Das Problem mit invasiven Arten «Wenn sich die Asiatische Hornisse durchsetzt, wird es teuer»

Von Michael Angele

23.7.2023

Muss man vor der Tigermücke Angst haben?

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Tessin, Graubünden, Basel und seit Sommer 2019 auch in Zürich: Die asiatische Tigermücke ist auf dem Vormarsch und beunruhigt die Bevölkerung. Schliesslich gilt das Insekt als Überträger tropischer Virus-Erkrankungen. Sind wir in Gefahr?

17.01.2020

Asiatische Hornisse, Grauhörnchen, Japanischer Staudenknöterich: Invasive Arten setzen die heimische Flora und Fauna unter Druck. Der Biologe Ingolf Kühn erklärt, was in den nächsten Jahren auf uns zukommt.

Von Michael Angele

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Immer mehr invasive Arten üben Druck auf das heimische Ökosystem aus.
  • Es ist davon auszugehen, dass diese Entwicklung mit dem Klimawandel noch zunehmen wird.
  • Der Biologe Ingolf Kühn erklärt, was auf uns zukommt und wie wir mit den Veränderungen in Flora und Fauna umgehen können.

Asiatische Hornissen jagen zur Ernährung ihrer Larven Insekten, insbesondere Wild- und Honigbienen: Sie sind hierzulande nicht heimisch, aber sie verbreiten sich rasant. Dieses Jahr gab es bereits 66 Funde in sieben Kantonen. Forscherinnen und Forscher erwarten in den kommenden Jahrzehnten einen starken Anstieg von invasiven Arten. Was das für Europa und für die Schweiz bedeutet, erklärt Biologe Ingolf Kühn im Interview mit blue News.

Zur Person

Der Biologe Ingolf Kühn ist Departementleiter am deutschen Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und Fellow der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. Kühn forscht unter anderem zu den Auswirkungen des globalen Wandels auf natürliche Systeme, Biodiversität und Naturschutzbiologie.

In diesen Tagen macht die Asiatische Hornisse von sich reden. Sie ist ein wenig verzögert in der Schweiz angekommen, zuerst in der Romandie. Warum gerade hier?

Die Asiatische Hornisse ist über den Mittelmeerraum nach Europa gekommen und hat sich insbesondere in Frankreich massiv ausgebreitet. Deshalb ist sie in der Westschweiz schneller angekommen als im Rest der Schweiz. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis sie im Mittelland zahlreich wird.

Wird sie denn auch den Alpenraum besiedeln?

Zumindest den unteren Bereich und mit dem Klimawandel vermutlich auch den höheren.

Lässt sich das verhindern?

Nein, die Schweiz ist nicht Grossbritannien. Dort liegt ein Kanal zwischen Festland und der Insel. Irgendwann wird die Asiatische Hornisse den ganzen klimatisch geeigneten Bereich in Mitteleuropa besiedeln.

In der Schweiz wird dazu aufgerufen, die Asiatische Hornisse zu töten, wenn sie einem ins Visier kommt.

Generell würde ich das Töten nie den Laien überlassen. Zum einen fängt man sich Stiche ein, zum anderen kann man es auch nicht richtig. Aber die Asiatische Hornisse zu bekämpfen, ist schon wichtig. Sie frisst die einheimischen Bestäuber. Und wir wissen um die Leistungen der Bienen, Hummeln und Wespen für die Landwirtschaft. Wenn sich die Asiatische Hornisse durchsetzt, wird es teuer.

Wie teuer?

Es ist wie beim Klimawandel. Hätte man vor 30 Jahren schon gehandelt, wäre das aus heutiger Sicht ein Klacks. Ein Team von Kollegen hat errechnet, dass die derzeitigen Kosten von biologischen Invasionen heute weltweit in derselben Grössenordnung sind wie die Kosten, die von Naturkatastrophen wie Überflutungen, Stürmen, Waldbränden verursacht werden.

Könnten Bienen nicht einen Schutzmechanismus gegen die Hornissen entwickeln?

Dazu fehlt schlicht die Zeit. Hätten wir zehntausend Jahre, würden sich viele unserer heimischen Tiere mit Sicherheit anpassen können. Das ist oft passiert. Jetzt aber setzen viele Umwelteinflüsse den Arten zu: die Überdüngung, die Fragmentierung und die Vernichtung von Lebensräumen. Natürlich der Klimawandel. Und obendrauf kommt nun die Bedrohung durch die invasiven Arten.

Auch der Waschbär ist potenziell invasiv: Viele finden ihn total herzig. Gibt es einen Konflikt zwischen Ökologie und Tierschutz?

Diese Konflikte gibt es definitiv. Da, wo wir wohnen, gibt es um die Ecke eine alte hohle Eiche, in der eine Waschbär-Familie lebt. Die Tiere sind echt putzig. Ich habe sie dem Jäger verschwiegen. Andererseits ist der Waschbär tatsächlich eine derjenigen Arten, die massiv auf Vogelnester geht und Vogelpopulationen dezimiert. Und noch etwas.

Ja?

Wir wissen, dass die grössten Feinde der Vögel nicht eine invasive Art ist, sondern unsere streunenden Hauskatzen. Und da kommen wir erst recht in den Konflikt zwischen Naturschutz und Tierschutz. Oder denken Sie an das nordamerikanische Grauhörnchen. Es ist Träger einer Viruserkrankung, gegen die es immun ist, die aber die roten Eichhörnchen vernichtet. Zuerst hat es eine Handvoll Grauhörnchen in Norditalien gegeben. Die Biologen haben sofort gesagt: einfangen und töten. Der Tierschutz hat aufgeschrien. Die Tiere haben sich ausgebreitet und sind jetzt auch in die Schweiz gekommen. Um das Leben von sechs niedlichen Grauhörnchen zu retten, hat man das Leben Tausender einheimischer Eichhörnchen geopfert.

Warum ist es so schlimm, wenn wir statt roter Eichhörnchen bald nur noch graue haben?

Es gibt hier auch eine ethische und kulturelle Frage. Wollen wir als Menschen für den Rückgang und gegebenenfalls das Aussterben von weiteren Arten verantwortlich sein? Aber auch: Wollen wir eine Tier- und Pflanzenartenwelt haben, in der überall nur noch die gleichen, widerstandsfähigen Arten vorkommen? Ähnlich wie wir in unseren Grossstädten ja immer die gleichen grossen Ladenketten sehen?

Die Berichte über invasive Arten, so meine Beobachtung, nimmt zu. Weil es mehr Invasion gibt? Oder weil wir sensibler für das Problem geworden sind?

In Mitteleuropa hat die Forschung zu diesem Thema tatsächlich erst vor gut 30 Jahren begonnen. Und erst vor zehn Jahren sind alle EU-Mitgliedsländer aufgefordert worden, die Ausbreitung von invasiven Arten zu verhindern. Gleichzeitig haben die Anzahl der Arten und die Anzahl der Individuen pro Art, die durch den Menschen neu in Gebiete eingebracht werden und sich ausbreiten, tatsächlich zugenommen. Je mehr Verkehr und je mehr Handel wir haben, desto mehr fremde Arten bekommen wir, die das Potenzial haben, invasiv zu werden.

Sind eingeschleppte Pflanzen weniger schädlich als gebietsfremde Tiere?

Bei den Pflanzen haben wir tatsächlich einen vergleichsweise geringen Anteil an Arten, die Probleme machen können. Diese können dann aber massiv sein, wie die Allergien auslösende Beifuss-Ambrosie, der alles überwuchernde Japanische Staudenknöterich oder der im Mittelmeerbereich antike Bauwerke oder Infrastruktur zerstörende Götterbaum.

19 Pflanzenarten gelten in der Schweiz als invasiv. Eher viel oder wenig?

Es könnten ruhig noch mehr sein. Die Schweizer Liste hat eine Besonderheit. Die Auswahl übernimmt eine Expertenrunde: Die Kriterien werden nicht veröffentlicht, sodass wir nicht genau nachvollziehen können, aus welchen Gründen eine Art auf diese Liste kommt. Im Unterschied zur Liste der Europäischen Union steht dafür das Kostenargument nicht so im Vordergrund. Auf der Schweizer Liste stehen tatsächlich Arten, deren Entfernung richtig teuer wird.

Zum Beispiel?

Würde man den Riesenbärenklau oder den Japanischen Staudenknöterich radikal entfernen, dann kostete das richtig viel Geld.

Bärenklau kann nicht nur giftig sein, er sieht ja auch spooky aus.

Weil die Pflanzen halt so gross sind. Aber wegen ihres exotischen Aussehens sind sie aus dem Kaukasus eingeführt worden. Auch bei meinen Eltern im Garten standen die Stauden.

Welche Rolle spielen die Gartencenter in der Verbreitung der invasiven Arten?

Eine grosse. Drei Viertel aller Pflanzenarten, die sich in Mitteleuropa eingebürgert haben, wurden bewusst für Landwirtschaft, Forstwirtschaft oder eben auch für den Garten eingeführt. Das heisst, die Gartencenter sind ganz wichtig in der sogenannten Einführungsphase. Immerhin: Stehen Pflanzen auf der schwarzen Liste, dürfen sie in einigen Kantonen nicht mehr verkauft werden. 

Wird die Liste durch den Klimawandel länger werden?

Die allermeisten Pflanzenarten, aber auch viele der Insektenarten, die bei uns problematisch werden, kommen aus wärmeren Regionen, aus klimatisch begünstigten Gebieten. Es ist also davon auszugehen, dass diese Entwicklung mit dem Klimawandel noch zunehmen wird. Es gibt aber ein zusätzliches Problem.

Welches?

Auch Arten, die vorher keine Probleme gemacht haben, machen plötzlich Probleme. Ein Kollege aus Berlin hatte schon vor vielen Jahren eine Analyse veröffentlicht, in der er «Lag-Phasen» aufgezeigt hat, also Phasen, in denen das Geschehen hinterherhinkt. Arten, die zu uns kommen, brauchen zehn, zwanzig Jahre, bei Bäumen dauert es sogar 100 bis 400 Jahre, bis sie sich überhaupt ausbreiten können. In der Zeit findet eine Mikroevolution statt.

Was heisst das?

Irgendwann einmal werden Samen produziert, die wieder Nachkommen haben, die mit den Standortfaktoren klarkommen, sich ausbreiten können und dann Probleme machen. Der Klimawandel kommt jetzt dazu. Und es sind oft die gleichen Faktoren, die für die Zunahme der eingeführten und den Rückgang der einheimischen Arten sorgen.

Warum gibt es im Tessin so viele invasive Arten?

Viele kommen aus Italien. Und das Tessin ist klimatisch begünstigt. Aber es kommt auch viel über die Burgundische Pforte rein und ist dann im Mittelland zu finden. Danach geht es dann nach Deutschland, nach Baden-Württemberg rüber.

Verschwinden invasive Arten eigentlich auch wieder?

Regional zumindest schon. Nehmen Sie das Drüsige Springkraut. Das überwuchert erst mal alles. Aber darunter können sich in der Regel immer noch die einheimischen Arten halten. Und häufig ist es so, dass das Springkraut fünf bis zehn Jahre an einer Stelle bleibt, dann bricht der Bestand zusammen und es breitet sich woanders wieder aus. Und dann kommt, was übrig geblieben ist, wieder hinterher.

Die Robinie sollten wir tatsächlich nicht anbauen, denn sie nimmt vereinfacht gesagt Stickstoff aus der Luft auf und pumpt ihn in den Boden. Durch die Landwirtschaft, auch durch Verbrennungsprozesse haben wir aber schon einen massiven Überschuss an Stickstoff in unseren Lebensräumen. Die Robinie dringt in die von Natur aus nährstoffarmen Räume ein und bewirkt, dass diejenigen Arten, die mit einem höheren Stickstoffangebot leben können, die Konkurrenz verdrängen, die oft zu den selteneren, schutzwürdigen Arten gehört. 

Mit dem Klimawandel stellt sich auch die Frage, was in den Städten für Bäume gepflanzt werden sollen. Mit der Robinie gibt es eine umstrittene Kandidatin ...

Was wäre sinnvoller?

Die Platane oder die Ross-Kastanie. Auch wenn es da das Problem mit der Miniermotte gibt. Oder bestimmte Ahorn- und Eichenarten, die aus dem mediterranen Bereich kommen. Last, but not least: die Douglasie. Die kann problematisch sein, weil sie sich massiv ausbreitet. Aber man kann sie leicht mit dem Rasenmäher bekämpfen. Man muss immer zuvor prüfen, ob die Arten in Zukunft Probleme bereiten können.

Wir sprachen jetzt von unseren Problemen mit den invasiven Arten. Wie steht es im Rest der Welt damit?

Invasive Arten sind ein globales Problem. Es sind sogar viel mehr Arten, die sich von Europa nach Nordamerika oder nach Südamerika ausbreiten als umgekehrt.

Wie zeigt sich das in Amerika?

Nehmen Sie unsere Stoebe-Flockenblume, die sich in Montana in den Rocky Mountains massiv in den Wiesen ausbreitet und viel überwuchert. In Chile sind ganze Küstenabschnitte aus unserer mediterranen Vegetation zusammengesetzt. Während unser Mittelmeerbereich vergleichsweise wenig unter Invasionen zu leiden hat.