Einschätzung zu Adolf Ogis Entschuldigung «Viele hätten wohl etwas mehr Demut erwartet»

Von Alex Rudolf

4.3.2024

Sarah Bütikofer ist Politologin und Chefredaktorin der Onlineplattform für Politikwissenschaft DeFacto.
Sarah Bütikofer ist Politologin und Chefredaktorin der Onlineplattform für Politikwissenschaft DeFacto.
Quelle: zVg

Der ehemalige Bundesrat Adolf Ogi entschuldigt sich für den Brief gegen die 13. AHV-Rente. Ein Politologe und eine Politologin ordnen ein, ob der Brief schuld am Debakel an der Urne war.

Von Alex Rudolf

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Altbundesrat Adolf Ogi entschuldigt sich für den Brief an die ältere Bevölkerung, in dem die 13. AHV-Rente als brandgefährlich bezeichnet wurde.
  • Die beiden Politologen Marc Bühlmann (Universität Bern) und Sarah Bütikofer (Universität Zürich) schätzen im Gespräch mit blue News die Wirkung des Briefes ein.
  • Auf die Frage, ob die Politiker*innen ihre Lektion gelernt haben, fallen die Antworten unterschiedlich aus.

«Im Nachhinein kann man sagen: Der adressierte Brief war ein Fehler, tut mir leid!», sagt der Altbundesrat Adolf Ogi zur «Berner Zeitung». Gemeinsam mit den ehemaligen Magistraten Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann wandte sich Ogi in einem Brief an die ältere Bevölkerung und nannte die 13. AHV-Rente «brandgefährlich».

Inwiefern der Brief der Altbundesrät*innen zur wuchtigen Annahme der 13. AHV-Rente geführt hat, ist offen. Eine Nachabstimmungsbefragung von «20 Minuten» und «Tages-Anzeiger» zeigt aber: 72 Prozent der Befragten fanden die Briefaktion der Altbundesräte unpassend.

Marc Bühlmann, Politologe an der Universität Bern und Direktor von Année Politique Suisse, glaubt, dass die Kombination von Altbundesrät*innen und AHV-Renten nicht goutiert wurde. «Man hat viel eher den Inhalt des Briefes negativ bewertet als die Absenderin oder den Absender», sagt er zu blue News.

Auch der Zeitpunkt sei verfehlt gewesen

«Es bleibt definitiv ein Geheimnis, wie man meinen konnte, es handle sich dabei um eine gute Idee», sagt Sarah Bütikofer, Politologin an der Universität Zürich. Auch der Zeitpunkt sei völlig verfehlt gewesen: «Es wirkte wie eine Panikreaktion, da man kurz vor dem Abstimmungstermin seine Felle davonschwimmen sah.»

Marc Bühlmann
zVg

Marc Bühlmann, Politologe an der Universität Bern und Direktor von Année Politique Suisse.

Ab und zu würden sich ehemalige Magistrat*innen in Abstimmungskämpfe einmischen. Zuletzt sei dies virulent gewesen, als sich Altbundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf in den Abstimmungskampf zur Unternehmenssteuerreform III eingebracht hat, sagt Bühlmann. «Damals wurde in der Öffentlichkeit sehr stark darüber diskutiert, ob Altbundesrätinnen und Altbundesräte dies überhaupt dürfen.»

Vorwiegend die älteren fanden die Aktion unpassend, wie die Nachabstimmungsbefragung ergab. Gibt es nun einen Bruch zwischen den Senior*innen und dem Establishment? Das glaubt Bühlmann auf keinen Fall: «Im Gegenteil. Schaut man langfristige Erhebungen an, sieht man, dass das Vertrauen in die Institution Bundesrat bei älteren Menschen durchaus hoch ist.»

«Ehemalige Bundesrät*innen geniessen ein hohes Ansehen»

Auch Bütikofer hält fest: «Ehemalige Bundesrät*innen geniessen ein hohes Ansehen und eine hohe Glaubwürdigkeit, wenn sie sich zum politischen Geschehen äussern.» Aber sie seien auch gut situierte Rentner, die eine grosszügige staatliche Rente beziehen. «Viele, gerade auch diejenigen, denen es nicht so gut geht, hätten wohl etwas mehr Demut erwartet.»

Werden die ehemaligen Magistraten künftig vorsichtiger sein? Zwar gebe es keine Regeln oder Gesetze, wonach die Magistraten einen Maulkorb verpasst bekommen, so Bühlmann. «Einzig solle Vorsicht geboten sein, wenn man ein neues Amt übernimmt, bei dem sich mit der ehemaligen Regierungstätigkeit ein Interessenkonflikt ergeben könnte.»

Eidgenössische Abstimmungen

Auf der Abstimmungsseite von blue News findest du alle wichtigen Informationen zu den Eidgenössischen Abstimmungen: Initiativen und Referenden verständlich erklärt, umfassende Hintergrund-Storys sowie Zusammenfassung und Einordnung der Resultate.

Die Resultate der städtischen Abstimmungen erfreuen das Grüne Bündnis Bern. (Symbolbild)
sda

Zudem lasse sich auch sagen, dass es für eine demokratische Diskussion gut ist, wenn möglichst viele Meinungen öffentlich würden. «Weil die Meinungen von Altbundesrät*innen auch mediale Präsenz generieren, ist es von Vorteil, wenn sie sich zu Vorlagen äussern – das kann auch das politische Interesse fördern», so Bühlmann.

Bütikofer glaubt, dass die ehemaligen Magistrat*innen die Lehren aus dieser Sache gezogen haben. «Es ist anzunehmen, dass sich Altbundesräte in Zukunft wieder so wie früher auf punktuelle Interviews und ausgewählte öffentliche Auftritte beschränken, sich aber kaum mehr direkt in einen Abstimmungskampf einbinden lassen.»