Radioaktive Abfälle recyclenSchweizer Start-up hat neuartige Lösung für Atommüll-Entsorgung
Stefan Michel
25.5.2024
Ein Schweizer Start-up will mit einem speziellen Reaktor Atomabfälle nochmals zu Strom machen. Dabei sinkt auch noch deren Halbwertszeit massiv. Ein Atom-Endlager braucht die Schweiz aber trotzdem.
Stefan Michel
25.05.2024, 23:57
29.08.2024, 09:14
Stefan Michel
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Das Schweizer Start-up-Unternehmen Transmutex entwickelt einen Reaktor, der Atomabfälle nochmals zu Strom macht.
Nach diesem Prozess soll die Strahlung sehr viel schneller abnehmen. Nach 500 Jahren wären die Reststoffe ungefährlich – statt nach 200'000 Jahren, die hochaktiver Atommüll dafür braucht.
Alle bisher angefallenen Schweizer Atomabfälle mit dem fachsprachlich «Transmutation» genannten Verfahren zu verstromen, würde 50 Jahre dauern und so viel Strom erzeugen, wie das AKW Leibstadt im gleichen Zeitraum generieren würde.
Ist das die Lösung für zwei Probleme der Schweizer Energieversorgung? Das Genfer Start-up Transmutex verspricht etwas, das so gelesen werden kann: Aus Atomabfall – genauer, abgebrannten Brennstäben – will es nochmals Strom erzeugen. Nach dem Recycling würden diese zudem so viel weniger strahlen, dass sie schon nach 500 Jahren ungefährlich wären.
Die Verantwortlichen arbeiten seit 2019 an ihrer Vision. Vor Kurzem hat ein Vertreter in Stadel ZH den Plan vorgestellt, dem Ort, an dem das Schweizer Tiefenlager für Atomabfälle gebaut werden soll. Die «NZZ» war an der Präsentation dabei.
Die Technologie ist nicht neu. Der Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia hat in den 1990er-Jahren einen Atom-Reaktor entworfen, der hoch-radioaktive Stoffe mit Elektronen beschiesst und sie dabei in mittel- bis schwach-strahlende Stoffe verwandelt. Dabei entsteht, wie auch in herkömmlichen Kernreaktoren, Wärme, die sich in Strom umwandeln lässt. Das Prinzip nennt sich Transmutation und wurde schon in den 60er-Jahren theoretisch beschrieben, wie das Wissenschaftsmagazin Quarks erklärt.
Endlagerung wäre trotzdem nötig
Damit ist auch klar, wo der Firmenname Transmutex herkommt. Die Methode unterscheidet sich im Übrigen deutlich von der Wiederaufbereitung abgebrannter Brennstäbe. Diese fügen lediglich Reste spaltbaren Materials zu neuen Brennstäben zusammen, wie Physiker Harald Lesch erklärt.
Die Idee von Transmutex ist es, den Atommüll, der in der Schweiz angefallen ist, zu nutzen, um daraus nochmals Strom zu gewinnen. Noch viel grösser ist der Nutzen der Methode für die Endlagerung einzuschätzen.
Das Problem der dauerhaften, sicheren Aufbewahrung von Atommüll ist nicht nur, dass wo immer ein Ort dafür gesucht wird, die Menschen alles unternehmen, damit die strahlenden Abfälle nicht bei ihnen im Boden versorgt werden. Mindestens so gross ist die Herausforderung, sicherzustellen, dass auch in 100'000 Jahren kein Mensch auf die Idee kommt, die noch immer radioaktiven Stoffe wieder auszugraben und damit eine Katastrophe auszulösen.
Sind die ausgedienten Brennstäbe aber von Transmutex verarbeitet worden, strahlen sie nach 500 Jahren nur noch so stark wie natürliches Uran und sind ungefährlich. Ein sicheres Tiefenlager bräuchte es freilich trotzdem.
Den Berechnungen des Unternehmens zufolge würde es rund 50 Jahre dauern, um die bereits angefallenen und noch anfallenden Atomabfälle der Schweiz umzuwandeln. Die Methode ist, zumindest in der Theorie, der sauberste Weg des Atom-Ausstiegs, weil am wenigsten gefährliches Material zurückbleibt.
Hinzu kommt, dass sich – stets gemäss Aussagen von Transmutex – aus dem Schweizer Atommüll über die 50 Jahre in etwa die Strommenge erzeugen liesse, die das AKW Leibstadt im gleichen Zeitraum generieren würde. Das Schweizer Energiesystem würde also von einer zusätzlichen Stromquelle profitieren, bevor endgültig Schluss wäre mit Atomstrom.
Die Anlagen, wie sie Transmutex bauen will, wären zudem sehr viel günstiger als neue Kernkraftwerke, die gewisse Energiepolitiker*innen fordern. Etwa sechs Milliarden Franken würde es kosten, die nötigen Anlagen zu bauen und solange zu betreiben, bis kein Atommüll mehr da ist. Zum Vergleich: Die Kosten für die Stilllegung aller Schweizer AKW werden auf 23 Milliarden Franken geschätzt.
Zudem würden die Anlagen Wertschöpfung generieren, indem sie Strom verkaufen und nebenbei spaltbares Material liefern können, wie es in der Medizin für die Bestrahlung von Tumoren zum Einsatz kommt.
Es bräuchte eine Gesetzesänderung
In der Schweiz hat die Sache allerdings einen Haken: Das Gesetz verbietet den Bau neuer Anlagen zur Energiegewinnung aus Kernkraft. Dieses müsste erst fallen, bevor Transmutex seine Pläne verwirklichen könnte. Eine Volksinitiative will allerdings genau dies und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Schweiz, angesichts der Energie-Diskussionen der letzten Jahre, den ebenfalls in einer Volksabstimmung beschlossenen Atom-Ausstieg rückgängig machen würde.
Das Atom-Start-up versucht bereits, in den USA eine Bewilligung für den Bau von Anlagen zu erhalten. Weitere Länder würden sich für ihre Technologie interessieren, berichtet der Transmutex-Vertreter in der «NZZ». Auch Finanzierungs-Angebote seinen bereits eingegangen. Die Website des Unternehmens listet diverse Investoren auf.
Die für die Endlagerung von Atommüll zuständige Nagra wird demnächst ein Gesuch für den Bau eines Endlagers im Zürcherischen Stadel einreichen. Verläuft alles nach Plan, würden dort ab 2050 die Rückstände der Schweizer AKW gelagert.
Es bleibt Transmutex also noch etwas Zeit, um ihr Projekt zu realisieren. Auch dieses Unternehmen muss Standorte finden, wo die Menschen bereit sind, eine Atom-Anlage in ihrer Nachbarschaft zu akzeptieren. Zudem müssten sie alles neu entwickeln und könnten sich auf keine etablierten Verfahren abstützen, betont der Transmutex-Vertreter. Die Idee der Transmutaion von Atommüll ist bestechend. Die Umsetzung wird aber mit Sicherheit kein Spaziergang.