«Kasperletheater» – «Was passiert hier?»Steuerchaos in Walliser Dorf – Bürger sollen extra zahlen
Sven Ziegler
6.1.2025
In St-Gingolph VS geraten Steuerpflichtige unter Druck: Die Gemeinde fordert Nachweise für Zahlungen aus den letzten sechs Jahren. Die Bürger sind sauer.
Sven Ziegler
06.01.2025, 09:15
06.01.2025, 14:11
Sven Ziegler
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St-Gingolph VS verlangt von Bürgern Nachweise über Steuerzahlungen zwischen 2018 und 2023, teils in fünfstelliger Höhe.
Häufige Personalwechsel und Überlastung führten zu unklaren Buchhaltungen und fehlerhaften Rechnungen.
Bürger kritisieren das unprofessionelle Vorgehen, während die neue Gemeindeführung Verbesserungen verspricht.
Ein Steuerstreit belastet die Walliser Gemeinde St-Gingolph. Ende 2024 wurden die Einwohner schriftlich dazu aufgefordert, Nachweise für Steuerzahlungen der letzten sechs Jahre einzureichen. Die Gemeindeverwaltung hatte zuvor festgestellt, dass zahlreiche Beträge entweder als offen markiert oder unklar verbucht sind. Viele Bürger sehen sich nun mit teils erheblichen Nachforderungen konfrontiert.
Die offenen Beträge beziehen sich auf die Jahre 2018 bis 2023. Während manche Bürger nur wenige Hundert Franken nachzahlen sollen, wird anderen ein Betrag von Zehntausenden Franken in Rechnung gestellt. «Seit Wochen stehen die Leute vor der Gemeindeverwaltung Schlange, um ihre Aufrichtigkeit zu beweisen», erklärte ein Einwohner dem «Walliser Boten». Zu den Forderungen gehören auch Rechnungen, die bereits beglichen wurden, jedoch in den Gemeindesystemen als offen geführt werden. Andere Steuerbescheide wurden offenbar nie versandt.
Bürger äussern scharfe Kritik an der Gemeindeverwaltung. Eine Einwohnerin bezeichnet die Situation als «Kasperletheater» und fragt: «Was passiert eigentlich in unserer Verwaltung?» Der ehemalige Gemeindepräsident Damien Roch, der bis Ende 2024 im Amt war, zeigt zwar Verständnis für den Ärger, verteidigt jedoch das Vorgehen: «Die offenen Beträge müssen eingezogen werden.»
Verwaltungsfehler und Personalmangel
Roch führt die Fehler auf eine Kombination von Faktoren zurück. Häufige Wechsel im Amt des Schatzmeisters und die dünne Personaldecke der Gemeindeverwaltung hätten zu Informationsverlusten geführt. «Mit 3,1 Vollzeitstellen ist die Verwaltung stark ausgelastet», betont Roch. Die unklaren Kontostände seien bereits im Oktober 2024 aufgefallen, doch man habe bewusst gewartet, um die Gemeinderatswahlen nicht zu beeinflussen.
Roch erklärte zudem, dass er Massnahmen eingeleitet habe, um die Fehler noch vor Ende seiner Amtszeit anzugehen. Sein Nachfolger Gérald Derivaz kritisiert allerdings die Kommunikation mit den Bürgern: «Es wäre sinnvoll gewesen, den Betroffenen eine Erklärung beizulegen. Das jetzige Vorgehen hinterlässt einen unprofessionellen Eindruck.»
Derivaz plant, die Abläufe in der Steuerverwaltung zu verbessern und offene Fragen zeitnah zu klären. Er bestätigt, dass Probleme beim Einzug von Steuern in St-Gingolph kein Einzelfall sind: «Ich selbst habe Steuerrechnungen mehrfach bis zu eineinhalb Jahre nach der Frist erhalten.»