Expertin zur 4-Tage-Woche «Einfach länger arbeiten heisst nicht, dass wir produktiver sind»

Von Monique Misteli

20.4.2023

Kürzere Arbeitszeiten sollen mehr Freizeit und Erholung bringen, so wie hier im Berner Rosengarten. (Symbolbild)
Kürzere Arbeitszeiten sollen mehr Freizeit und Erholung bringen, so wie hier im Berner Rosengarten. (Symbolbild)
Keystone

Die 4-Tage-Woche wird zurzeit heiss diskutiert. Laut Experten geht es nicht um die Frage, ob – sondern nur noch darum, wann und in welcher Form dieses Arbeitszeitmodell zur Regel wird.

Von Monique Misteli

Keine Zeit? blue News fasst zusammen

  • Gleich viel Lohn, aber einen Tag weniger arbeiten: Darum geht es im Kern bei der 4-Tage-Woche. Dies löst Diskussionen bei Arbeitgebenden wie Arbeitnehmenden aus.
  • Trotz magerer Datenlage sind sich Experten einig, dass die 4-Tage-Woche früher oder später Realität wird. In welcher Form, werde sich noch zeigen.
  • Über die Zeit haben die Arbeitsstunden pro Woche abgenommen. Während im 19. Jahrhundert bis zu 70 Stunden pro Woche gearbeitet wurde, sind heute 40 die Regel. 

Island und Belgien haben sie bereits, Japan hat sie auf freiwilliger Basis eingeführt und in Spanien, Deutschland oder der Schweiz laufen Pilotversuche dazu: die 4-Tages-Woche. Das bedeutet: einen Tag weniger arbeiten bei vollem Lohn.

Weniger arbeiten, genauso viel schaffen, mehr leben – und das bei gleichem Lohn, klingt verlockend, oder?

So verlockend, dass das neue Arbeitszeitmodell die aktuelle sozialpolitische Debatte prägt.

Die Befürworter argumentieren mit effizienteren Arbeitsabläufen, gesteigerter Motivation, besserem Gesundheitszustand und weniger Krankheitsausfällen der Mitarbeitenden.

Gegner monieren, dass mit der Arbeitszeitverkürzung die Arbeitslast verdichtet und der Stress sowie der organisatorische Aufwand der Firmen zunehmen werden. Ausserdem könnten dadurch entstandene Kosten als Preiserhöhungen an die Kunden weitergegeben werden. Dies befürchtete zumindest Valentin Vogt, Präsident des Arbeitgeberverbands jüngst in einem Streitgespräch mit René Schmid, Geschäfsführer eines KMU in der «Neuen Zürcher Zeitung».

Kaum aussagekräftige Forschungsliteratur

Auch bislang kaum vorhandene Studien können die Diskussion noch nicht entscheidend prägen. 

Erst vereinzelte Evaluationsberichte von Unternehmen, die die 4-Tage-Woche probehalber eingeführt haben, zeigen, dass die Arbeitnehmenden an der kürzeren Arbeitswoche festhalten wollen.

So zeigte sich etwa die Mehrheit der Angestellten und der Arbeitgeber zufrieden, die als Teil einer internationalen Forschungsgruppe in einem koordinierten Versuch 2022 die 4-Tage-Woche einführten und 32 statt 40 Stunden gearbeitet haben. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmenden berichtet, dass sich das Arbeitstempo erhöht habe. Das wird einerseits positiv (mehr Effizienz), aber auch negativ (mehr Stress) aufgefasst. 

Auch Studien, die die in Frankreich im Jahr 2000 eingeführte 35-Stunden-Woche untersuchen, zeigen ein uneinheitliches Bild. 

Für Gudela Grote, Arbeits- und Arbeitspsychologin der ETH Zürich, ist indes klar, dass eine 4-Tages-Woche sinnvoll wäre und verweist auf wissenschaftliche Studien, die belegen, dass viele Menschen derzeit einer zu hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt sind.

Wie die Umsetzung aussehen könnte, müsse man noch genauer evaluieren und sie sei je nach Branche unterschiedlich, so Grote. Ob dann tatsächlich nur noch 32 Stunden oder vielleicht 36 Stunden gearbeitet oder ein Mix mit etwas weniger Lohn drin liege, müsse ausprobiert werden. Für die Forscherin ist allerdings klar: «Einfach länger arbeiten heisst nicht, dass wir produktiver sind.»

Die Arbeitszeit sinkt

Teilzeitarbeit boomt

Gemäss dem Bundesamt für Statistik hat die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche in der Schweiz über die Jahre kontinuierlich abgenommen. Während 1991 noch 35,3 Stunden gearbeitet wurden, waren es 2021 noch 30,6 Stunden. Das sind 37 Prozent der Erwerbstätigen die ein Pensum unter 90 Prozent hatten. Und dieser Trend dürfte weitergehen. Faktisch ist die 4-Tage-Woche für viele schon Realität.

Was hingegen unbestritten ist: dass kürzere Arbeitszeiten in der Schweiz ein Trend sind.

Ein Blick ins Historische Lexikon der Schweiz zeigt, dass im 19. Jahrhundert hierzulande noch 60 bis 70 Stunden Arbeit pro Woche üblich waren. Um 1950 lagen typische Arbeitszeiten zwischen 45 und 50 Stunden, die den heute nach wie vor gesetzlich gültigen Höchstarbeitszeiten entsprechen. Heute gilt die 40-Stunden-Regel aber als Usus.

Ist somit die 4-Tage-Woche nun die logische Folge? 

«Ja», sagt Arbeits- und Organisationspsychologin Grote. Das habe einerseits mit dem technischen Fortschritt zu tun, andererseits mit dem gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Teilzeitarbeit. Dem Vorwurf des Wohlstandsproblems entgegnet Grote: «Es geht darum, ob wir, solange wir uns solche neuen Arbeitsmodelle leisten können, das auch wollen.»  

Damit die Einführung der Viertageswoche gelingen kann, braucht es eine Mischung aus unternehmerischer Freiheit, um umsetzbare Modelle zu definieren, und einer politischen und gesellschaftlichen Debatte.

Deine Meinung interessiert uns

Was hältst du von der 4-Tage-Woche?