Reaktionen zur «Ehe für alle» Für die einen ein «Meilenstein», für die anderen ein «schwarzer Tag»

SDA/gbi

26.9.2021 - 15:36

Gegner der «Ehe für alle» sind enttäuscht

Gegner der «Ehe für alle» sind enttäuscht

Die Schweiz sagt deutlich ja zur Ehe für alle. Das Nein-Komitee zeigt sich besorgt und enttäuscht. SVP, EDU und EVP stören sich insbesondere an der mit der Vorlage verknüpften Samenspende für lesbische Paare.

26.09.2021

Das Volk hat gesprochen – und damit die Befürworter der «Ehe für alle» überglücklich gemacht. Nun brauche es weitere Gleichstellungsschritte, fordern sie. Die Gegner der Vorlage fürchten bereits eine «Salamitaktik». 

Das Stimmvolk sagt deutlich Ja zur «Ehe für alle». Als das am Sonntagnachmittag feststeht, macht sich beim Pro-Komitee Erleichterung breit: Es sei ein Ja für die Gleichstellung, die Familienvielfalt und den Schutz der Kinder, sagt Co-Präsidentin Maria von Känel.

Sie sei froh, dass sich die Bürgerinnen und Bürger von den «Falschinformationen» der Gegnerinnen und Gegner der Vorlage nicht hätten beirren lassen. Denn mit dem Ja würden die Kinderrechte gestärkt. Die Unterstützung von Kinderrechtsorganisationen wie Pro Juventute und Pro Familia habe viel dazu beigetragen.

Offene Fragen

Einige Fragen blieben jedoch noch offen, sagte von Känel – und denkt dabei an private Samenspenden und Samenbanken im Ausland. Diese Punkte müssten im Zusammenhang mit dem Abstammungsrecht geklärt werden.

Ausserdem brauche es nun eine nationale Elternzeit. Diese müsse auf alle Eltern ausgeweitet werden, unabhängig von der Familienkonstellation. Und es müsse weiterhin Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden, um bestehende Diskriminierungen und Vorurteile abzubauen.

Mitglieder des Pro-Komitees feiern das Abstimmungsergebnis zur «Ehe für alle» in Bern.
Mitglieder des Pro-Komitees feiern das Abstimmungsergebnis zur «Ehe für alle» in Bern.
Bild: Keystone

Schritt für offene, tolerante Schweiz

Unterstützung für die Pläne kommt von der Grünen Partei. Gerade der Abstimmungskampf habe verdeutlicht, dass beim Thema Gleichberechtigung von queeren Personen homophobe Attacken und Vorurteile nicht ausblieben, so die Grünen. Deshalb setze man sich weiterhin für die gesellschaftliche Gleichstellung ein.

Doch zunächst freuen sich die Grünen über das klare Ergebnis: Nach über 20 Jahren Pionierarbeit sei das Ja der Schweizer Bevölkerung die Krönung, schreibt die Partei auf Twitter. Damals habe sich die ehemalige Grünen-Nationalrätin Ruth Genner für das Thema eingesetzt. Das klare Volks-Verdikt zeige, dass gleichgeschlechtliche Liebe und Regenbogenfamilien in der breiten Gesellschaft längst akzeptiert seien.

«Gleiche Liebe, gleiche Rechte»

Mit einem riesigen roten Herz mit der Aufschrift: «Gleiche Liebe, gleiche Rechte» feiert die Operation Libero den Abstimmungssieg auf der kleinen Schanze – mit Sicht auf das Bundeshaus in Bern. Die Schweiz habe lange auf die «Ehe für alle» gewartet.

Das Hochzeitsfoto-Shooting mit drei Pärchen, zwei Männern, zwei Frauen und einem heterosexuellen Paar symbolisiere, dass endlich alle drei Paare den Bund des Lebens eingehen könnten. Das klare Ja sei ein klares Indiz, dass die Mehrheit der Gesellschaft vielfältigen Lebensformen «viel offener und fortschrittlicher» gegenüberstehe.

Doch die «Ehe für alle» sei nur ein Etappen-Sieg, schreibt die Organisation. Denn der Staat privilegiere immer noch gewisse Lebensformen gegenüber anderen. Deshalb forderten sie als Nächstes die Einführung der Individualbesteuerung, einer «geregelten Lebensgemeinschaft für unverheiratete Paare», eine vereinfachte Elternschaft und ein modernes Sexualstrafrecht.

Die Operation Libero inszeniert mit zwei queeren Brautpaaren und einem heterosexuellen Paar eine Hochzeitsfeier in Bern. 
Die Operation Libero inszeniert mit zwei queeren Brautpaaren und einem heterosexuellen Paar eine Hochzeitsfeier in Bern. 
Bild: Keystone

Weitere Liberalisierungen befürchtet

Genau diese «Salamitaktik» befürchten die Gegnerinnen und Gegner der Vorlage: Sie wisse, dass entsprechende Vorstösse bereits in der Pipeline seien, sagt SVP-Nationalrätin Monika Rüegger vom Komitee gegen die «Ehe für alle».

Dabei gehe es zum Beispiel um die Leihmutterschaft oder die Eizellen-Spende. Auch Mehrehen seien nun nicht mehr ausgeschlossen, sagte Rüegger. Doch dann werde sie die Mitteparteien und die Linken im Parlament beim Wort nehmen. Denn diese hätten bei den vergangenen Debatten versprochen, dass weitere Liberalisierungen nicht in Frage kämen.

«Schwarzer Tag für Kindswohl»

Für das Kindeswohl sei heute ein «schwarzer Tag», findet Rüegger. Die Kinder hätten nun nicht mehr «das Recht», mit Vater und Mutter aufzuwachsen. Die Befürworterinnen und Befürworter hätten im Abstimmungskampf das «unbestrittene» Thema der «Ehe für alle» geschickt mit der Samenspende verbunden. Und ihnen selbst sei es nicht gelungen, dieses «falsche Bild der Vorlage» hervorzuheben.



Denn das Problem sei nicht die Ehe zwischen Erwachsenen gewesen, sondern die medizinisch unterstützte Fortpflanzung, sagte auch der Walliser Mitte-Nationalrat Benjamin Roduit dem Westschweizer Fernsehen RTS. Er befürchte, dass nun Tür und Tore geöffnet seien. Der Erfolg der Gegenkampagne sei es vielleicht gewesen, das Kindswohl in dieser Entwicklung thematisiert zu haben.

EDU-Parteipräsident Daniel Frischknecht zeigt sich ebenfalls besorgt um das Kindswohl. Den Abstimmungskampf bezeichnet er als einen Kampf von David gegen Goliath. Die provokativen Plakatsujets, mit denen das Nein-Lager Stimmung gemacht hat, sieht er nicht als kontraproduktiv an. 

«Ehe für alle»: Operation Libero feiert

«Ehe für alle»: Operation Libero feiert

Bereits am späten Sonntagmorgen feierte die Operation Libero den sich abzeichnenden Sieg der «Ehe für alle» mit einem Foto- und Videoshooting in Bern.

26.09.2021

SDA/gbi