Schweizer Firmen beteiligt? Russisches Öl kommt trotz Sanktionen nach Europa

tjnj

22.5.2023

Öl wie das des russischen Staatsunternehmens Transneft darf nicht mehr über den Seeweg in die EU importiert worden. In raffinierter Form findet es aber trotzdem seinen Weg nach Europa.
Öl wie das des russischen Staatsunternehmens Transneft darf nicht mehr über den Seeweg in die EU importiert worden. In raffinierter Form findet es aber trotzdem seinen Weg nach Europa.
Bild: Stringer/dpa

Dank Ölembargo und Preisdeckel macht vor allem Indien ein gutes Geschäft mit russischem Öl. Der Krieg in der Ukraine hat den Markt völlig umstrukturiert. Auch Schweizer Firmen könnten dabei eine Rolle spielen.

tjnj

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Indien ist zum grössten Kraftstofflieferanten für Europa aufgestiegen, obwohl es kein grosses Erdölvorkommen besitzt.
  • Trotz westlicher Sanktionen ist es vor allem russisches Öl, das in Indien zu Benzin und Diesel verarbeitet und dann weiterverkauft wird.
  • Diese Praxis ist nicht illegal. Durch den westlichen Ölpreisdeckel soll verhindert werden, dass Russland in so einem Fall an den Geschäften verdient.
  • Dass einige mysteriöse Kleinfirmen nun an Stelle der grossen Unternehmen – viele davon aus der Schweiz – mit russischem Öl handeln, spricht dafür, dass Moskau dennoch einen Weg gefunden hat, den Rohstoff gewinnbringend zu verkaufen.
  • Die NGO Public Eye glaubt, dass daran auch Schweizer Händler beteiligt sein könnten.

In weiten Teilen Europas ist es verboten, russisches Öl sowie Benzin und Diesel auf dem Seeweg einzuführen. Das gilt auch für die Schweiz. Offenbar findet der für die Finanzierung von Moskaus Kriegsmaschinerie so wichtige Rohstoff trotzdem seinen Weg in die EU: über einen «teuren und Tausende Kilometer langen Umweg», wie der Datenanalyst Viktor Katona dem «Spiegel» sagt.

In seiner Tätigkeit für das Unternehmen Kpler überprüft Katona Lieferketten auf der ganzen Welt: Welche Route nimmt welches Schiff. Dabei hat er sich auf Rohöl spezialisiert.

Was ihm in den letzten Monaten besonders aufgefallen ist: Seitdem der Westen Russland mit Sanktionen belegt hat, steuern Tanker mit russischem Öl vornehmlich Häfen in der Türkei, Saudi-Arabien und Indien an.

Indien überholt Saudi-Arabien

Kraftstofflieferungen von Indien in die EU haben im vergangenen April einen neuen Höchststand erreicht. Das belegen von Kpler erhobene Daten. Damit hat das Land sogar Saudi-Arabien knapp hinter sich gelassen. Es sind vor allem diese beiden Länder, die Europa seit Inkrafttreten der Sanktionen mit Treibstoff versorgen.

Was Indiens neue Position auf Augenhöhe mit dem Öl-Giganten Saudi-Arabien besonders bemerkenswert macht: Das Land verfügt zwar über die grösste Raffinerie der Welt – das eigene Erdölvorkommen hält sich aber in überschaubaren Grenzen.

Dass das Öl, das indische Raffinerien zu Benzin und Diesel weiterverarbeiten, bevor es an europäische Länder geliefert wird, stattdessen aus Russland stammt, ist laut Katona angesichts der «Mengen, die Indien einkauft, schier unausweichlich».

Russisches Öl wird zu indischem Benzin

Illegal ist das nicht, denn das Endprodukt wird nicht mehr dem Land zugerechnet, aus dem das Rohöl stammt, sondern demjenigen, in dem es raffiniert wurde. Wird russisches Öl in einer indischen Raffinerie zu Benzin und Diesel verarbeitet, gilt es als indischer Treibstoff. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Raffinerien sich oft zum Teil im Besitz russischer Konzerne befinden.

Insofern sind die europäischen Sanktionen gegen Moskau ein Segen für die indische Wirtschaft. Früher konnte sich das Land russisches Öl kaum leisten, jetzt ist Russland sein grösster Öllieferant: Vor dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde lediglich ein Prozent des indischen Nationalbedarfs mit russischem Öl gedeckt. Jetzt sind es knapp 40 Prozent.

Auch Russland selbst greift zu Tricks, um sein Öl verkaufen zu können: Es kauft alte Frachter, deren Verbindungen zum Kreml sich schwer nachweisen lassen oder beliefert andere Frachter direkt auf hoher See – von Schiff zu Schiff statt in einem besser beobachteten Hafen.

Schweiz war führender Exporteur russischen Öls

Wie sehr sich der internationale Ölhandel seit Beginn des Krieges in der Ukraine verkompliziert hat, hat die NGO Public Eye recherchiert – auch im Hinblick auf die Aktivitäten von Schweizer Unternehmen auf dem umstrukturierten Markt.

50 bis 60 Prozent aller russischen, für den Export bestimmten Ölbarrels sind demnach vor dem Krieg von Schweizer Händlern wie Trafigura, Vitol und Glencore verkauft worden. Die Schweiz war der europäische Spitzenverkäufer russischen Öls.

Umso verheerender war es also für die Öl-Industrie, als die Schweiz sich im Juni 2022 dem europäischen Embargo für russisches Öl anschloss. Ein Trader, mit Public Eye gesprochen hat, spricht von «Weltuntergangsstimmung».

Billiges Öl, teures Benzin

Im Dezember 2022 beschliesst die westliche Welt auf amerikanische Initiative zudem einen «Preisdeckel», der Moskau dazu zwingen soll, sein Öl zu niedrigen Preisen verkaufen zu müssen. «Dem Rest der Welt soll es ermöglicht werden, weiterhin russisches Öl zu beziehen, ohne dass Russland dadurch reicher wird», zitiert Public Eye den Analysten eines Handelshauses.

Es profitieren Länder wie China, die Türkei und eben Indien: Sie bekommen billiges Öl, das sie dann in weiterverarbeiteter Form zu hohen Preisen in die ganze Welt verkaufen. An die Stelle der Grosshändler, die nicht mit Wladimir Putin in Verbindung gebracht werden wollen, treten ausserdem ominöse neue Firmen.

Wie gelangt das Geld nach Russland?

«Der Handel geht weiter, aber die Hauptschwierigkeit besteht darin, Kanäle zu finden, über die man die Russen bezahlen kann», sagt ein in Genf ansässiger Trader, dem im Oktober von einer Tochtergesellschaft des russischen Ölkonzerns Rosneft das Angebot unterbreitet worden war, günstiges Öl zu erwerben – das Geld hätte er auf das Konto einer Briefkastenfirma in Grossbritannien mit Sitz im Oman überweisen sollen.

Die neuen Firmen müssen sich gar nicht gross bemühen, um das Embargo zu umgehen: Man müsse nur eine russische Firma bezahlen, die von keinen Sanktionen betroffen sei – mit gefälschten Rechnungen. Diese würden das Geld dann an den eigentlichen Öllieferanten in Russland weiterleiten – gegen einen Anteil des Gewinns.

Mysteriöse Firmen fassen Fuss

So ist eine Woche vor Kriegsbeginn eine Firma mit dem Namen Nord Axis Limited registriert worden. Wer dahinter steckt, ist unbekannt. Nord Axis handelt «mit grossen Mengen russischen Erdöls», wie Public Eye schreibt.

Auch Trafigura macht laut der NGO Geschäfte mit dieser Firma, sagt aber, diese sei «gründlich geprüft worden»: Die Firma habe «keine Verbindung zu Trafigura» und der Eigentümer sei auch nicht russisch.

Wie Trafigura hat auch Vitol seine Verbindungen zu Rosneft aufgekündigt. Seine 5 Prozent Anteil an der russischen Firma Vostok Oil hat die Firma ebenfalls abgestossen. Laut Recherche von Public Eye an das erst seit April 2022 in Dubai eingetragene Unternehmen Fossil Trading FZCO. Dieser Firma gehören 100 Prozent der Anteile der Firma Energopole aus Genf – die vor dem Krieg eine Tochtergesellschaft von Rosneft war.

Wer finanziert die Kleinfirmen?

Was es genau mit den kleinen Firmen, die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine plötzlich ohne jegliches Profil auf der Bildfläche erschienen, auf sich hat, bleibt unklar. Die meisten von ihnen haben ihren Sitz in Dubai oder Hongkong, wo keine Sanktionen gegen Russland in Kraft sind.

Manche spekulieren, bei diesen Firmen handele es sich um «Strohfirmen», hinter denen grössere Unternehmen stecken würden. Eine Analystin, mit der Public Eye gesprochen hat, wundert sich darüber, wie diese Firmen «in wenigen Monaten perfekt in der Lage sind, Fracht zu transportieren und zu versichern sowie Finanzierungen zu erhalten. Sie werden zwangsläufig von anderen, grösseren Unternehmen unterstützt», mutmasst sie.