Fragen und Antworten Das musst du zur Pflegeinitiative und zum Gegenvorschlag wissen

Von Lia Pescatore

23.10.2021

Sie betreuen ihre Patienten in Spitälern, Heimen oder auch zu Hause: die Pflegenden. 
Sie betreuen ihre Patienten in Spitälern, Heimen oder auch zu Hause: die Pflegenden. 
Keystone/Gaetan Bally

Durch die Corona-Pandemie hat sich der Personalmangel in der Pflege verschärft. Die Pflegeinitiative soll nun den Nachwuchs sichern – und im Beruf halten. Doch der Bundesrat setzt auf einen Gegenvorschlag.

Von Lia Pescatore

Noch bevor der Abstimmungskampf zur Pflegeinitiative richtig losging, hat die Corona-Pandemie den Personalmangel im Gesundheitswesen in den Fokus gerückt.

Dass Tausende Stellen in der Pflege konstant unbesetzt bleiben. Dass bis zu 40 Prozent der Pflegenden dem Beruf frühzeitig wieder den Rücken kehren, ein Drittel davon noch vor ihrem 35. Geburtstag. Die Verhältnisse seien unhaltbar, sagt auch Rebecca Spirig, emeritierte Titularprofessorin für Pflegewissenschaft, im Gespräch mit blue News.

Am 28. November steht nun die Abstimmung über die Initiative «Ja zur Pflege» an und die Chancen für eine Annahme stehen gut: Laut einer SRG-Umfrage hätten 78 Prozent der Stimmberechtigten fünf Wochen vor dem Urnengang mit Ja gestimmt, nur 15 Prozent mit Nein – ein Rekordwert für eine gewerkschaftlich lancierte Initiative.

Die klare Haltung in der Bevölkerung ist ausserdem bemerkenswert, weil ihr nicht nur eine Lösung, sondern indirekt zwei präsentiert werden: Der Bundesrat und eine Mehrheit des Parlaments empfehlen, die Initiative abzulehnen, und haben einen Gegenvorschlag eingebracht. 

Was verspricht die Initiative, was der Gegenvorschlag? Und warum stimmen wir nur indirekt über die zweite Option ab? Die wichtigsten Fragen und Antworten in der Übersicht.

Was fordert die Volksinitiative?

Der Schweizer Berufsverband für Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) fordert mit seiner Initiative, dass Bund und Kantone für eine ausreichende, allen zugängliche Pflege von hoher Qualität sorgen.

Laut Initiativtext müssten Bund und Kantone sicherstellen, dass eine «genügende Anzahl diplomierter Pflegefachpersonen» zur Verfügung stehe und man dem steigenden Bedarf gerecht werden könne. Denn die Bevölkerung wird älter und der wachsende Bedarf kann mit den aktuellen Ausbildungsplätzen nicht gedeckt werden

Die Forderungen im Detail:

  • Förderung der Ausbildung
  • Regelung der Arbeitsbedingungen: In einer Art Gesamtarbeitsvertrag soll der Bundesrat festlegen, wie die Pflegenden in Spitälern, Heimen und Spitex-Organisationen eingesetzt würden. Auch der Lohn soll geregelt werden.
  • Leistungsabrechnung: Pflegefachpersonenn sollen neu die Möglichkeit bekommen, gewisse Leistungen direkt bei den Krankenkassen abrechnen zu können. Heute können sie dies nur auf Anordnung eines Arztes tun.

Was wird daran kritisiert?

Das Parlament anerkennt den Handlungsbedarf, jedoch sieht die Mehrheit in der Initiative den falschen Ansatz für die Lösung des Problems. «Die Bundesverfassung ist nicht dazu da, um die Löhne einer Berufsgruppe zu regeln», erklärte etwa Philippe Nantermod (FDP/VS) am Freitag vor den Medien. Er ist Mitglied des Nein-Komitees, das gegen die Initiative und für den Gegenvorschlag kämpft. An seiner Seite stehen Mitglieder von SVP,  FDP und Mitte-Partei. Vertreter*innen derselben Partei sind aber auch im Initiativ-Befürworterlager zu finden.

Sieht der Gegenvorschlag komplett anders aus?

Nein, der Gegenvorschlag nimmt einige Forderungen der Initiative auf. Einerseits die Förderung der Ausbildung: Er sieht vor, dass Bund und Kantone innerhalb von circa acht Jahren rund eine Milliarde Franken in die Ausbildung von Pflegepersonal investieren.

Andererseits die Leistungsabrechnung: Das Pflegepersonal soll direkt Leistungen abrechnen können. Ein Kontrollmechanismus soll jedoch verhindern, dass mehr Leistungen abgerechnet werden als heute und damit die Gesundheitskosten und die Krankenkassenprämien steigen.

Und was ist mit den Arbeitsbedingungen, dem Lohn?

Das regelt der Gegenvorschlag nicht. Es sei sinnvoll, diese auf regionaler Ebene und im Dialog mit den Sozialpartnern zu regeln.

Sind die Initianten mit diesem Vorschlag einverstanden?

Nein, laut Initianten sind genau die Forderungen rund um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen essenziell, um die Attraktivität des Berufs zu steigern und so verfrühte Austritte in Zukunft zu verhindern. Die Investitionen in die Ausbildung würden so einfach verpuffen.

Unterstützung erhält der SBK von der Ärztevereinigung FMH sowie von mehreren branchenspezifischen Pflegeverbänden.



Welche Parteien unterstützen die Initiative?

Die Ja-Parole gefasst haben SP, GLP und EVP. Die Mitte hat sich für eine Stimmfreigabe entschieden. FDP und SVP fassen ihre Parolen erst in den nächsten Tagen und Wochen. Im Komitee, welches den Gegenvorschlag unterstützt, sind die beiden Parteien schon prominent vertreten. So weibeln der ehemalige SVP-Parteipräsident Albert Rösti sowie neben Nantermod auch FDP-Nationalrätin Regine Sauter für den Gegenvorschlag. 

Gibt es auch Kritik aus der Pflegebranche? 

Mehrere Vertreter*innen der Gesundheitsbranche unterstützen die Argumente des Nein-Komitees und ziehen den Gegenvorschlag der Initiative vor. Spitex Schweiz bemängelt in einer Mitteilung, dass sich die Initiative alleinig auf das diplomierte Pflegepersonal konzentriere. In der Spitex seien jedoch 60 Prozent nicht diplomiert und würden darum von der Forderung ausgeschlossen.

Hauptargument der Unterstützerinnen und Unterstützer des Gegenvorschlags ist aber der Zeitfaktor. Es dauere zu lange, um die Initiative umzusetzen. Denn die Umsetzung in einem Gesetz würde länger dauern. Würde die Initiative angenommen, müsste zuerst der Gesetzestext ausdiskutiert werden.

«Bis ein neuer Umsetzungsvorschlag vorläge, bliebe alles beim Alten – ein Stillstand, der die Behebung des Fachkräftemangels noch weiter verzögern würde», schreibt der Spitalverband H+ in einer Stellungnahme. Der Gegenvorschlag sei hingegen sofort umsetzbar und nehme die berechtigen Forderungen zur Genüge auf.

Was passiert mit dem Gegenvorschlag, wenn die Initiative angenommen wird?

Dieser würde dann versenkt. Das Parlament müsste auf Basis des Initiativtextes einen neuen Gesetzesentwurf erarbeiten. 

Und wenn die Initiative abgelehnt wird?

Dann tritt der Gegenvorschlag in Kraft – vorausgesetzt, es wird kein Referendum dagegen ergriffen oder ein solches würde nicht vom Volk angenommen. Dann wären beide Vorschläge gescheitert.