Folgen der TrockenheitAuch die Schweiz muss sich auf Durststrecken vorbereiten
Von Andreas Fischer
1.7.2022
Italiens längster Fluss kämpft mit Dürre
Luftaufnahmen zeigen, wie dramatisch sich die Lage von Italiens längstem Fluss ist: Im Einzugsgebiet des Po herrscht die schlimmste Dürre seit rund 70 Jahren. Viele Abschnitte des Flusses sind völlig ausgetrocknet, was die Bewässerung der Felder problematisch macht und die Anwohner stark beunruhigt.
30.06.2022
Den Tessiner Seen fehlt zwar schon jetzt Wasser. Doch noch ist die Trockenheit in der Schweiz kein grösseres Problem. Das kann sich aber in nur einem Sommer ändern, wie ein Experte erklärt.
Von Andreas Fischer
01.07.2022, 06:55
01.07.2022, 07:00
Von Andreas Fischer
Nicht weit von der Schweizer Grenze herrscht derzeit die schlimmste Dürre seit 70 Jahren. Mehr als 100 Gemeinden in den Regionen Piemont und Lombardei wurden vor einigen Tagen aufgefordert, nachts die Trinkwasserversorgung an die Haushalte einzustellen oder zu drosseln. Der Po, Italiens grösster Fluss, ist vielerorts zum Rinnsal geschrumpft.
Abhilfe könnte aus dem Tessin kommen, aus dem Lago Maggiore. Italien hat bereits um Hilfe gebeten. Allerdings: «Niederschlagsdefizite gab es auch in der Schweiz in den letzten Wochen und Monaten überall, im Tessin sogar seit Dezember», wendet der Tessiner Massimiliano Zappa, Hydrologe bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) im Gespräch mit blue News ein.
«Es gibt in Teilen des Tessins Engpässe, und ein Gewitter reicht nicht, um sie zu beheben. Die kumulierten Niederschlagsdefizite führen dazu, dass die Tessiner Seen – aber auch der Bodensee – deutlich tiefere Pegelstände als sonst haben», führt Zappa aus.
Hat die Schweiz überhaupt genug Wasser, um dem südlichen Nachbarn zu helfen? Schliesslich war der Winter auch hierzulande recht trocken und die Schneeschmelze fiel geringer aus als üblich.
Wie steht es um den Wasserhaushalt der Schweiz?
blue News hat bei Paolo Burlando nachgefragt. Der Experte für Hydrologie und Wasserwirtschaft forscht am Institut für Umweltingenieurwissenschaften an der ETH Zürich. Laut seiner Einschätzung habe es in einem grossen Teil der Schweizer Seen zwar weniger Wasser als üblich, bei einem Drittel der Stationen sind Abfluss und Seespiegel sogar aussergewöhnlich tief. Die Trockenheit sei in der Schweiz aber kein grösseres Problem. Vorerst zumindest.
So kannst du ohne grossen Aufwand Wasser sparen
Beim Händewaschen und Zähneputzen den Wasserhahn nicht weiterlaufen lassen, sondern zudrehen. Das empfiehlt sich auch beim Einseifen unter der Dusche.
Duschen statt baden
Wasserspareinsätze an Wasserhähnen und Duscharmaturen
Toilette nur so lange spülen wie nötig und Stopptaste nutzen
Tropfende Wasserhähne sofort reparieren
Geschirrspüler und Waschmaschine voll beladen (aber nicht überladen), Sparprogramme nutzen, auf Vorwäsche verzichten
Obst und Gemüse in einer Schüssel statt unter fliessendem Wasser waschen. Das Wasser kannst du dann zum Blumen giessen verwenden.
Im Garten Regenwasser auffangen und PFlanzen nur im Wurzelbereich giessen
«Die Wasserbilanz in der Schweiz ist zurzeit im Vergleich mit anderen europäischen Ländern – insbesondere in Südeuropa – nicht so dramatisch», bewertet Burlando die aktuelle Lage. Die Trockenheitsindizes von MeteoSchweiz bestätigen seine Einschätzung: «Die über sechs Monate berechnete Anomalie der Wasserbilanz zeigt eine vorherrschende Tendenz zur Trockenheit, die jedoch in den letzten Monaten abnimmt, was auf eine angemessene Erholung hindeutet.»
Den Tessiner Seen fehlt Wasser
Ungeachtet dessen, schränkt Burlando ein, könnte «ein trockener und wärmerer Sommer als üblich die Situation der Flüsse und Seen, die derzeit niedrige Pegelstände aufweisen, verschlimmern.» Im Tessin haben die Seen schon jetzt rekordtiefe Pegelstände. «Das Tessin gehört zu den Regionen, die vom winterlichen Niederschlagsmangel betroffen sein können und wo die Haushalte vermehrt auf Quellwasser angewiesen sind», erklärt Burlando.
Laut WSL-Hydrologe Zappa sei die Situation im Tessin vergleichbar mit der in Norditalien. «Wir sind gegenüber der Po-Ebene, dem Piemont oder den Dolomiten vom Niederschlag nicht bevorzugt behandelt worden und haben keinen Wasserüberschuss.»
Wie schlimm ist die Lage in der Südschweiz, droht gar Wasserknappheit? Burlando will nicht dramatisieren, weist aber darauf hin, dass die Region stärker gefährdet sei als andere, «wenn die als Folge des Klimawandels vorhergesagte erhöhte Klimavariabilität in grösserem Ausmass eintritt».
Besonders komplex sei in diesem Kontext die Situation des Lago Maggiore, «weil das Seewasser für konkurrierende Nutzungen gebraucht wird, die widersprüchliche Ziele haben. Die Schifffahrt sowie der Tourismus sind etwa auf eine gewisse Stabilität des Pegels angewiesen, wohingegen die Landwirtschaft in Italien viel Wasser für die Bewässerung braucht, was den Seepegelstand wiederum senkt.»
Extreme Situationen erfordern extreme Massnahmen
Ob Italien die Schweiz berechtigt auffordern kann, mehr Wasser abzugeben, ist für Burlando sowohl eine technische als auch eine politische Frage. «Die technische Frage kann durch die Untersuchung von Szenarien und deren Auswirkungen beurteilt werden», auf der politischen Ebene gehe es um bestehende internationale Verträge «sowie um eine Diskussion über mögliche Abweichungen davon». Dies setze eine politische Bereitschaft zur Diskussion und eine gemeinsame politische Entscheidung voraus.
Vom Bundesrat ist da im Moment kein Entgegenkommen zu erwarten. Umweltministerin Simonetta Sommaruga betonte gegenüber blue News anlässlich der Bundesratsreise, dass der Bundesrat zurzeit andere Prioritäten hat: «Wir haben im Hinblick auf den nächsten Winter entschieden, dass wir Wasserkraftreserven anlegen.» Das organisiere man zurzeit und bereite die notwendigen Massnahmen vor.
In extremen Situationen, wie sie Norditalien zurzeit erlebt, bleiben leider nur «notwendige und unvermeidbare Notfallmassnahmen» wie die Rationierung von Wasserressourcen. «Um sie zu umgehen», so Burlando, «ist es wichtig, präventiv Massnahmen zu ergreifen: zum Beispiel die Senkung des Verbrauchs, Verbesserung der Bewässerungseffizienz, Verringerung von Verschwendung und Verlusten.»
Italiens Rechnung geht nicht auf
Aktuell seien die Stauseen in der Südschweiz zu 32 Prozent gefüllt, sagt Zappa: «Italiens Annahme, dass wir unendlich viele Wasserreserven hätten, ist sehr zu relativieren.» Ein Kollege Zappas habe vorige Woche durchgerechnet, wie lange das Wasser der Tessiner Stauseen reicht.
Damals waren sie zu 27 Prozent gefüllt. «Würde man sie komplett entleeren, hätte der Lago Maggiore etwa einen halben Meter höher gelegen. Damit könnte man ohne Verluste maximal elf Tage Wasser nach Italien abgeben», erklärt Zappa.
Bei weitem nicht alles würde auch wirklich in der Po-Ebene ankommen: «Das Wasser muss vom Stausee über den Lago Maggiore erstmal bis zur Po-Ebene fliessen. Auf dem Weg dorthin gibt es viele flache Gegenden, in den das Wasser verdunsten kann. Zudem ist der Boden so trocken, dass ein grosser Teil des Wassers einfach versickern würde.»
Die Schweiz muss sich besser vorbereiten
Wassersparmassnahmen und die Rationierung von Wasser seien nur als Ergänzungen sinnvoll, wenn alle anderen Massnahmen keine Wirkung mehr haben. «Sie müssen Teil eines umfassenden Managementplans für Wasserressourcen sein, aber sie stellen das letzte Mittel dar. Zunächst müssen Massnahmen zur Erhöhung des Angebots und zur systematischen Senkung des Verbrauchs geplant und umgesetzt werden», fordert der Wissenschaftler.
Burlando ist zuversichtlich, dass die Schweiz nicht auf Notfallmassnahmen zurückgreifen muss, «wenn rechtzeitig geplant und gehandelt wird, aber auch aufgrund der allgemein günstigeren Klimabedingungen im Vergleich mit anderen EU-Ländern.» Gleichwohl könne es lokal in den trockensten Regionen des Landes zu Rationierungen kommen. Der Kanton Aargau etwa hat bereits die Wasserentnahme aus einem Dutzend Gewässer sistiert.
Umfrage
Ist Wasser sparen was für dich?
Die Schweiz müsse sich in jedem Fall auf weitere Hitzewellen einstellen und vermehrt mit längeren Trockenperioden rechnen. Darauf sollte sie vorbereitet sein, auch wenn «die Prognosen für die Mitte des Jahrhunderts nicht so dramatisch zu sein scheinen wie in anderen Regionen Europas», sagt Burlando.
Dennoch: «Auch Privatpersonen können den Umgang mit dem Wasser überdenken», sagt Zappa. «In meiner Heimatgemeinde im Südtessin hing schon vor einigen Wochen ein Plakat, das dazu aufrief, Wasser zu sparen.» Punktuell lasse sich in der eigenen Gemeinde durchaus etwas erreichen, wenn man trotz heisser Tage nicht morgens und abends duscht und zwischendurch vielleicht noch in der Badi: «Das wäre eine Verdreifachung des täglichen Bedarfs.»