Zunftmeister erklärt SechseläutenWieso genau machen die Zürcher diesen Zirkus um ihren Böögg?
Von Alessio Blaser, Marta Rau, Nicole Agostini und Monique Misteli
16.4.2023
Wieso genau machen die Zürcher diesen Zirkus um ihren Böögg?
Das Zürcher Sechseläuten ist in der ganzen Schweiz bekannt. Doch was es mit dem traditionellen Frühlingsfest auf sich hat und was nebst dem «Böögg verbränne» sonst noch gefeiert wird, erfährst du hier.
14.04.2023
Das Zürcher Sechseläuten ist in der ganzen Schweiz bekannt. Doch was es mit dem traditionellen Frühlingsfest auf sich hat und was nebst dem «Böögg verbränne» sonst noch gefeiert wird, erfährst du hier.
Von Alessio Blaser, Marta Rau, Nicole Agostini und Monique Misteli
16.04.2023, 14:24
09.04.2024, 07:48
Alessio Blaser, Marta Rau, Nicole Agostini und Monique Misteli
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Vom 14. bis 17. April findet das alljährliche Sechseläuten in Zürich statt.
Beim Frühlingstfest stehen die Zürcher Zünfte und das «Böögg verbränne» im Mittelpunk. Die Regel lautet: Je kürzer die Brenndauer, desto besser wird der Sommer.
Der Feiertag findet immer zur Sonnenwende (Tag- und Nachtgleiche) statt.
Es ist wieder so weit – pünktlich zur Tagundnachtgleiche kehrt der Böögg auf den Zürcher Sechseläuten-Platz zurück.
Vom Freitag bis Montag spät in die Nacht findet das Sechseläuten statt, wobei sich die grösste Schweizer Stadt ganz in die Hände der Zünfte legt.
blue News wollte deshalb von Passant*innen wissen, was hinter dem schweizweit bekannten Feiertag steckt und welche Rolle die Zünfte dabei spielen? Die Antworten inklusive zünftiger Auflösung vom Witiker Zunftmeister Beat Eherensberger gibt's im Video.
Und falls du mit noch mehr Hintergrundwissen als «Böögg verbränne», «Blumensträusse sammeln» und «Wurst bräteln» glänzen willst, dann lohnt es sich, hier weiterzulesen:
Was wird warum gefeiert?
Das Sechseläuten sei eine Mischung aus Zünften und heidnischem Brauchtum, sagt Beat Ehrensberger, Zunftmeister der Zunft Witikon.
Einerseits wurzelt es in der damaligen Gewerbeordnung der Zünfte, die die Arbeitszeiten der Handwerker bestimmte. «Im Winter konnte aufgrund der Lichtverhältnisse nur bis um fünf Uhr am Abend gearbeitet werden», sagt Zunftmeister Ehrensberger. Deshalb läuteten am ersten Montag, der auf die Tagundnachtgleiche folgte, abends um sechs die Feierabendglocke des Grossmünsters – zum Zeichen, dass der Frühling gekommen ist, und dass abends eine Stunde länger gearbeitet wird.
Was früher quasi ein Fest der längeren Arbeitszeiten war, hat sich heute zu einem Fest des Zunftlebens entwickelt, wo Geselligkeit, Traditionen und Werte der Stadt Zürich zelebriert werden.
Zum andern ist das Sechseläuten ein heidnischer Brauch. Dabei wird sinnbildlich der Winter verbrannt und die wärmere Jahreszeit eingeläutet.
Übrigens: Wann das Sechseläuten, so wie es heute praktiziert wird, das erste Mal stattfand, ist nicht ganz klar. Man weiss lediglich, dass die Tradition über hundert Jahre alt sein dürfte.
Zünfte, was machen die genau?
Zünfte prägen das Zürcher Stadtbild schon lange. Und zwar genau seit 1336. Mit der entsprechenden Zunftverfassung formten sich die eher losen Handwerker- und Händlergruppen zu festen Organisationen, die die bis damals regierenden Ritter aus dem Rathaus vertrieben. Im Grossen Rat nahmen danach ausschliesslich Vertreter aus den Zünften Sitz ein.
«Über 450 Jahre haben sie die politischen und wirtschaftlichen Geschicke der Stadt geleitet und bestimmt», so Ehrensberger und macht in folgendem Beispiel deutlich, was das bedeutete.
Wollte zu jener Zeit jemand Bäcker werden, musste er sich bei der entsprechenden Zunft um eine Aufnahme bewerben. Erfüllte er die von der Zunft selbst aufgestellten Regeln nicht oder gab es schon genug Bäcker in der Stadt, blieb dem Bewerber das Ausüben des Bäckerberufs verwehrt. Die Zünfte bestimmten auch, wer in der Stadt wohnen durfte oder wegziehen musste.
Nebst den politischen und wirtschaftlichen Funktionen hatten die Gemeinschaften auch eine gesellschaftliche inne, etwa die Fürsorge ihrer Mitglieder. Dazu unterhielten sie sogenannte Trinkstuben, wo die Geselligkeit gepflegt wurde.
Mit dem Einmarsch Napoleons in die Schweiz verloren 1798 die Zünfte ihre staatstragenden Aufgaben. Und mit der Einführung des Wahlrechts für alle Einwohner 1866 bestehen die Zünfte ausschliesslich als Vereine ohne politischen Zweck weiter. Seither widmen sie sich vorwiegend dem Sechseläuten und dem Bewahren von Tradition und Brauchtum der Stadt Zürich.
Die vergangenen Jahre wurden die Zünfte vermehrt kritisiert, weil ausschliesslich Männer Mitglieder werden können. Ob Frauen sich in Zukunft um eine Zunftmitgliedschaft bewerben können, darüber ist sich Zunftmeister Eherensberger nicht sicher. Die Diskussion sei erst bei einigen Zünften im Gange, bei anderen noch gar kein Thema. Bisherige Abstimmungen seien auch nicht durchgekommen. Das habe auch damit zu tun, dass die Platzverhältnisse in den jeweiligen Zunftstuben über die Anzahl Mitglieder entscheide und die Verhältnisse bereits jetzt eng seien, führt Ehrensberger aus.
Ehrensberger führt ein grosses Aber an und verweist auf die seit 1989 existierende Gesellschaft zu Fraumünster, die ausschliesslich Frauen als Mitglieder aufnimmt und seit 2011 am Sechseläuten-Umzug mitlaufen darf.
Die Sache mit dem Böögg
Der Böögg steht im Zentrum des Sechseläutens. Jahr für Jahr wird die 3,4 Meter grosse und 80 Kilogramm schwere Holzgestalt auf einem rund 10 Meter hohen und 7 Meter breiten Scheiterhaufen mitten auf dem Sechseläutenplatz feierlich verbrannt.
Das Ritual entwickelte sich über Jahrhunderte von einem heidnischen Brauch zu einem Spiel für Kinder, welche Erwachsene erschreckten und anbettelten, bis sich daraus (schätzungsweise im 18. Jahrhundert) das «Böögg verbränne» entwickelte. Erst seit 1902 wird der Böögg auf dem Sechseläutenplatz verbrannt.
Und das Verbrennen hat es in sich. Die einstige Strohpuppe hat sich zu einem Hightech-Böller entwickelt: In seinem Körper stecken um die hundert Kracher, Böller und sogenannte Donnerschläge. Die machen das Verbrennen zu einem akustischen Erlebnis.
Die Regel lautet: Je schneller der Kopf des Bööggs explodiert, desto rascher und schöner wird der Sommer. Während der Böögg brennt, umreiten die Reitergruppen der rund 26 Zünften für drei Runden. Man habe die Anzahl Runden am Durchschnitt der Brenndauer des Bööggs und der Anzahl Zünfte berechnet, erklärt Ehrensberger.
Fünf Minuten war die kürzeste Brenndauer. Am längsten dauerte es 2016 mit 43 Minuten und 34 Sekunden. Den Sommer 2016 fassen die Schweizer Wetterdienste als «beständig unbeständig» mit einem Juni voller Unwetter zusammen.
Der Umzug
Erst ab dem 19. Jahrhundert haben Zünfter damit begonnen, kleine Umzüge während der Nacht zu veranstalten. Daraus entwickelte sich der Sechseläutenumzug. Die ersten Umzüge muteten mehr wie muntere Fasnachtsumzüge an. Die strukturierte Form von heute entwickelte sich über die Zeit. Seit den 1890er Jahren findet am Sonntag vor dem Sechseläuten ein Kinderumzug statt, an dem bis zu 3000 Kinder teilnehmen.
Heutzutage laufen 3500 Zünfter in den historischen Kostümen und Uniformen der Limmat entlang. 350 Pferde sowie 50 Wagen und 30 Musikgesellschaften begleiten den Marsch.