«Ausmass so nicht erwartbar»Jetzt erklärt ein Experte die Sturzfluten in Spanien
Lea Oetiker
1.11.2024
Nach dem verheerenden Unwetter in Spanien mit mindestens 205 Todesopfern wächst die Kritik am Krisenmanagement. Doch das Unwetter ist noch nicht vorbei. Ein Experte ordnet die Situation für blue News ein.
Lea Oetiker
01.11.2024, 13:39
01.11.2024, 14:04
Lea Oetiker
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Durch das gewaltige Unwetter in Spanien sind bisher mindestens 205 Menschen gestorben.
Politikerinnen und Politiker des Landes streiten sich darüber, wer Schuld an dieser Zerstörung ist. Hätte man so viele Todesopfer verhindern können?
Erich Fischer vom Institut für Atmosphäre und Klima an der ETH Zürich ordnet die Situation in blue News ein.
Nach dem gewaltigen Unwetter in der Nacht auf Mittwoch steht Spanien unter Schock. Mindestens 205 Menschen sind tot. Zahlreiche Personen werden vermisst. Häuser, Autos und Strassen sind völlig zerstört und unter Schutt begraben. An vielen Orten fehlt es an Lebensmittel, Wasser und Strom.
In der Nacht auf Freitag traf ein starker Sturm die Provinz Huelva und überschwemmte einen Grossteil davon. In den angrenzenden Städten wurden in den frühen Morgenstunden bis zu 100 Liter pro Quadratmeter gemessen.
Dos sistemas convectivos de mesoescala prácticamente estacionarios y muy activos este viernes. Uno sobre el mar, pero próximo a la costa de Castellón y el otro, bastante peligroso, sobre Huelva.
Este último lleva horas en la misma zona y ya está dejando incidencias importantes. pic.twitter.com/SIrFfWq0s3
Mehr als 1200 Soldaten beteiligten sich bereits an den Rettungsarbeiten. Die Regierung kündigte an, von Freitag an weitere 500 Soldaten in die betroffenen Regionen zu entsenden, um die Logistik und die Verteilung von Hilfsgütern sicherzustellen.
«Historisches Unwetter»
Der Wetterdienst Aemet sprach von einem «historischen Unwetter», dem schlimmsten solcher Art in diesem Jahrhundert in der Region Valencia. Ausgelöst wurde es durch das Wetterphänomen «Gota fría», auf Deutsch «Kaltlufttropfen».
Erich Fischer vom Institut für Atmosphäre und Klima an der ETH Zürich erklärt blue News, dass ein solches Phänomen entsteht, wenn kalte Höhenluft auf Luft über dem noch warmen Mittelmeer trifft. Die Folgen sind heftige Regenfälle.
Obwohl es im September und Oktober immer wieder zu solchen Regenfällen in dieser Region kommt, sagt der Klimatologe: «Das Ausmass war so nicht zu erwarten.» Zwar konnte man den Kaltlufttropfen ein paar Tage im Voraus vorhergesehen, speziell sei jedoch gewesen, dass in einem kleinen Streifen um Valencia herum sich besonders starke Gewitter gebildet haben und über Stunden einfach stehen blieben.
Die Wetterstation der Region Toris–Canyapar südlich von Valencia verzeichnete 630 Liter Niederschlag pro Quadratmeter innerhalb von 24 Stunden. Das entspricht etwa fünf Badewannen voll Wasser. «Die Regenmenge war gigantisch», so der Experte.
Eine offene Frage in der Wissenschaft
Ob Kaltlufttropfen in Zukunft häufiger auftreten werden, sei eine offene Frage in der Wissenschaft. Diese extreme Häufung diesen Herbst wirft jedoch die Frage auf: Ist es ein ausserordentliches Jahr oder gibt es einen Trend? «Die Antwort wissen wir nicht. Was wir aber sagen können: Sie können mit intensiveren Niederschlägen rechnen.»
Währenddessen Spanierinnen und Spanier versuchen, wieder auf die Beine zu kommen und nach Vermissten suchen, streiten sich Politikerinnen und Politiker des Landes darüber, wer schuld an dieser Zerstörung ist. Hätten die vielen Todesopfer verhindert werden können?
Laut Fischer kann man die Frage nach der Schuld noch nicht beantworten, es sei noch zu früh. Aber: «Man fragt sich schon, warum das Unwetter in Österreich und Frankreich weniger Menschenleben forderte, als dasjenige jetzt in Spanien.»
Das letzte Mal so viele Tote durch ein Unwetter in Europa gab es im Jahr 2021. Insgesamt 220 Menschen kamen dabei ums Leben, mindestens 188 davon in Deutschland. «In beiden Fällen muss man sagen, dass die Unwetter-Warnung sehr spät kam», so Fischer.
Bewohnerinnen und Bewohner berichten gegenüber verschiedenen Zeitungen, dass die Warnung auf ihrem Handy erst viele Stunden später eintraf. Als das Wasser bereits durch die Strassen schoss.
Wurde zu wenig in Hochwasserschutz investiert?
Auch die Wetterprognossen seien laut Fischer da gewesen. Spanische Zeitungen warnten bereits ein paar Tage vorher vor dem Unwetter. Warum kam es dann aber trotzdem zu vielen Todesopfern? «Einerseits hat es eine Region getroffen, die sehr dicht besiedelt ist, andererseits fragt man sich, ob zu wenig in Hochwasserschutz investiert wurde und die Menschen zu spät gewarnt wurden», schätzt Fischer ein. Schlussendlich habe aber auch die eine Regierung die Verantwortung, ihre Leute so gut wie möglich zu schützen.
Doch die starken Niederschläge allein hätten nicht zu den immensen Schäden in Spanien geführt. Der Experte erklärt, dass die Gewitterzellen genau so ausgerichtet waren, dass die Flüsse übers Ufer traten und es dadurch zu den grossen Schäden kam. «Schäden traten auch in Regionen auf, die gar nicht die maximale Niederschlagsmenge abbekommen haben. Es ist also zu berücksichtigen, dass der Fluss, der übers Ufer trat, die meisten Todesopfer verursacht haben.»
Klimawandel verstärkt solche Ereignisse
Und auch dem Klimawandel allein könne man nicht die Schuld an dem Unwetter geben, aber er habe es definitiv begünstigt. «Solche Ereignisse gab es schon in der Vergangenheit, durch den Klimawandel werden sie intensiver.»
Drei bis vier Tage soll das Unwetter in Spanien noch andauern. Dann gäbe es laut Fischer einige Fragen, die geklärt werden müssen. Unter anderem: «Warum führten gleichartige Ereignisse an anderen Orten zu weniger Todesopfer und wie kann man beim nächsten Mal das Hochwasserrisiko mindern, früher warnen und ein solches Ausmass der Katastrophe verhindern?»