», sagt Brill.

Menschen faszinieren sich für Grenz-Überschreiter

Medienpsychologe Jo Groebel sagt auf Anfrage von blue News: «Es gibt so etwas wie die Faszination des Bösen. In diesem Fall trifft das zu.» Wir Menschen seien fasziniert von Filmen, Medienberichten und Begegnungen von verschiedenen negativen Ereignissen. «Auf der emotionalen Ebene finden wir alle etwas spannend, das auf irgendeine Weise besonders ist oder eine Grenze überschreitet», erklärt Groebel. 

Darum würden Menschen die Zeitung lesen oder wollen bei einem Unfall einen Blick auf das Geschehen erhaschen. Bei Arabaci sei es ähnlich. «Der Mann ist ja eine Art Gangster. Er lebt ein Leben, welches zwar real ist, also kein Film, jedoch sehr weit entfernt liegt vom Leben anderer», sagt Groebel. Die wenigsten verkaufen Drogen, sind Zuhälter oder haben sogar jemanden auf dem Gewissen. Das bringt den Reiz mit sich, hinzuschauen. 

Es sei ganz natürlich, dass Menschen etwas instinktiv anschauen, das vielleicht nicht in die Realität oder in die Norm passe. Darum seien Antihelden fast genauso beliebt in Filmen wie Helden.

«Bei diesem Phänomen auf Social Media gibt es verschiedene Faktoren, die zu so einem Verhalten von Schaulustigen führt», sagt Groebel. Mit Verhalten meint er, dass Passanten den Schwerverbrecher filmen oder ein Foto mit ihm machen wollen. «Sie können so an eine Person herankommen, die ein Leben führt, das man vielleicht nur aus Filmen kennt.»

Das Phänomen wirft moralische Fragen auf

Dazu kommt der Wert der Prominenz. Arabaci sei kein No-Name. Über ihn wurde schon in den Medien berichtet. «Wenn einer mit einem teuren Auto und einem extravaganten Auftreten an einem Ort auftaucht, schauen die Menschen automatisch hin.»

Doch Groebel sieht auch Gefahren: «Wenn Menschen wie Arabaci oder auch Prominente wie Diddy so eine grosse Aufmerksamkeit erhalten, ist das eine Art Belohnung für sie. Das kann dann ein gefährliches Ausmass nehmen.» 

Zudem müsse man differenzieren. «Es gibt Menschen, die rufen zur Gewalt auf, oder radikalisieren sich auf Social Media. Das sind teilweise Straftaten und diese verurteile ich», sagt Groebel. Bei Arabaci sei das aber nicht der Fall. Deswegen gebe es da nur eine moralische Frage zu klären. «Man könnte die Mitmenschen fragen, ob es wirklich okay ist, einen Schwerverbrecher so hochzujubeln.» Dies müsse aber jeder für sich selber entscheiden.

Der Kölner Pate und sein Leben

Arabaci wird 1972 in Köln geboren. Über seine Kindheit ist wenig bekannt. Seine Eltern stammen ursprünglich aus der Türkei. Erst in den 1990er Jahren taucht der Deutschtürke auf der Bildfläche der Behörden auf. Er erlangt durch seine Verbindungen zu Türstehern, die den Hells Angels nahestehen, Einfluss auf das Rotlichtmilieu in Köln.

Durch seine Beteiligung an mehreren Bordellen, darunter das «Babylon» in Elsdorf bei Köln und das Wiago in Leverkusen, sowie weiteren Etablissements auf Mallorca, verdient sich Arabaci eine goldene Nase.

Seit 1999 soll er, getarnt als Obsthändler, eine der mächtigsten Zuhältergruppen in Köln kontrolliert haben. Über Strohmänner soll er zahlreiche Bordelle besessen und seinen Einfluss bis nach Frankfurt und ins Ruhrgebiet erweitert haben.

Erste Verhaftung in Deutschland

Doch im Jahr 2002 folgt die Wende: Da wird Arabaci durch ein Spezialeinsatzkommando verhaftet und 2004 wegen Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung, Zuhälterei, schwerem Menschenhandel und räuberischer Erpressung zu neun Jahren Haft verurteilt.

Während seiner Haft in der JVA Bochum wird bekannt, dass er 2003 einen Auftragsmord auf den ermittelnden Staatsanwalt geplant hatte, was jedoch mangels Beweisen nicht weiterverfolgt werden kann. 2007 wird Arabaci nach Verbüssung eines Drittels seiner Strafe in die Türkei abgeschoben mit der Auflage, nicht nach Deutschland zurückzukehren.

Trotz seiner Ausweisung aus Deutschland behält Arabaci dort weiterhin grossen Einfluss. 2010 gilt er als Präsident der «Hells Angels MC Nomads Turkey» und soll gemäss Medienberichten sein Netzwerk auf Bordelle und Prostituierte in ganz Europa ausgeweitet haben. Ermittler vermuten zudem, dass er im Drogenhandel tätig war und mit Heroin aus Südamerika ein Vermögen machte.

Arabaci wird als Hells-Boss von ganz Europa gehandelt

2013 wird Arabaci nach der Verhaftung des Hells-Angels-Funktionärs Frank Hanebuth als möglicher neuer Europa-Chef der Organisation gehandelt. Im selben Jahr berichtet «Der Spiegel», Arabaci habe einen Überfall auf einen Hells-Angels-Betrieb in Krefeld initiiert.

Ein EU-weiter Haftbefehl ergeht 2015 gegen Arabaci. 2018 erfolgen Festnahmen in der Türkei, doch mangels Beweisen kommt er wieder auf freien Fuss.

Auch seine erneute Festnahme im Juli 2020 führt nicht zu einer dauerhaften Inhaftierung.