Glücksforscher Mathias Binswanger erzählt, was glücklich macht
Glück – ein erstrebenswerter und gleichzeitig diffuser Zustand. Was ist Glück und wie gelingt ein glückliches Leben. blue News hat beim Glücksforscher Mathias Binswanger nachgefragt.
29.12.2022
Glück – ein erstrebenswerter und gleichzeitig diffuser Zustand. Was ist Glück und wie gelingt ein glückliches Leben. blue News hat beim Glücksforscher Mathias Binswanger nachgefragt.
Was hast du deinen Lieben fürs neue Jahr gewünscht? Vielleicht Gesundheit, Erfolg im Job oder in der Weiterbildung? Oder vielleicht einfach nur Glück?
Doch: Was ist «Glück» eigentlich? Kann man das jemandem überhaupt wünschen? Und kann man sein eigenes Glück sogar selbst steuern? blue News hat beim Glücksforscher und Ökonomen Mathias Binswanger nachgefragt.
So viel vorweg: Es ist nicht ganz einfach. Aber, du kannst dein eigenes Glück beeinflussen. Und du kannst es dir antrainieren.
Herr Binswanger, wie definieren Sie Glück?
Mathias Binswanger: Glück zu definieren, ist praktisch unmöglich. Denn für jede Person bedeutet Glück etwas anderes. Bei all den Untersuchungen, bei denen Menschen zu Glück befragt werden, müssen wir davon ausgehen, dass es stimmt, wenn sie antworten «ich bin glücklich» oder «ich bin nicht so glücklich». Was Glück aber genau ist, ist nicht definiert.
Wie können Sie dann zu Glück forschen?
Weil man davon ausgeht, dass die Menschen einschätzen können, ob sie glücklich sind oder nicht. Dann versucht man in der Forschung schon zu überprüfen, ob die Einschätzung stimmt oder nicht.
Die Ergebnisse zeigen tendenziell aber, dass Menschen, die sich selbst als glücklich einschätzen, auch von anderen so wahrgenommen werden.
Was braucht es denn, um glücklich wahrgenommen zu werden bzw. glücklich zu sein?
Grundsätzlich gibt es zwei wesentliche Komponenten. Die erste ist die allgemeine Lebenszufriedenheit mit einem etwas längerfristigeren Horizont. Fragen Sie mich heute, ob ich zufrieden bin oder nicht, erhalten Sie morgen wohl die gleiche Antwort wie heute.
Zur Person
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Nebst seinen Schwerpunktthemen Makroökonomie, Finanzmarkttheorie, Umweltökonomie, forscht der heute 60-Jährige den Zusammenhang zwischen Glück und Einkommen.
Dann gibt es noch die zweite Komponente, die ist viel kurzfristiger. Das heisst, wenn ich Hunger habe, dann esse ich etwas und bin glücklich. Kurz darauf stecke ich im Stau und bin gestresst. Dann bin ich wieder unglücklich. Der Tag verläuft nach Auf und Ab von kleinen Glücksmomenten.
Kurz gefasst heisst das: Ein glückliches Leben besteht darin, dass ich zufrieden bin mit meinem Leben und möglichst viele kleine Glücksmomente erleben darf, mit relativ wenigen unglücklichen.
Was braucht es für eine allgemeine Lebenszufriedenheit?
Da ist zum Einen das intakte Sozialleben. Weil der Mensch ist kein einsamer Tiger im Dschungel, sondern eher ein Herdentier. Die Forschung zeigt, Menschen, die kein funktionierendes Sozialleben haben, sind auf Dauer nicht glücklich.
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Arbeit. Hat man eine Arbeit, die einem Freude bereitet, einen Sinn stiftet, ist glücklich.
Auch eine Rolle spielt, ob man sich im Leben mit Dingen beschäftigen kann, die einen interessieren beziehungsweise Freude machen. Denn es ist nicht so, dass sich die Menschen lange überlegen, was sie glücklich machen könnte und handeln danach. In der Regel ist es gerade umgekehrt: Ich mache etwas, das mir Freude bereitet, was mich im Endeffekt glücklich macht.
Für lange Zeit stand nicht eine sinnstiftende Arbeit im Fokus, sondern eine, die den Wohlstand maximiert. Dann hat man sich des eigenen Glücks beraubt?
Nein, für lange Zeit war es auch das Ziel für die Menschen, durch Arbeit mehr materiellen Wohlstand zu erlangen. Man hat dafür gearbeitet, dass es einem besser geht in Zukunft. Aber nach neuen objektiven Kriterien leben wir heute tatsächlich besser als die früheren Generationen.
Nur ist es jetzt so, dass hierzulande schon viele jüngere Menschen bereits im Wohlstand aufgewachsen sind. Da ist mehr materieller Wohlstand durch Arbeit kein glaubhaftes Versprechen mehr für ein glücklicheres Leben.
Und was braucht es für die zweite – die kurzfristige – Komponente, die kleinen Glücksmomente im Alltag?
Es klingt jetzt vielleicht trivial, aber es geht darum zu lernen, sich an den kleinen Dingen zu freuen. Etwa wenn ich am Morgen aufwache und merke, ich kann noch etwas liegen bleiben, oder wenn ich einen Kaffee trinken kann. Es geht um die kleinen, erfreulichen Momente im Tagesverlauf.
Und umgekehrt geht es dann darum, die Momente, die unglücklich machen, zu vermeiden. Wie beispielsweise das Pendeln zur Arbeit.
Das heisst also, Menschen können ihr eigenes Glück beeinflussen?
Auf jeden Fall, ja. Aber es gibt auch noch eine weitere Komponente, die genetische. Da geht man, grob gesagt, davon aus, ob ein Mensch glücklich ist oder nicht, etwa zu 50 Prozent in seiner Persönlichkeit liegt. Das heisst: Es gibt Menschen, denen fällt es genetisch bedingt einfacher, glücklich zu sein.
Die anderen 50 Prozent hat man theoretisch selbst in der Hand. Also ein recht grosser Anteil. Und da weiss man eben durch die Forschung, was die Menschen tendenziell eher glücklich macht. Wie bereits schon erwähnt, die allgemeine Lebenszufriedenheit und die kurzfristigen Glücksmomente im Alltag.
Aber das gilt jetzt nur für Menschen, die in einem stabilen System wie in der Schweiz leben?
Genau, das muss man auf verschiedenen Ebenen differenzieren. Zunächst muss man mal berücksichtigen, welche Bedingungen im Land den Menschen es ermöglichen, ein glückliches Leben zu führen.
Dann gibt es aber noch die andere Ebene, dass ich ein glückliches Leben führen kann. Und da spielt eben ein intaktes Sozialleben eine wichtige Rolle, dass ich Freundschaften pflege ecetera. Denn man stellt fest, dass Menschen, die einsam sind, tendenziell unglücklicher sind. Und das verhält sich genau gleich, mit der sinnstiftenden Arbeit.
Und dann kann man eben vieles im Alltag selbst gestalten für ein glückliches Leben. Indem man sich eben anderen kleinen Dingen erfreut. Denn die grossen Glücksmomente, wie sich verlieben oder der Schulabschluss, in einem Leben sind rar, auf die würde ich nicht bauen für ein glückliches Leben.
Das Gute ist: Die kleinen Glücksmomente kann man trainieren. Indem man sich fragt, was einem Freude macht und zeitgleich probiert, die unglücklichen Momente zu minimieren.
Das Einkommen wird auch immer wieder thematisiert im Zusammenhang mit Glück. Wie beeinflusst das Einkommen das Glücklichsein?
Auf der einen Seite beobachten wir, dass in hoch entwickelten Ländern, wie Westeuropa, USA oder Japan, ein weiteres Wirtschaftswachstum keinen Zusammenhang zum durchschnittlichen Glücksempfinden eines Menschen hat.
Auf der anderen Seite beobachten wir aber auch, dass die reichen Menschen glücklicher sind als die ärmeren. Das klingt vielleicht paradox, lässt sich aber auflösen, wenn man berücksichtigt, dass Menschen sich untereinander vergleichen.
Da gibt es vereinfacht gesagt Menschen, die mehr Einkommen haben, zufrieden auf die anderen hinunterschauen. Die wiederum blicken neidisch auf die mit mehr Einkommen. Das macht unzufrieden, weil man das Gefühl hat, sich nicht dasselbe leisten und nicht mithalten zu können, und dass das gesellschaftliche Ansehen fehlt.
Nehmen wir an, es findet Wirtschaftswachstum statt, es werden alle reicher. Auch dann ändert sich nichts. Diejenigen am unteren Ende der Einkommensverteilung vergleichen sich mit dem neuen Standard und kommen zum gleichen Ergebnis: Sie können sich nicht dasselbe leisten, das gesellschaftliche Ansehen fehlt und sie können nicht mithalten.
Gibt es Menschen, die einfach mehr Glück haben im Leben als andere?
Nein, tendenziell gleicht sich das Glück in den meisten Leben aus, wenn wir jetzt mal nur die Schweizer Rahmenbedingungen berücksichtigen. Häufig liegt es ja daran, ob jemand überhaupt in der Lage ist, diese Glücksmomente zu erkennen oder nicht und die Chancen, die man im Leben hat, zu ergreifen.
Die Schweiz bietet alle Voraussetzungen für ein glückliches Leben. Dennoch werden die Schweizer*innen nicht als glücklich wahrgenommen, woran liegt's?
Die Schweiz bietet tolle Rahmenbedingungen mit ihrer hohen Sicherheit, politischen Stabilität und hohem Wohlstand. Geht es aber ums Sozialleben, ein attraktives Leben zu gestalteten, da werden wir zu Amateuren. Die Schweizer*innen sind gut darin, aus viel wenig zu machen. Wohingegen andere Länder aus wenig viel machen.
Hierzulande haben wir die Tendenz, uns immer darauf zu fokussieren, was noch nicht perfekt ist. Dabei sehen wir zum Teil gar nicht, auf welch unglaublich hohem Niveau wir leben.
Woher kommt diese Einstellung?
Wir werden heute kulturell dazu erzogen. Man darf ja nie zufrieden sein mit etwas, das man macht. Man muss immer besser sein. Denn wenn ich sage, ich bin zufrieden, dann wird mir das als Faulheit oder als fehlender Leistungswille ausgelegt. Das führt zu diesem Unzufriedenheitskult, den wir pflegen.
Das soll nicht heissen, dass man nicht unzufrieden sein darf. Wir übertreiben es aktuell nur damit. Es ist immer eine Frage des Masses.