Politgeograf über Wahlpanne «Für die Schweiz ist das besonders peinlich»

Von Gil Bieler

25.10.2023

Bundesamt für Statistik: «Es ist nicht entschuldbar»

Bundesamt für Statistik: «Es ist nicht entschuldbar»

Der Bund hat am Sonntag falsche Parteistärken bei den Nationalratswahlen publiziert. Das wurde bei Qualitätskontrollen festgestellt. Die Korrektur hat keine Auswirkungen auf die Verteilung der Sitze und die gewählten Nationalrät*innen.

25.10.2023

Der Bund hat falsche Wahlresultate veröffentlicht: Problematisch sei, dass der SVP-Zuwachs und die linken Verluste übertrieben worden seien, sagt Politikgeograf Michael Hermann. Zahllose Analysen seien damit überholt.

Von Gil Bieler

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der Bund hat bei den Nationalratswahlen vom Sonntag falsche Parteistärken publiziert. Das räumte das Bundesamt für Statistik am Mittwoch ein.
  • Auf die Sitzverteilung im Nationalrat habe das aber keinen Einfluss.
  • Politgeograf Michael Hermann findet es problematisch, dass der Zugewinn der SVP und die Verluste im linken Lager als zu gross dargestellt worden seien.
  • Auch wenn die Sitzverteilung gleich bleibe: Die Erzählung vom Rechtsrutsch sehe jetzt anders aus, sagt er zu blue News.
  • Ob jetzt aber die FDP knapp vor der Mitte liege oder umgekehrt, sei eher unwichtig. Die Frage nach dem zweiten Bundesratssitz stelle sich für beide Parteien sowieso – bei der nächsten Vakanz.

Sie haben dauernd mit Statistiken zu tun: Ist das ein Super-GAU?

Am Ende ist die Sitzverteilung relevant, und die war ja nicht falsch. Aber es zeigt sich, dass ein solcher Flüchtigkeitsfehler extrem viel an der Wahrnehmung verändern kann. Unzählige Artikel und Analysen in den Medien müssen jetzt umgeschrieben werden.

Meinen Sie das Abschneiden von FDP und Mitte? Jetzt zeigte sich, dass die Mitte doch nicht am Freisinn vorbeiziehen konnte.

Zur Person
Michael Hermann, Geschaeftsfuehrer Sotomo spricht an einem Point de Presse zur Covid 19 Situation, am Dienstag, 20. Juli 2021, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Keystone

Michael Hermann ist Politgeograf und Leiter des Meinungsforschungsinstituts Sotomo.

Es ist witzig, dass sich jetzt alle auf diesen Aspekt stürzen, dabei war der Abstand zwischen den beiden Parteien immer sehr knapp. Nein, ich meine, dass der Zuwachs der SVP und die Verluste der Linken übertrieben waren. Das ist politisch relevanter. Denn über die Zeit verfestigen sich Erzählungen, und jetzt zeigt sich: Das war gar nicht der Fall. Der Rechtsrutsch im Stimmvolk war jetzt doch moderater, als wir dachten. 

Auch die Erzählung von der gut funktionierenden Schweiz nimmt wohl Schaden.

Wir können jetzt nicht mehr auf Österreich zeigen, wo es zuletzt auch solche Wahlpannen gab. Die Schweiz sollte genau sein wie ein Uhrwerk – darum ist das für uns besonders peinlich. Es gab hier übrigens vielleicht sogar eine Weltpremiere: Zum ersten Mal überhaupt war eine Wahlumfrage – die von meinem Institut Sotomo – genauer als das amtlich publizierte Endergebnis.

Trotzdem nochmals zum Rennen zwischen Mitte und FDP: Ist die Debatte um die Bundesrats-Zusammensetzung jetzt vom Tisch?

Überhaupt nicht. Die Mitte hat sich immer schon auf den Standpunkt gestellt, dass sie keine amtierenden Bundesratsmitglieder angreift. Aber beim nächsten Rücktritt wird sie wahrscheinlich doch antreten. Beide Parteien haben jetzt Argumente für ihren zweiten Bundesratssitz auf ihrer Seite: Die FDP hat etwas mehr Wähleranteil auf ihrer Seite, die Mitte etwas mehr Sitze im Parlament.

Könnte das Vertrauen im Volk in den Wahlprozess so Schaden nehmen?

Nur das Vertrauen ins Bundesamt für Statistik nimmt Schaden. Gewählt wird in den Kantonen, die Sitze werden in den Kantonen verteilt, und dort hat das Ergebnis gestimmt. Die Fehler passierten erst beim Zusammenzug auf Bundesebene. Und das ist problematisch, weil jetzt Debatten aufgrund falscher Ergebnisse lanciert wurden, die sich in den Köpfen festgesetzt haben. Diese zu korrigieren, ist schwierig.