499 Überstunden Gemeinde muss Schulleiterin 50'000 Franken nachzahlen

loe

16.10.2024

Das Schulhaus Tannenweg in Würenlingen AG. Hier haben sich die Überstunden angehäuft.
Das Schulhaus Tannenweg in Würenlingen AG. Hier haben sich die Überstunden angehäuft.
Screenshot Google Maps

Die Gemeinde Würenlingen AG soll einer ehemaligen Schulleiterin rund 50'000 Franken für Überstunden nachzahlen. Die Nachzahlung lehnte die Gemeinde ab, weshalb der Fall vor Gericht gelandet ist.

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  • Eine Gemeinde muss einer ehemaligen Schulleiterin 50'000 Franken nachzahlen.
  • Von August 2020 bis März 2021 hatte die Schulleiterin 499 Überstunden angehäuft.
  • Der Gemeinderat kann das Urteil überhaupt nicht nachvollziehen.

499 Überstunden, also rund 50'000 Franken samt Zins, muss eine Aargauer Gemeinde einer pensionierten Co-Schulleiterin auszahlen. Das hat das Verwaltungsgericht entschieden. Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.

Doch wie kam es dazu, dass eine Gemeinde einer ehemaligen Schulleiterin so viel Geld nachzahlen muss? Die Frau hat ihre Forderung kurz vor ihrer Pensionierung eingereicht. Für 1022 Überstunden, die sie zwischen August 2020 und März 2021 geleistet hatte, verlangte sie 106'000 Franken. Dies lehnte die Gemeinde ab – ebenso den Vorschlag der Schlichtungskommission für Personalfragen, die Hälfte zu zahlen.

Daraufhin kam es im August zur Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, das nun sein schriftliches Urteil publiziert hat.

Klage nur teilweise gutgeheissen

Gutgeheissen wurde die Klage nur teilweise – dennoch ist dies für die Schulleiterin ein Sieg. Die Gemeinde wurde dazu verpflichtet, ihr netto rund 43'000 Franken sowie 3000 Franken an Sozialversicherungsbeiträgen zu zahlen. Mit einem Zinssatz von 5 Prozent erhöht sich der Betrag auf über 50'000 Franken.

Darüber hinaus muss die Gemeinde auch Gebühren von 5562 Franken und Anwaltskosten in Höhe von 13'500 Franken tragen.

Vor Gericht gab die ehemalige Schulleiterin an, von 6 bis 23 oder 23.30 Uhr gearbeitet zu haben. Sie hatte 499 Überstunden geltend gemacht, 329 für August bis Dezember 2020 und 170 für Januar bis März 2021. Das Gericht bestätigte diese und berechnete auf Grundlage eines Jahreslohns von rund 154’000 und einen Brutto-Stundenlohn (samt 25 Prozent Überstundenzuschlag) von 91.70 Franken.

Gemeinderat kann Urteil nicht nachvollziehen

«Der Gemeinderat kann nicht nachvollziehen, wie das Gericht zu diesem Urteil kommt», sagt Gemeindeammann Patrick Zimmermann zur «Aargauer Zeitung» (AZ). Ob er das Urteil vor Bundesgericht ziehen wird, sei noch nicht entschieden.

Die Gemeinde kritisierte zudem die geltend gemachten Überstunden. Sie seien unglaubwürdig. Die Einträge der Schulleiterin im Zeiterfassungstool, das vom Kanton zur Verfügung gestellt wird, seien nicht verwertbar. 

Doch die Schulpflege, die als Anstellungsbehörde im Februar 2021 vom Gemeinderat abgelöst wurde, hatte 329 Überstunden für 2020 genehmigt und eine Anordnung der Überstunden für 2021 ausgesprochen.

Vor Gericht sagte Zimmermann aus, er habe nichts von der Anordnung gewusst und von der Schulpflege das Protokoll nicht erhalten. Das Gericht widerspricht ihm und empfindet die Aussage «zweifelhaft». Der Gemeinderat habe die Anordnung nicht aufgehoben, das Protokoll habe der Gemeindeammann zugestellt bekommen und sei von einer Kantonsmitarbeiterin über die Auszahlung informiert worden.

Zimmermann hält an seinen Aussagen fest. An einer Sitzung im Oktober 2020 mit dem Gesamtgemeinderat sei die Überstundenanordnung «von der damaligen Arbeitgeberbehörden, der Schulpflege», nicht erwähnt worden. Der im Nachhinein vorlegte Protokollauszug sei überdies nicht gültig unterzeichnet worden.

Eine unterbesetzte Schulverwaltung und Covid-19-Pandemie

Der Grund für die Mehrarbeit der Schulleiterin sei vor allem die unterbesetzte Schulverwaltung, die Covid-19-Pandemie, die Inbetriebnahme eines neuen Schulgebäudes und die Einarbeitung eines neuen Co-Schulleisters gewesen, kommuniziert die fünfköpfige Schulpflege.

Seitdem wurden die Stellenprozente der Schulverwaltung erhöht. Damals waren es zwei Personen bei 110 Prozent, heute sind es 150 Prozent mit drei Personen. «Es besteht kein Zusammenhang zwischen dem vorliegenden Fall und den Stellenprozenten der Schulverwaltung», hält Zimmermann fest. «Die Situation heute ist nicht mehr vergleichbar mit dem August 2021, da wir die Schulverwaltung und die Schulführung neu organisiert haben.»

Der Gemeinderat sah damals – im Gegensatz zur Schulpflege – keinen Bedarf für eine Aufstockung des Verwaltungspersonals. Zimmermann erklärt: «Auch ein Vergleich mit anderen Schulen derselben Grösse zeigte keinen Handlungsbedarf.»

Gesamte Schulpflege tritt zurück

Diese unterschiedlichen Ansichten führten zu Spannungen zwischen Gemeinderat und Schulpflege. Schliesslich gab die gesamte Schulpflege im Januar 2021 ihren Rücktritt. Die Begründung: «Unüberbrückbare Differenzen». Sie kritisierten zudem die Arbeitsbedingungen einiger Schulangestellter.

Laut Gemeinderat lagen «die grössten Differenzen zur Schulpflege beim haushälterischen Umgang mit den Steuergeldern und im zielgerichteten Einsatz der Personalressourcen».

Das Urteil zeigt nun auch: Der Würenlinger Co-Schulleiter, der im August 2020 seine Stelle antrat, hatte bis Ende Jahr 315 Überstunden angesammelt. Auch diese wurden nicht ausgezahlt. Der Schulleiter verweist die «AZ» an die Gemeinde als Arbeitgeberin und Zimmermann antwortet: «Führungspersonen in der Verwaltung und in der Privatwirtschaft leisten üblicherweise Überstunden, welche mit guten Kaderlöhnen abgegolten sind.»

Philipp Grolimund, Co-Präsident des Verbands Schulleiterinnen und Schulleiter Kanton Aargau, betrachtet den Fall als Ausnahme: «Es ist eher ein Einzelfall, ansonsten hätten wir von weiteren Fällen Kenntnis». Er betont jedoch, dass kleinere Schulen in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie schneller unter Druck geraten können und ihn die hohen Überstunden daher kaum wundern.