Backward TracingHier stecken wir uns am häufigsten mit Corona an
Von Lukas Meyer und Gil Bieler
14.8.2021
Der Kanton Basel-Stadt macht seit Kurzem ein aufwendiges Backward Tracing, um Ausbruchsherde aufzuspüren. Auch Zürich will Infektionen genauer auf den Grund gehen – das hat aber Grenzen.
Von Lukas Meyer und Gil Bieler
14.08.2021, 17:45
16.08.2021, 10:27
Lukas Meyer und Gil Bieler
Wo ereignen sich die meisten Ansteckungen mit dem Coronavirus? Für die allermeisten von uns ist das auch nach eineinhalb Jahren Pandemie noch unklar. Der Kanton Basel-Stadt wollte der Sache genauer auf den Grund gehen und führt seit Kurzem ein sogenanntes Backward Tracing durch.
Dieses wurde im Frühjahr aufgebaut und komme nun besonders zum Tragen, teilt das Gesundheitsdepartement auf Anfrage von «blue News» mit: «Durch das Backward Tracing konnten wir in den letzten Wochen bereits viele zusätzliche Informationen über Ausbruchsherde gewinnen.»
In den letzten Wochen konnten wir durch Backward-Tracing viele zusätzliche Informationen über Ausbruchsherde gewinnen. Wir haben deshalb hier neu zusammengestellt, wie wir dabei vorgehen:https://t.co/slIi10KBOK
Das Backward Tracing beinhaltet ein vertieftes Gespräch über die Aktivitäten der betroffenen Person in den 14 Tagen vor Symptombeginn respektive vor dem Testdatum bei Asymptomatischen. «Die Tätigkeit benötigt daher mehr Personal.» Dabei schaut man, bei wem sich eine Person angesteckt hat und ob sie weitere Personen hätte anstecken können.
Nicht alle Infizierten seien gleich ansteckend. Oft bildeten sich Infektionsherde um einen Infizierten, der vergleichsweise viele weitere Personen anstecke. Diese Herde will man ausfindig machen und eindämmen.
Ergänzung zum Contact Tracing
Das sei eine Ergänzung zum klassischen Contact Tracing, sagt das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Das BAG erinnerte die Kantone bereits im Frühjahr 2021 daran, «dass es vertiefte telefonische Befragungen wünscht, um die Infektionsquellen zu ermitteln, das heisst die Kontakte der Personen in den 14 Tagen vor dem positiven Test und nicht nur in den zwei Tagen vor dem Auftreten der Symptome zu verfolgen», heisst es weiter. Mit diesen ausführlichen Interviews sollte man herausfinden, durch wen sich jemand infiziert habe.
Momentan haben sich viele in den Ferien angesteckt, wie die Basler Bemühungen zeigen. Laut dem neuesten Bulletin haben sich 30 Prozent beim Reisen angesteckt, 21 Prozent in der Familie und 16 Prozent im Nachtleben. 11 Prozent der Ansteckungen gehen auf einen Ausbruch im Bundesasylzentrum zurück, der sich aber wieder beruhigt. Am Freitag wurde die Quarantäne wieder aufgehoben.
Die Ansteckungen in Clubs haben sich wieder verlangsamt. Momentan seien 169 Fälle in zehn Clubs und Bars bekannt, darunter zwei grosse Infektionsherde mit 55 respektive 44 Fällen.
Oft kann nur vermutet werden
Auch der Kanton Zürich versucht, den Ansteckungskontext festzustellen. Momentan hat sich rund die Hälfte der positiv Getesteten in den Ferien angesteckt. Zudem listet der Kanton sogenannte Ereignisse auf, bei denen es sich mehrere Personen angesteckt haben. So kam es in Unternehmen zu 12 Ereignissen, im betreuten Wohnen zu 6 Ereignissen, in Bars und Clubs zu je 2 Ereignissen.
Doch das Backward Tracing hat auch Grenzen, wie das BAG betont: «Für eine positiv getestete Person ist es oft schwierig, den Ort zu identifizieren, an dem sie sich infiziert hat.» Dies gelte vor allem, weil es mehrere Kontaktstellen zu Personen geben könne, die manchmal unbekannt seien. «Die Identifizierung des Ursprungs der Infektion ist per definitionem schwierig, wenn nicht sogar bei einem grossen Teil der Fälle unmöglich.»
Dies zeigt ein Blick auf die Zürcher Zahlen: Bei Ansteckungen im eigenen Haushalt oder bei Freunden und Familie gelten die meisten als gesichert, bei Ansteckungen im ÖV oder beim Einkauf sind die meisten nur vermutet.
Tempo ist beim Contact Tracing entscheidend
Epidemiologe Marcel Tanner findet, dass es allein mit Transparenz, wo sich Infektionen ereignen, nicht getan ist. «Noch entscheidender ist, dass der Prozess des Contact Tracings schnell erfolgt», sagt er im Gespräch mit «blue News». Diesbezüglich gebe es bei der Schweizer Corona-App – aus Datenschutzgründen – aber zwei Hürden: Erstens müsse man die App freiwillig installieren. Und zweitens müsse, wer über ein positives Testergebnis benachrichtigt werde, selber einen Code eintippen, damit andere Nutzer gewarnt werden. Und diese müssen dann wiederum freiwillig beim BAG melden.
«Wenn jemand beispielsweise eine Nachricht am Freitag erhält, aber erst noch das schöne Wochenende geniessen will, bevor er den Code eintippt oder telefoniert, dann ist das legitim. Es ist ja freiwillig. Aber das führt dann zu unerwünschten Verzögerungen.» Dadurch werde am Ende auch verwischt, wo eine Infektion effektiv stattgefunden habe, und rasches, gezieltes Eingreifen sei nicht mehr möglich. Dies wiederum begünstige laut Tanner flächendeckende Massnahmen, die man nun eigentlich vermeiden wolle.
Weil mit der Delta-Variante nun eine besonders ansteckende Mutation kursiere, mache dies die Suche nach dem genauen Ursprungsort einer Infektion nochmals schwieriger. «Darum ist das Tempo beim Contact Tracing jetzt noch wichtiger, damit wir rechtzeitig erkennen können, wo und wann sich eine Infektion ereignet hat, damit gezielt eingegriffen werden kann.»