Radikale KlimaschützerExpertin sieht Gemeinsamkeiten mit Terror-Organisationen
Von Andreas Fischer
7.11.2022
Renovate Switzerland blockiert Dufourstrasse in Zürich
Renovate Switzerland haben heute Freitag kurz das Utoquai in Zürich blockiert. Die Organisation fordert die umgehende ökologische Sanierung der Gebäude der Schweiz, um den Klimawandel zu bremsen.
14.10.2022
Auf der Klimakonferenz COP27 diskutieren die Staaten, wie die Welt zu retten ist. Nicht mit Reden, finden junge Klimaschützer und werden in ihrem Protest radikaler. Eine Soziologin erklärt, was dahinter steckt.
Von Andreas Fischer
07.11.2022, 18:12
07.11.2022, 18:19
Von Andreas Fischer
Dürren, Überschwemmungen, Unwetter und steigende Meeresspiegel: «Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuss auf dem Gaspedal», fand UNO-Generalsekretär António Guterres am Montag im ägyptischen Scharm el Scheich deutliche Worte. «Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens – und sind dabei, zu verlieren», warnte er zum Auftakt der Weltklimakonferenz COP27.
Seine Rede hielt Guterres vor Dutzenden Staats- und Regierungschefs: Aber auch wenn sich Spitzenpolitiker immer wieder auf Klimakonferenzen treffen und versprechen, den Kampf gegen die Erderwärmung noch zu verstärken: Auf politischer Ebene erwarten sich viele keine Lösung mehr für die Klimakrise. Vor allem nicht die junge Generation, die sich in Protestgruppen organisiert und mit radikalem Aktionismus von sich reden macht.
Medial bekommen Aktionen wie Strassen- und Flughafenblockaden oder das Festkleben an Gemälden eine Menge Aufmerksamkeit. Aber nützen sie auch was im Kampf gegen die Klimakrise? Können Gruppen wie «Renovate Switzerland» oder «Letzte Generation» wirklich mehr erreichen als die Politik? Oder sind die extremen Formen zivilen Ungehorsams kontraproduktiv? Antworten hat die Soziologin Katja Rost von der Universität Zürich.
Zur Person: Katja Rost
John Flury
Katja Rost ist Ordinaria für Soziologie und Privatdozentin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Wirtschafts- und Organisationssoziologie, der digitalen Soziologie, sozialer Netzwerke und Diversität.
Die Protestaktionen einiger radikaler Klimaschützer erregen sehr viel Aufmerksamkeit: Wie entstehen solche Gruppen eigentlich und warum radikalisieren sie sich?
Die Klimaschutzbewegung ist im Prinzip nichts Neues. Es gab immer schon Trend- oder Modebewegungen, die ein ideologisches Ziel verfolgen: in der Musik oder in der Kulturszene etwa. Man könnte sich also auch fragen, wie einst die Heavy-Metal-Bewegung entstanden ist.
Solche Gruppen entstehen aus neueren Gesellschaftstrends, die die Leute gerade bewegen. Daher gibt es immer wieder neue Jugendgruppen oder -bewegungen, die den Zeitgeist mittragen. Sie haben verschiede Motive: Schützt die Tiere! Schützt die Umwelt! Rebelliert gegen eure Eltern! Seid gegen den Krieg! Es radikalisieren sich dann häufig die Ränder solcher Gruppen. Der Grossteil solcher sozialen Bewegungen verhält sich hingegen gemässigt.
Die Aktionen gehen dementsprechend nur von einem kleinen Teil der Klimaschützer aus?
Genau. Was daran spannend ist: Der radikalisierte Teil der Gruppe hat durchaus einige Gemeinsamkeiten mit Terrororganisationen, beispielsweise mit dem linken Terror.
Das klingt ziemlich alarmierend: Was macht denn Terror aus?
Es ist zunächst einmal eine Kommunikationsstrategie. Es geht hauptsächlich darum, Aufmerksamkeit zu erregen, indem man Angst und Schrecken verbreitet und indem man das Denken der Menschen besetzt und versucht, politisch eine Meinung durchzusetzen.
Gruppen wie Renovate Switzerland lehnen Gewalt gegen Menschen explizit ab und wollen auch Schäden an Sachen weitgehend vermeiden …
Leider gibt es meist Menschen in solchen Gruppen, die irgendwann Grenzen überschreiten. Um maximale Aufmerksamkeit zu erzeugen, nehmen sie dann immer mehr Opfer in Kauf, zum Teil auch «unsichtbare» Opfer. Wenn man beispielsweise an der Strasse festgeklebt ist, billigt man auch, dass Rettungsfahrzeuge behindert werden. Aber natürlich sind die Klimaproteste – gemessen an anderen ideologischen sozialen Bewegungen – noch lange nicht so radikal und gewaltbereit.
Kann man mit extremen Formen des Protestes den eigenen Zielen wirklich näher kommen?
Dem Ziel, Aufmerksamkeit für die eigenen Anliegen zu erzeugen, hilft das definitiv. Es ist nun mal eine Kommunikationsstrategie, die verfolgt wird: Mit solchen Aktionen erreicht man die Massenmedien und ist somit in öffentlichen Diskussionen präsent.
Was ist denn positiv daran, wenn die Medien zunehmend kritisch berichten?
Die meisten Menschen sehen die Aktion nicht positiv, das ist richtig. Aber den radikalen Protestgruppen geht es nicht darum, gemocht zu werden. Sie wollen, dass ihr Thema präsent ist.
Ist es denn nicht kontraproduktiv, wenn die eigenen Aktionen für eine eigentlich gute Sache von den meisten Menschen abgelehnt werden?
Das wird in den Gruppen meistens nicht bewusst reflektiert, weil sie ideologisch am selben Strang ziehen – also in sich geschlossene Echokammern sind. Man glaubt, dass viele andere ähnlich ticken; unter anderem, weil der Kontakt zu anderen Personengruppen fehlt.
Mangelnder Kontakt und mangelnde Reflexion sind aber nicht nur auf die radikalen Klimaprotestgruppen beschränkt. Beispielsweise spricht auch eine übertriebene gendergerechte Sprache oder eine übertriebene Diversifizierung in Theatern oder der Hochkultur nicht die Durchschnittsbevölkerung an, sondern nur einen kleinen Teilbereich dieser.
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Greenpeace hat schon in den 1970er-Jahren mit spektakulären Aktionen von sich reden gemacht: Wie extrem sind die aktuellen Protestformen im Vergleich?
Es ist weder schlimmer noch weniger schlimm als in der Vergangenheit. Solche Protestformen sind wiederkehrend – und zurzeit einfach wieder da.
Wie könnten die radikalen Protestgruppen cleverer agieren, also ohne die Bevölkerung zu irritieren, und trotzdem die Ziele zu erreichen?
Die Klimakrise ist ein Kollektivgutproblem, und wir stecken alle in einem Gefangenen-Dilemma. Das heisst: Jeder möchte eine saubere Umwelt und das Klima schützen. Darüber besteht ein grundsätzlicher Konsens.
Aber: Niemand möchte dazu etwas beitragen. Das sehen wir jetzt auch bei der COP27-Konferenz. Im Prinzip sind sich arme und reiche Länder über das Problem einig, aber niemand ist bereit die anfallenden Kosten zu übernehmen. Oder die Staaten finden Möglichkeiten, sich der finanziellen Verantwortung zu entziehen. Alle anderen dürfen bitte zahlen, nur ich brauche es nicht.
Nach diesem Motto agiert aber nicht nur die Politik. Auch wir selbst machen es im Alltag: Wir sind uns des Problems bewusst, möchten aber auf nichts verzichten. Diese Ambivalenz zeigt sich auch bei den jungen Menschen: Sie gehen einerseits auf die Klimademos und fliegen anderseits für Kurztrips nach London. Und ich selbst habe gerade einen Plastikbecher in der Hand, weil ich mal wieder meinen wiederverwendbaren Kaffeebecher vergessen habe und jetzt trotzdem einen Cappuccino trinken möchte.
«Highway in die Klimahölle»: Dramatischer Appell auf der COP27
UN-Generalsekretär António Guterres sieht die Erde auf einem «Highway in die Klimahölle»: Mit einem dramatischen Appell fordert der UN-Generalsekretär auf der Weltklimakonferenz in Scharm el Scheich ein sofortiges Umsteuern in der Klimakrise.