Experte zu Hypnose während Eingriff «Schmerz kann während der OP auch verstärkt erlebt werden»

Dominik Müller

27.1.2024

Ein Patient hat am Dienstag in Baden eine OP hypnotisiert statt narkotisiert überstanden. (Symbolbild)
Ein Patient hat am Dienstag in Baden eine OP hypnotisiert statt narkotisiert überstanden. (Symbolbild)
Keystone

Am Dienstag hat in Baden ein Patient bei einer OP auf eine Narkose verzichtet und diese stattdessen hypnotisiert durchgestanden. Wie gefährlich ist das? Experte Gabriel Palacios ordnet für blue News ein.

Dominik Müller

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Diese Woche hat sich ein Patient am Kantonsspital Baden hypnotisiert statt narkotisiert operieren lassen.
  • Gabriel Palacios, der wohl bekannteste Hypnoseexperte der Schweiz, schätzt im Interview die Einsatzmöglichkeiten einer medizinischen Hypnose ein.
  • So sei diese nicht als konkurrenzierende Methode für die Vollnarkose, sondern als Ergänzung zu betrachten.
  • Selbsthypnosen während eines chirurgischen Eingriffes sollten vorab geübt werden.
  • Und trotz optimaler Vorbereitung könne im Grunde schon ein innerer Reiz, wie ein Gedanke es sein kann, dazu führen, dass der Patient sich während der OP in einen wachbewussteren Zustand begibt.

Herr Palacios, am Dienstag verzichtete im Kantonsspital Baden ein Patient auf eine Narkose und setzte dafür auf eine Hypnose. Die OP verlief gut. Sehen Sie in der Hypnose künftig eine gleichwertige Alternative zur Vollnarkose?

Eine Analgesie (Schmerzunempfindlichkeit, Anm. d. Red.) oder Anästhesie (Gefühllosigkeit), herbeigeführt durch eine hypnotische Trance, kann bei wirklich sehr hohem Schmerzlevel kaum eine medizinische Anästhesie ersetzen. Sie kann allerdings eine gute Ergänzung sein, um beispielsweise eine Lokalanästhesie zu unterstützen und die Schmerzschwelle zu justieren. Letztlich haben viele Patient*innen auch Ängste in Verbindung mit den chirurgischen Eingriffen. Eine Selbsthypnose kann hierbei auch helfen, das Gefühl der Kontrolle zu wahren.

Zur Person
s
Palacios Relations

Gabriel Palacios ist Leiter des Instituts Palacios Relations in Bern, Hypnosetherapie-Ausbilder, Präsident des Verbandes Schweizer Hypnosetherapeut*innen VSH und Bestsellerautor. Er gilt als bekanntester Hypnoseexperte der Schweiz.

Wie läuft so eine Hypnose vor einer OP ab?

Eine Analgesie oder Anästhesie mittels hypnotischer Trance muss in einem solchen Fall im Vorfeld intensiv geübt werden. Ein Bruchteil der Gesellschaft wird als hochgradig somnambul beschrieben. Das sind die Menschen, die sich sehr schnell in einen tiefen Zustand hypnotischer Trance begeben können. Man könnte es fast vergleichen mit denjenigen, die überall und sehr schnell einschlafen können.

Braucht es dazu ein Hypnotiseur oder hypnotisiert man sich selbst?

Wer mittels Selbsthypnose eine Anästhesie während eines chirurgischen Eingriffes unterstützen möchte, muss sich bereits im Vorfeld mit den teils vermuteten Schmerzreizen auseinandersetzen. Man muss auch fähig sein, jegliche Schmerzen während des Eingriffes mittels Anpassung der eigenen Vorstellungen zu lindern. Dabei ist eine komplette Gefühllosigkeit je nach Schmerzreiz kaum möglich.

Was braucht es für Eigenschaften, um einen solchen Zustand erreichen zu können?

Die Fähigkeit, die eigenen Gedanken anzupassen, ist hier besonders gefragt. Die Patient*innen sind folglich gefordert, durch eine proaktive Haltung das Schmerzempfinden durch autogene Anpassung von Schmerzvorstellungen – oder durch das Anbringen von Ankern und bestehenden Selbsthypnose-Anleitungen – zu beeinflussen. Dies ist für die meisten Menschen ziemlich anstrengend, mögen die Patient*innen von aussen noch so entspannt wirken.

Werden im Schweizer Spitalalltag künftig vermehrt Patient*innen auf eine Selbsthypnose vor einem Eingriff setzen?

Inzwischen lassen sich viele Anästhesist*innen in der Hypnose ausbilden. Sie könnten – mit den Patient*innen im Vorfeld vereinbart und abgesprochen – eine hypnotische Intervention unterstützen. Doch auch dies fordert ein vorangehendes, gemeinsames Üben.

Im Volksmund stellt man sich unter Hypnose nicht selten eine kurlige Person vor, die vor den Augen ein Pendel hin- und herschwingt. Was entgegnen Sie diesem Vorurteil?

Das Unispital in Genf bildet proaktiv das eigene Personal in Hypnose aus. Und auch wir vom Palacios-Relations-Institut bilden eine Vielzahl von medizinischem Fachpersonal aus. Die Hypnose ist in der Wissenschaft längst angekommen. 

Auch mittels Hirnstrommessungen, sogenannten EEG-Messungen, wollen wir zum Wissenstransfer beitragen. Mittels dieser können wir beispielsweise erkennen, dass nicht nur die Entspannung eine hypnotische Trance herbeiführt, sondern auch andere Parameter wie die Sinnesüberreizung oder aber auch die Unterforderung des Individuums.

Eine Vollnarkose birgt auch Risiken, beispielsweise Gedächtnisverlust. Kann eine Hypnose eine Chance sein, solche Risiken zu verringern?

Da man in hypnotischer Trance nicht schläft, sondern der Zustand einem Wachzustand gleichkommt, in dem aber das Gehirn vergleichbare Frequenzbandbreiten aufweist, wie diese auch im Schlaf der Fall sind, ist auch das Gedächtnis nicht unweigerlich eingeschränkt. Aber auch in hypnotischer Trance gibt es die Phänomene der Amnesie (verminderte Erinnerungsfähigkeit, Anm. d. Red.) als auch der Hypermnesie (erhöhte Erinnerungsfähigkeit). In der Hypnosetherapie möchte man beispielsweise mittels angeregten Gedächtnisses auch positive Ressourcen aus der Vergangenheit wieder ins Bewusstsein rufen.

Wie gross ist die Gefahr, dass bei einer Hypnose der Trancezustand des Patienten während einer OP unterbrochen wird und dann Schmerzen verspürt werden?

Im Grunde kann schon nur ein innerer Reiz, wie ein Gedanke es sein kann, dazu führen, dass der Patient sich in einen wachbewussteren Zustand begibt. Der Zustand ist in der Regel volatil. Der Patient sollte allerdings in einem solchen Fall darin geübt sein, sich autonom zurück in den hypnotischen Trancezustand zu begeben. Was viele allerdings nicht wissen: In hypnotischer Trance kann nicht nur das Phänomen der Anästhesie gewährleistet sein, sondern auch eine potenzielle Hyperästhesie ist möglich.

Das müssen Sie erklären.

Die Hyperästhesie entspricht einer erhöhten, sensorischen Wahrnehmung und einer Überempfindlichkeit. Somit könnte auch der Schmerz im Zweifelsfall während eines chirurgischen Eingriffes verstärkt wahrgenommen werden. Beide Phänomene, die Analgesie als auch die Hyperästhesie, können bereits im Zustand mitteltiefer Trance allmählich verzeichnet werden. Deshalb ist das medizinische Fachpersonal auf die Notwendigkeit einer medizinischen Anästhesie, im Fall eines akuten Schmerzempfindens, stets vorbereitet.