Iguazú vs. Victoriafälle Welcher ist der schönste Wasserfall?

dpa

7.11.2020

Welcher gigantische Wasserfall ist der schönste der Welt? Ins Rennen um den ersten Platz gehen die Victoriafälle in Afrika und Iguazú in Südamerika. Ein (subjektiver) Vergleich.

Schritt für Schritt wird es stärker, dieses Dauergemurmel, das zu einem Rauschen anschwillt, dann zu einem monströsen, ohrenbetäubenden Grollen. Über dem Grün des Regenwalds hängt Gischt. Schliesslich gibt die Vegetation den Blick frei auf Donnerwände aus Wasser. Die Sonne zaubert Regenbögen hinein. Welcher berühmte Wasserfall gemeint sind? Nicht bloss einer.

Die visuelle und akustisch Annäherung an die Victoria Falls in Afrika und den Wasserfällen von Iguazú in Südamerika ist gleich. Doch welcher der beiden Giganten ist spektakulärer?

1. Name und Geografie

Brasilien und Argentinien teilen sich Südamerikas Wasserweltwunder, das sich auf argentinischer Seite Iguazú schreibt und auf brasilianischer Iguaçu. Der Name leitet sich aus der Sprache der Guaraní-Indios ab und bedeutet «grosses Wasser». Keine Frage, ein treffender Name. Als der Spanier Álvar Núñez Cabeza de Vaca die Fälle im Jahre 1542 als erster Europäer zu Gesicht bekam, taufte er sie Santa María. Der koloniale Name setzte sich nicht durch.

Ausgangspunkte für einen Besuch der Fälle sind das brasilianische Städtchen Foz do Iguaçu und das argentinische Puerto Iguazú. Da die Seiten nicht miteinander verbunden sind, ist eine weite Schleife unumgänglich. Brasilien garantiert den kompakteren Gesamtüberblick, während auf Argentinien der grössere Anteil entfällt.

Die von Simbabwe und Sambia geteilten Victoria Falls leiden bis heute an einer unseligen Namensüberlagerung, die auf den schottischen Missionar und Entdecker David Livingstone (1813-1873) zurückgeht. Auf Simbabwe entfällt der grösste Teil, Quartier nimmt man im Ort Victoria Falls, von wo die Wasserfälle zu Fuss zu erreichen sind.

Benannt sind Städtchen und Fälle nach der britischen Monarchin Queen Victoria (1819-1901). Alte Fotos zeigen die Potentatin klein, streng und matronenhaft — das passt nicht recht zu den Fällen. Den eigentlichen Name der Victoria Falls, Mosi-oa-Tunya («Der Rauch, der donnert»), kennt heute kaum jemand.

Fazit: Bislang unentschieden. Wobei es für Iguazú spricht, dass der ursprüngliche Name der Ureinwohner geblieben ist.



2. Zugänglichkeit und Zulauf

Iguazú ist durch gute Bus- und Fluganbindungen weitaus einfacher zu erreichen als die Victoriafälle — was aber zugleich ein Nachteil ist. Denn oft wird es an den Fällen voll bis sehr voll. In normalen Jahren gehen die Besucherzahlen in den Millionenbereich.

Im Vergleich dazu geht es an den Victoria Falls ruhig zu. Dort haben Reisende grössere Chancen, die Wege und Aussichtspunkte nicht mit den Massen teilen zu müssen. Die Atmosphäre ist schöner.

Fazit: Iguazú kann den Victoria Falls hier nicht das Wasser reichen. Dieser Punkt geht letztlich an die Wasserfälle in Afrika.

3. Die harten Fakten und Zahlen

Nach einer Reise aus Brasiliens Serra do Mar bilden Stromschnellen und die Verbreiterung des Rio Iguaçu das Vorspiel, bis der Fluss an einer immensen, U-förmigen Basaltschwelle in die Tiefe stürzt. Abhängig von Jahreszeit und Wasserstand, verteilen sich bis zu 275 grössere und kleinere Fälle auf ein 2,7 Kilometer breites, durch Inseln unterbrochenes Fächersystem. Maximale Fallhöhe: 82 Meter.

Zu den Victoria Falls fliesst Afrikas viertlängster Strom, der Sambesi, bis es an den Steilkanten kein Halten mehr gibt. Die Fälle spannen sich über eine Breite von 1,7 Kilometer, es geht bis zu 108 Meter hinab — Sieg in Sachen Höhe. Bei der durchschnittlichen Wassermenge pro Sekunde jedoch schwimmen die Victoria Falls (1100 Kubikmeter) den Iguazú Falls (1746 Kubikmeter) hinterher.

Fazit: Wer breiter und massiger ist, schindet manchmal mehr Eindruck. Das kennt man auch vom Homo sapiens, aber es gilt wohl auch für Wasserfälle. Deswegen geht dieser Punkt an Iguazú.

4. Menschliche Eingriffe

Bequem und in die Natur geklotzt sind die Besucherwege an beiden Fällen. Das lässt sich aber auch nicht vermeiden. In Iguazú fährt auf argentinischer Seite aber sogar eine Dschungelbahn, ganz in der Nähe befinden sich Hotelkästen, Panoramastege, Kommerz. Das Umfeld der Victoriafälle ist da noch naturbelassener.

Fazit: Beim Faktor Ursprünglichkeit gewinnen die Victoria Falls.

5. Diabolische Schauwerte

Einmal dem Höllenfürsten ins Maul schauen, wer will das nicht? In Iguazú ist auf argentinischer Seite der beste Panoramapunkt an die Garganta del Diablo gebaut, an den 82 Meter tiefen «Schlund des Teufels», der die meisten Wassermassen schluckt.

Einmal ganz nah dran am Geländer zu stehen, inmitten der krachenden Dezibel die Gischt abzubekommen und sein eigenes Wort nicht mehr zu hören — das bleibt jedem Besucher unvergesslich.

Dagegen ist der 70 Meter hohe Devil's Cataract, der «Teufels-Katarakt» der Victoria Falls in Simbabwe, eher harmlos. Oberhalb an der Seite und gegenüber an den Aussichtspunkten hält man sich automatisch auf Sicherheitsabstand.

Wer dagegen Adrenalinkicks mag, bucht auf sambischer Seite einen Trip zum Devil's Pool, dem natürlichen «Teufelspool» – was nur in weniger wasserreichen Monaten möglich ist, meist von September bis Dezember. Das Becken ist ein Infinity-Pool der besonderen Art: Es reicht bis an die Kante der Fälle, doch eine Felswand unter der Wasseroberfläche verhindert, dass Badegäste in Tiefe gespült werden.

Fazit: Der Satan von Iguazú liegt im Schauwert-Faktor auch deshalb vorne, weil das Erlebnis dort das ganze Jahr über möglich ist — und ein Nervenkitzel wie im Pool in Sambia nichts für jedermann.

6. Tierbegegnungen

Schmetterlinge tanzen, Vögel trällern, auf dem Boden herrscht Ameisenbetrieb: Das ist an beiden Wasserfällen ähnlich. Doch Iguazú bietet zudem Gelegenheit, mit Nasenbären Bekanntschaft zu machen. Hoch erhobenen Schwanzes mischen sie sich manchmal unter das Fussvolk der Zweibeiner und haben es auf deren Proviant abgesehen. Die putzigen Tiere sind aber zwar durchaus wild, aber fotogen.

Fazit: Ein Zähler nach Südamerika.



7. Fotomöglichkeiten

Die Frontalansichten in Breitwandformat sind bei den Victoriafällen zwar kaum zu toppen und von den Wegen auf der Gegenseite der Schlucht perfekt einsehbar — die Main Falls, die Horseshoe Falls, die 108 Meter hohen Rainbow Falls und die Armchair Falls reihen sich spektakulär aneinander. Aber die Fälle sind eben doch zu toppen.

Denn Iguazú bietet insgesamt mehr Abwechslung durch perspektivische Nah- und Fernwechsel und ein viel ausgedehnteres Wegenetz. Das gilt vor allem für den argentinischen Teil mit dem Oberen Weg (Paseo Superior) und dem Niederen Weg (Paseo Inferior), wo man Wasserwände wie Dos Hermanas geradewegs auf sich zustürzen sieht. Und man kommt jederzeit richtig nah ran an die Fälle, wie am Teufelsschlund.

Fazit: Der Foto-Gewinner ist Iguazú – nicht nur, weil die Bilder mehr Speicherplatz füllen, sondern auch, weil die Absperrungen vertrauenserweckender sind. An den Victoria Falls bestehen manche Barrieren zur Schlucht hin aus kniehohen Dornstrünken. Und hinter den oftmals schlüpfrigen Felsen am Danger Point geht es gar ungeschützt abwärts. Selfie-Freaks sollten hier Vorsicht walten lassen.

8. Gratis-Erfrischung

Hüben in Afrika wie drüben in Südamerika kommt es Besuchern manchmal vor, als hätte irgendwer die Dusche angestellt. So hat man durch die aufsteigenden Sprühwassernebel bisweilen ein wenig Sambesi oder Iguaçu auf der Haut — oder auch richtig viel. Regenschutz mitnehmen!

Fazit: Die Duscheffekte halten sich die Waage — unentschieden.

9. Kosten

Der Eintritt in Argentiniens Nationalpark Iguazú kostet 800 Pesos (rund 9,20 Franken), im brasilianischen Pendant sind es 75,60 Real (rund 12,20 Franken). Bei den Victoria Falls werden in Simbabwe 30 US-Dollar (rund 27 Franken) fällig, in Sambia 20 Dollar (rund 18 Franken). Für die Einreise nach Simbabwe kommen Visumgebühren hinzu.

Fazit: Hier liegt Südamerika mit Abstand vorne.

Gesamtbewertung

Anhand der vergebenen Punkte dieses Bewertungssystems geht der erste Platz an die Wasserfälle von Iguazú. Doch weniger überlaufen und vielleicht eine Spur authentischer geht es an den Victoriafällen zu, wobei die Authentizität natürlich subjektiv ist.

Letztlich ist es aber ohnehin ein Privileg, auch nur einen der beiden Fälle einmal im Leben zu Gesicht zu bekommen.

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