60 Jahre Boulevard Der erste «Blick» machte sogar dem Bundesrat Angst

Von David Eugster

14.10.2019

Die Titelseite der ersten «Blick»-Ausgabe
Die Titelseite der ersten «Blick»-Ausgabe
Bild: Keystone

Vor 60 erschien die erste Ausgabe des «Blick». Willkommen war sie vielen nicht, die «Schwobezeitung» schäche die Widerstandskraft der Schweizer, fand man. Die Leser hielt das nicht davon ab, die Zeitung in Scharen zu kaufen.

Am 14. Oktober 1959 wurde die Schweizer Boulevard-Zeitung «Blick» zum ersten Mal verkauft. Bildlastig und unterhaltend sollte sie berichten. Bereits auf der Titelseite trafen ein Kindsmord, fröhliche Prominente, der Algerienkrieg und Katastrophen aufeinander. Auf den Seiten danach folgten weitere Kriminalfälle, aber auch Witze, Horoskope, Rätsel. Der «Blick» orientierte sich inhaltlich eher an Zeitschriften, die nicht der politischen Information, sondern der reinen Unterhaltung dienen sollten.

«Mord- und Totschlag-Zeitung»

Die knappen sechs Seiten dünnen Zeitungspapiers lösten in der Deutschschweiz dennoch – oder gerade deswegen – einen Sturm des Protestes aus. Studenten in Zürich verbrannten das Blatt öffentlich: Sie stopften eine Puppe mit dem schändlichen Zeitungspapier aus – und setzten sie in Brand. Sie sahen in der «Mord- und Totschlag-Zeitung» einen nächsten Schritt in der drohenden Verdummung der Menschheit.

Die Gruppe «Junges Zuerich» verbrennt am 31. Oktober 1959 in Zürich eine Puppe, die mit der Zeitung ausgestopft ist.
Die Gruppe «Junges Zuerich» verbrennt am 31. Oktober 1959 in Zürich eine Puppe, die mit der Zeitung ausgestopft ist.
Bild: Keystone/Photopress-Archiv/Schm

Viele sahen in der neuen Zeitung geradezu eine geistige Invasionsmacht. So verdächtigten manche sie, eine Kopie der deutschen «Bild»-Zeitung zu sein – 14 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg kein Kompliment. Demonstranten liefen mit Plakaten durch die Strassen, auf denen stand, man wolle keine «Schwobe-Ziitig». Selbst die Verlagsgruppe Ringier, die den «Blick» selbst herausgab, sah sich bemüssigt, diesen Vorwurf aufzunehmen. Der «Blick», so stellte man es dar, sei als eigentlicher Verteidiger der Schweizerischen Presselandschaft einem tatsächlich geplanten deutschen Produkt zuvorgekommen.

Ablehnung von allen Seiten

Das half nichts: Der «Blick» galt zu Beginn als «unschweizerisch». Selbst der Bundesrat lehnte die neugeborene Zeitung ab. Er kommunizierte öffentlich, es sei zu befürchten, dass das Blatt auf die «geistige Haltung und Widerstandskraft» der Leser einen schwächenden Einfluss nehme. Das war in Zeiten des Kalten Krieges ein grober Vorwurf, der nichts weniger bedeutete, als dass man dem «Blick» zutraute, die geistigen Fronten zu schwächen, die das Land vor einer Übernahme durch kommunistische Armeen schütze.

Das war insofern ironisch, als sich doch keine Zeitung so sehr am Ideal des freien Marktes orientierte. Damals war es bei vielen Zeitungen noch die Regel, dass die Parteibindung die Inhalte bestimmte. Nicht so beim «Blick»: Geschrieben wird, was gelesen wird. Die Leser wurden auch in die Berichterstattung eingebunden: «Wenn Sie zufällig Zeuge eines wichtigen Ereignisses werden, dann schreiben Sie.» Der Leserreporter war geboren.

Der «Blick» ging anfangs untendurch: Zeitweise musste sogar teuer Papier aus dem Ausland importiert werden, da die Papierunternehmen die Zeitung boykottierten – ebenso wie die Inserenten.

Die Leser liebten es

Doch die liessen sich bald von den Auflagenzahlen überzeugen, ihre Skepsis abzulegen. Bereits die erste Ausgabe von 48'000 Exemplaren verkaufte sich bis Mittag – 1962 waren es 100'000 täglich, 1967 bereits 200'000. Zu Beginn der 1970er-Jahre war jede zehnte verkaufte Zeitung eine Ausgabe des «Blick» – und das in einer damaligen Zeitungslandschaft mit über 250 Titeln.

Heute hat der «Blick» sein Alleinstellungsmerkmal verloren – die Attraktion von Sensationen, Unterhaltung und Prominenz nutzen heute fast alle Zeitungen. Ein Journalismus ohne eine Spur Boulevard ist heute kaum mehr denkbar.

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