TiefenlagerAtom-Endlager wird im Gebiet Nördlich Lägern gebaut
sda/toko
10.9.2022
Das Atommüll-Endlager wird im Gebiet Nördlich Lägern in der Zürcher Gemeinde Stadel gebaut. Für viele Betroffene bestehen offene Fragen.
sda/toko
10.09.2022, 19:17
10.09.2022, 21:03
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Das Atommüll-Endlager wird im Gebiet Nördlich Lägern in der Zürcher Gemeinde Stadel gebaut. Dies bestätigte am Samstag die Sprecherin des Bundesamtes für Energie (BFE) der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Im Gebiet Nördlich Lägern wird das geologische Tiefenlager entstehen, wie BFE-Sprecherin Marianne Zünd sagte. Die Brennelment-Verpackungsanlage werde beim Zentralen Zwischenlager in Würenlingen AG gebaut.
Die betroffene Bevölkerung wurde am Samstag von den Behörden direkt informiert. Zuerst hatten die Tamedia-Medien über den Standortentscheid berichtet.
Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) teilte am Samstagabend mit, die Geologie habe einen eindeutigen Entscheid ermöglicht. Nördlich Lägern sei der Standort mit den grössten Sicherheitsreserven. Am Montag will die Nagra in Bern über den Entscheid informieren.
In der betroffenen Region kommt der Standortentscheid der Nagra erwartungsgemäss nicht gut an: «Es gibt doch keinen Ort, der ein Tiefenlager auf seinem Gebiet will», sagte Dieter Schaltegger, Gemeindepräsident von Stadel gegenüber Keystone-SDA. Am meisten Sorge bereite der Bau des Tiefenlagers, der etwa für die Zeit von 2045 bis 2060 vorgesehen ist. Das sei ein grosser Eingriff mit einer Grossbaustelle.
Dass sich die Region wirklich eignet, bezweifelt der Verein Lägern ohne Tiefenlager (Loti). Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb sich die Nagra nun gerade für das Gebiet ausspreche, das sie vor wenigen Jahren noch ausrangieren wollte.
Seit fast 50 Jahren wurde in der Schweiz nach einem geeigneten Standort für die Lagerung radioaktiver Abfälle gesucht. Dafür gab es zuletzt drei potenzielle Standortgebiete: Neben Nördlich Lägern waren dies Standorte in der Region Zürcher Weinland sowie in der Region Jura Ost im Aargau (Bözberg). Nördlich Lägern war vorübergehend aus dem Rennen gefallen, wurde aber dann wieder als möglicher Standort ins Auge gefasst.
In dem Lager sollen schwach-, mittel- und hochradioaktive atomare Abfälle für Zehntausende bis Hunderttausende von Jahren tief im Boden versenkt werden, bis sie zur Unschädlichkeit zerfallen.
Im Aargau gibt es Erleichterung. Max Chopard, Aargauer SP-Nationalrat und Präsident des Vereins «Kein Atommüll im Bözberg» (Kaib) sagte zum Standortvorschlag der Nagra, man fühle sich im bisherigen Widerstand gegen den möglichen Standort Jura Ost grundsätzlich bestätigt. Man habe immer auf die offenen geologischen Probleme hingewiesen.
Offene Fragen für Zürcher Parteien
Sollte sich erweisen, dass die Region Nördlich Lägern für die Lagerung von radioaktiven Abfällen wirklich das sicherste Gebiet in der Schweiz sei, sei dieser Standortentscheid zu akzeptieren, halten die SVP und die SP des Kantons Zürich fest. Doch noch seien Fragen offen, kritisiert insbesondere die SP.
Die SVP fordert aber vor allem, dass die Ergebnisse der Untersuchungen im Bereich Sicherheit transparent, verständlich und vollständig veröffentlicht werden. «Zur Sicherheit gehören nicht nur das eigentliche Lager, sondern auch die Zubringer-Transportrouten.»
Für die Zürcher SP sind derzeit noch zu viele Fragen offen, die unabhängig untersucht und beantwortet werden müssen, wie sie schreibt. Sie verweist etwa auf den Schutz des Tiefengrundwassers oder mögliche Erdgasvorkommen, die den Bau eines Tiefenlagers in Frage stellen könnten.
Für die Zürcher Grünen ist klar, dass die Schweiz die Verantwortung für ihre eigenen atomaren Abfälle übernehmen müsse. Als Bedingungen für weitere Planungsschritte fordern sie unter anderem einen verbindlichen Atomausstieg, explizite Abbruchkriterien und externe wissenschaftliche Überprüfung.
Auch für die Zürcher FDP ist unbestritten, dass in der Schweiz entstandener Abfall auch hier entsorgt werden müsse. Dabei komme der Sicherheit die höchste Priorität zu, sagte Parteipräsident Hans-Jakob Boesch zu Keystone-SDA.
Die Organisation Greenpeace nimmt den Standortentscheid zu Kenntnis: Dieser sei nur ein kleiner Fortschritt. «Die Langzeitlagerung von Atommüll wird noch Generationen beschäftigen.» Weltweit gebe es keine Erfahrungswerte über die Langzeitlagerung von hochradioaktivem Atomabfall, heisst es in einer Stellungnahme.
Deutsches Umweltministerium: Schweizer Atom-Endlager «grosse Belastung»
Das deutsche Umweltministerium hat die Entscheidung der Schweiz für ein Atommüll-Endlager direkt an der Grenze zu Deutschland als Belastung für die betroffenen Gemeinden bezeichnet. Die grenznahe Lage des geplanten Standorts beim baden-württembergischen Ort Hohentengen am Hochrhein «stellt sowohl in der Errichtungsphase als auch beim Betrieb des Endlagers für diese und umliegende Gemeinden eine grosse Belastung dar», sagte Christian Kühn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium und Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg, am Samstagabend in Berlin auf Anfrage.
«Ich setze mich bei der Schweiz dafür ein, dass die bisherige gute Einbindung der deutschen Nachbarn fortgesetzt wird.» Gleichzeitig betonte Kühn, dass es «richtig und wichtig» sei, dass die Geologie das entscheidende Kriterium für die Standortwahl eines Endlagers ist. In Deutschland steht die Entscheidung für einen eigenen Endlager-Standort für hochradioaktiven Atommüll frühestens 2031 an.