Strommangel Richtig schlimm könnte es erst im übernächsten Winter werden

Von Andreas Fischer

20.10.2022

Sommaruga. «Alle können mithelfen, damit wir gut durch den Winter kommen.»

Sommaruga. «Alle können mithelfen, damit wir gut durch den Winter kommen.»

Reserve-Gaskraftwerke sollen neben den verschiedenen bereits ergriffenen Massnahmen helfen, die Stromversorgung in den nächsten Wintern sicherzustellen. Der Bundesrat hat am Mittwoch die entsprechende Winterreserveverordnung in die Vernehmlassung geschickt.

19.10.2022

Die leichte Entspannung am Energiemarkt ist trügerisch. Die grössten Gefahren für die kommenden Monate scheinen gebannt. Doch die Schweiz muss sich für weitere harte Winter rüsten.

Von Andreas Fischer

Der Winter wird hart – allerdings erst der übernächste. In der Diskussion um die Energiesicherheit gab es zuletzt gute Nachrichten. Weil Deutschland nach einem Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz beschlossen hat, seine drei verbliebenen Atomkraftwerke bis April 2023 am Netz zu lassen, steigt die Versorgungssicherheit auch in der Schweiz, wie die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom) auf Nachfrage von blue News bestätigt.

«Die Situation hat sich also sowohl in Bezug auf die inländische Produktion als auch auf die Exportfähigkeit der Nachbarländer verbessert», erläutert Elcom-Sprecherin Antonia Adam. Dadurch verringert sich auch die Gefahr einer extremen Strommangellage. In diesem Winter, wohlgemerkt.

«Es gibt tatsächlich einige positive Entwicklungen», so Adam. Die Speicherseen seien relativ gut gefüllt, milde Temperaturen wirkten sich positiv auf die Gasspeicher aus. «Weiter scheint der Markt von einer höheren Verfügbarkeit der französischen Kernkraftwerke auszugehen.» Und schliesslich dürfte der Entscheid in Deutschland, die verbliebenen drei Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, zur Beruhigung beigetragen.

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Unsicherheiten bleiben

Sorgen bereitet Fachleuten mittlerweile eher der Winter 2023/24. Dann werden die deutschen AKW abgeschaltet sein, und wie es mit den Gasspeichern im Nachbarland aussieht, ist noch nicht wirklich absehbar. Derzeit liegt der Füllstand der deutschen Gasspeicher zwar im Soll, aber noch weiss niemand, wie sich der kommende Winter auswirkt.

Ob die Schweiz bei der Stromversorgung ohne grössere Blessuren durch den anstehenden Winter kommt, lässt sich «jetzt noch nicht mit Sicherheit sagen», schätzt Antonia Adam ein. «Auch wenn die Volatilität an den Märkten im Vergleich zum August deutlich geringer ist, gibt es in Bezug auf den kommenden Winter nach wie vor Unsicherheiten. Entscheidend bleibt die Verfügbarkeit der französischen Kernkraftwerke und Gas.»

Kaum Entspannung an der Strombörse

Da die Schweiz im Winter Strom importiert, ist sie auf die Nachbarländer angewiesen. Die Risiken bezüglich der Versorgungssicherheit blieben «beträchtlich», wie Elcom-Präsident Werner Luginbühl vor Medien in Bern sagte. Es gebe Anzeichen für eine Knappheit und Unsicherheiten bezüglich der Gaslieferungen.

Das schlägt sich auf die Preise für Strom und Gas nieder, die für diesen Zeitraum am Terminmarkt der europäischen Energiebörse aufgerufen werden. Auch wenn die aktuellen Terminmarktpreise für den übernächsten Winter «tendenziell unterhalb dem aktuellen Preisniveau für diesen Winter» sind, wie Elcom-Sprecherin Adam mitteilt: Wirklich in Sicht ist eine Entspannung noch nicht.

«Die Preise insgesamt sind auch im Winter 2023/24 auf hohem Niveau – was im Wesentlichen auf die Unsicherheiten bei der Gasverfügbarkeit zurückzuführen sein dürfte», so Antonia Adam. Gut also, dass die Schweizer Gasbranche in den vergangenen Monaten die von der Landesregierung geforderten Gasreserven sichergestellt hat, wie Energieministerin Simonetta Sommaruga am Mittwoch vor den Bundeshaus-Medien erläuterte.

Gas-Reservekraftwerke sollen helfen

Um künftige Engpässe zu vermeiden, brauche es nun Gas-Reservekraftwerke. «Diese bringen im Notfall zusätzlichen Strom ins System.» Die Schaffung einer gezielten Winterreserve sei für die kommenden Jahre «notwendig und sinnvoll». Der Zeitdruck beim Aufbau sei enorm, sagte Energieministerin Simonetta Sommaruga.

Gas-Reservekraftwerke sollen helfen, die Stromversorgung in den nächsten Wintern sicherzustellen. Der Bundesrat hat die entsprechende Winterreserveverordnung in die Vernehmlassung geschickt. Die neuen Regeln sollen spätestens Mitte Februar 2023 in Kraft treten. Die Vernehmlassung dauert bis am 18. November 2022.

Für den kommenden Winter 2022/2023 stehen vorerst rund 250 MW des Reservekraftwerks in Birr AG zur Verfügung. Die Kosten der Winterreserve tragen die Stromverbraucherinnen und Stromverbraucher. Für die Zeitperiode 2024 bis 2026 dürften die Strompreise um durchschnittlich rund 1,4 Rappen pro Kilowattstunde steigen.

«Jeder Zubau von Produktion fürs Winterhalbjahr, aber auch die Etablierung der strategischen Reserven helfen, die Risiken zu minimieren», unterstreicht Antonia Adam die Bedeutung, sich auf allfällige Engpässe vorzubereiten.

Unsicherheitsfaktor Frankreich

Wie unvorhersehbar die Lage am Strommarkt ist, lässt sich beispielhaft auch an den französischen Kernkraftwerken zeigen. Dass Frankreich seine in Revision befindlichen AKW schnell wieder hochfahren wolle, stimme Elcom-Chef Lugginbühl zwar «verhalten zuversichtlich». Ob der tatsächlichen Wiederinbetriebnahme gebe es aber Unisicherheiten.

Derzeit ist etwa die Hälfte der 56 französischen Reaktoren wegen ausstehender Revisionen und Reparaturen nicht in Betrieb. Präsident Emmanuel Macron versprach zwar, dass bis Januar der grösste Teil wieder ans Netz gehen würde. Zurzeit gefährdet allerdings ein Streik in zehn der AKW den Zeitplan.

So schnell werde die Energiekrise nicht verschwinden, hat dann auch IWF-Vizedirektorin Gita Gopinath jüngst in einem Interview mit dem deutschen «Handelsblatt» gewarnt. «Dieser Winter wird schwierig, aber der Winter 2023 könnte noch schlimmer werden», sagte die Ökonomin.

Mit Material der Nachrichtenagentur SDA.

Die Gefahr einer akuten Strommangellage scheint im kommenden Winter zu sinken. Das kann im übernächsten schon wieder ganz anders aussehen.
Die Gefahr einer akuten Strommangellage scheint im kommenden Winter zu sinken. Das kann im übernächsten schon wieder ganz anders aussehen.
Keystone/URS FLUEELER