Online-Streik Kritik an Milliarden für die Fliegerei – doch wer hört zu? 

Von Julia Käser

15.5.2020

Am 15. Mai 2020 ist Klimastreik-Tag, doch die Strassen bleiben leer. Demonstriert wird an diesem bewölkten Freitag im virtuellen Raum. 
Am 15. Mai 2020 ist Klimastreik-Tag, doch die Strassen bleiben leer. Demonstriert wird an diesem bewölkten Freitag im virtuellen Raum. 
Bild: Keystone

Kuhglocken, Telefonketten und farbige Kreide statt Tausende auf der Strasse: Die Klimabewegung verlegt ihren Streik in den digitalen Raum. Doch ist ihre Stimme dort ebenso laut wie an den Demonstrationen?

Freitag, 15. Mai, 11.59 Uhr: Plötzlich erklingt eine Sirene mitten in Zürich, Kuhglocken-Sound folgt. Für einen kurzen Moment ist es still, bevor zwischen dem Lärm der vorbeifahrenden Autos ein paar Dutzend rufende Stimmen zu vernehmen sind, und schliesslich werden irgendwo in der Nähe Pfannen aufeinander geschlagen. 

Vor ziemlich genau einem Jahr, am globalen Klimastreik im Mai 2019, hatten sich hierzulande über 20'000 Menschen auf der Strasse versammelt und gemeinsam für den Klimaschutz demonstriert (siehe Bildstrecke unten). Ein solches Szenario ist in diesem Mai undenkbar. Heute heisst das Mittel, mit dem Aufmerksamkeit generiert werden soll, Klimaalarm und klingt, wie oben beschrieben. 



Man habe sich schon früh damit abgefunden, dass das Demonstrieren auf der Strasse angesichts der Coronakrise nicht möglich sei und auch unverantwortlich wäre, sagt Lena Bühler vom Klimastreikkollektiv zu «Bluewin». Weil das Streiken fürs Klima aber gerade jetzt wichtiger sei denn je, hat sich das Streikkollektiv für den digitalen Weg entschieden – »Challenge for Future» statt «Strike for Future». 

«Digital können wir weiterhin eine Stimme haben»

Was auffällt: Der Onlineauftritt der Bewegung wirkt aufgeräumter, professioneller als noch vor einigen Monaten. Bühler bestätigt: «Wir haben unseren Fokus gezwungenermassen auf die digitalen Netzwerke legen müssen. Dadurch sind wir weltweit nun breiter vernetzt und online besser aufgestellt.» 

Man habe sich als Bewegung einer grundlegenden Umstellung unterziehen müssen, sagt Bühler. Dies habe täglich mehrere virtuellen Sitzungen in Anspruch genommen, aber: «Es muss weitergehen. Auch wenn es nicht dasselbe ist, wie mit Tausenden von Leuten auf die Strasse zu gehen – in den digitalen Netzwerke können wir weiterhin eine Stimme haben.»

Und diese will die Klimabewegung lauter nutzen als je zuvor. Bühler sagt, genau jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, um für einen ökologischen Wandel einzustehen. «Aktuell wird diskutiert und entschieden, wie die Wirtschaft nach der Krise wieder zum Laufen gebracht werden soll.»

Entscheiden sei, in welche Branchen nun investiert werde. Die vom Bund beschlossene Milliardenhilfe für die Luftfahrt missfällt der Klimabewegung. Bühler dazu: «Stattdessen sollten Investitionen in den ÖV und in erneuerbare Energien im Vordergrund stehen.» 

Kreiden-Malerei, Telefonketten und Onlineseminare

Um auf ebensolche Anliegen aufmerksam zu machen, hat das Streikkollektiv für diesen Freitag nebst dem Klimaalarm ein Webradio auf die Beine gestellt, auch Onlineseminare werden angeboten, Diskussionsrunden und verschiedene Challenges, denen man sich stellen kann.

«Wir wollten den Leuten die Möglichkeit bieten, auch in der aktuellen Situation fürs Klima aktiv sein zu können – sei es auf eine kreative oder eine bildende Art und Weise», erklärt Bühler. So gibt es etwa Telefonketten, bei denen man über den Klimaschutz debattieren kann, oder eine Auswahl an Filmen, die man sich zur Weiterbildung anschauen kann.

Weiter besteht die Möglichkeit, seine eigene Parole, eine persönliche Rede oder ein eigenes Video-Statement rund ums Klima zu verfassen und anschliessend zu teilen. Nicht zuletzt wird dazu aufgerufen, mit farbiger Kreide fünf Fakten rund um das Thema Klimawandel auf die Strasse zu schreiben, oder ein Banner zu entwerfen und unters eigene Fenster zu hängen. 

«Corona hat der Klimabewegung kurzfristig geschadet»

Doch hat ein stiller Banner an der Hauswand dieselbe Wirkung wie inmitten von Tausenden Demonstrantinnen und Demonstranten? Ist die Stimme der Klimabewegung im digitalen Raum gleich laut wie auf der Strasse? 

Laut Joël Berger, Soziologe an der Universität Bern, hat die Coronakrise der Klimabewegung per se kurzfristig geschadet – anders als ihrem Ziel, der Reduktion von klimaschädigenden Emissionen. Erstens nehme die Krise sehr viel Platz in der Öffentlichkeit ein und lasse kaum Raum für andere Themen, darunter die Klimastreiks. 



Zweitens, so Berger: «Demonstrationen sind nicht möglich, und dadurch kann weniger Resonanz in den Medien erzeugt werden.» Zudem würden Demonstrationen von sozialen Dynamiken leben und stetig wachsen. Werde diese Dynamik unterbrochen, könne es sein, dass es nicht auf demselben Niveau weitergehe wie zuvor.

«Vielleicht muss die Klimabewegung deshalb zuerst wieder Aufbauarbeit leisten», bilanziert Berger im Hinblick auf die Zeit nach der Krise. Die aktuell veranstalteten Online-Proteste betrachtet er derweil als Mittel, um die soziale Dynamik der Bewegung ein Stück weit in Gang zu halten. 

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