Extinction RebellionBraucht es zivilen Ungehorsam für den Klimaschutz?
Von Lia Pescatore
5.10.2021
Der zivile Ungehorsam wird zur Waffe im Kampf gegen den Klimawandel – nach Greenpeace setzen auch Klimastreik und Extinction Rebellion auf illegale Aktionen. Doch nicht alle machen mit.
Von Lia Pescatore
05.10.2021, 18:03
09.10.2021, 08:57
Lia Pescatore
Schon zum zweiten Mal haben heute Mitglieder der Gruppe Extinction Rebellion (auf Deutsch: Rebellion gegen das Aussterben) Zürcher Verkehrsknotenpunkte, während Dutzend von ihnen noch wegen der gestrigen Aktion inhaftiert waren.
«Es tut uns leid, aber das ist ein Notfall» – so kommentiert die Gruppe ihre Aktion – auf ihrer Website, auf den Flyern, die sie verteilen, aber auch durch ihren Mediensprecher Marcus Bosshard.
Man entschuldige sich bei den Personen, die durch die Blockade gestört worden seien, sagt Bosshard im Gespräch mit «blue News».
«Ehrliche Verzweiflung» treibe die Beteiligten auf die Strasse. Man wolle die Menschen und die Politik auf den Ernst der Lage aufmerksam machen. Dieses Mittel sei nötig gewesen, «weil wir glauben, dass wir mit den jetzigen Verhältnissen keine Lösung hinbringen, die wissenschaftlich adäquat ist, um die Klimakrise zu stoppen», begründet Bosshard die illegale Aktion.
Eine Initiative? Dauere zu lange. Zudem sei die Politik in Bern geprägt von der Macht der Lobbyisten und der Angst der Politiker, ihre Wiederwahl zu gefährden.
«Wir riskieren unseren Job und eine Verhaftung»: Damit wolle man zeigen, wie ernst man die Forderungen meint: Netto-Null bis 2025, politisches Umdenken.
Ziviler Ungehorsam als Erfolgsrezept
Extinction Rebellion folgt mit ihrem Vorgehen klar der Vorgängerorganisation Greenpeace. Erst durch die illegalen Aktionen, die teilweise extremer gewesen seien als die von Extinction Rebellion, seien die Forderungen von Greenpeace ernst genommen worden, sagt Sozialanthropologin Simone Gretler Heusser. «Es ist ihr Erfolgsrezept.»
Ob das Kapern von Schiffen, die auf Walfang gehen, oder das Aufhängen von riesigen Plakaten in Fussballstadien, die die Sponsoren hinter den Sportanlässen kritisieren – Greenpeace macht mit seinen Aktionen Schlagzeilen. Es gehe bei den Aktionen des zivilen Ungehorsams grundsätzlich darum, die Öffentlichkeit auf ein Problem aufmerksam zu machen, sagt Mediensprecherin Yvonne Anliker.
Greenpeace verfolge dabei den Grundsatz, dass Aktionen dort durchgeführt würden, «wo das Problem angesiedelt ist». So stellten sie vor einem Monat eine übergrosse Helvetia-Statue auf den Zürcher Paradeplatz mit der Forderung, dass der Schweizer Finanzplatz dringend zu mehr Klimaschutz verpflichtet werden müsse.
Strassenblockade sei «einfachstes Mittel»
Extinction Rebellion wählt mit der Sitzblockade hingegen das «einfachste Mittel», wie Bosshard selbst sagt, um die Menschen aus dem Alltagstrott rauszuholen: beim Verkehr. So könne sichergestellt werden, dass niemand zu Schaden komme.
Gleichzeitig trifft die Aktion aber alle Verkehrsteilnehmenden gleich, bedenkt Sozialanthropologin Gretler Heusser, sowohl die Fahrer von umweltbelastenden Autos wie auch die Menschen im Tram, «das kann sich kontraproduktiv auswirken».
Doch man müsse die Sitzblockaden auch als Teil der gesamten Orchestrierung der Gruppierung sehen. Im Juni kündigte Extinction Rebellion in einem Brief an den Bundesrat an, Zürich so lange lahmzulegen, bis dieser den Klimanotstand ausrufe. Diese Drohung habe sie nun umgesetzt. So sei die Aktion zwar illegal gewesen, aber gut koordiniert.
Vorzeitige Ankündigung zeigt Wirkung
«Mit ihrem Vorgehen haben sie gezeigt, dass sie eine politische Agenda haben», sagt Greutler. Und durch die frühe Vorankündigung hätten sie das Maximum an Aufmerksamkeit eingeholt und zudem die Öffentlichkeit vorgewarnt.
«Dadurch hatten die Menschen die Chance, sich zu überlegen, ob sie die Stellen meiden wollen», dadurch sei vielleicht auch ein Bewusstseinsprozess gestartet worden – genau dieser brauche es, um ein Umdenken bei den Menschen anzuregen.
Die klare Kommunikation und gute Organisation sei bemerkenswert, sei doch Extinction Rebellion als Kollektiv ohne Hierarchien organisiert und darum eher schwer fassbar.
Geht Klimaschutz auch ohne illegale Aktionen?
«Es könnte ein Indiz dafür sein, dass die Gruppierung Extinction Rebellion, die schon vom Namen her kriegerischer auftritt, sanftere Töne anschlägt» und sich damit der Strategie der Bewegung des Klimastreiks annähere, sagt Gretler Heusser.
Doch auch der Klimastreik setzt vermehrt auf zivilen Ungehorsam. So heisst es in der Strategie, die die Bewegung Anfang dieses Jahres veröffentlicht hat: «Um eine Atmosphäre der Veränderung zu fördern, braucht es nun massenhaften kollektiven Ungehorsam.» Ist der Kampf für den Klimaschutz ohne illegale Aktionen noch möglich? Ja, sagt der WWF. «Wir setzen nicht auf Aktionen des zivilen Ungehorsams», schreibt die Organisation auf Anfrage.
Die Sitzblockade will man nicht genauer kommentieren, jede Organisation entscheide selbst über ihre Mittel der Zielerreichung.
Ratings und Ratgeber statt Strassenblockaden
Auch der WWF sagt klar: Es herrscht «dringender Handlungsbedarf». Doch die Lösungen trägt der WWF lieber gemeinsam mit Partnern in die Politik, in die Wirtschaft und in die öffentliche Debatte – dazu dienen die Veröffentlichung von Studien und Ratings von Unternehmen und Hochschulen, aber auch Ratgeber und Klima-Tipps für Konsument*innen und Aktionen wie Ferienlager und Schulbesuche für Kinder und Jugendliche.
Auch für Marcus Bosshard von Extinction Rebellion ist klar, dass die Kritik am Ist-Zustand allein nicht ausreiche.
Am liebsten würde Extinction Rebellion das politische System umkrempeln: Der Bewegung schweben Bürgerräte vor, die per Losverfahren besetzt würden. So könnten die Mitglieder frei über Massnahmen diskutieren, ohne wie die Politiker in Bundesbern um eine Wiederwahl fürchten zu müssen.
Laut Bosshard würden Aktionen wie die Sitzblockaden diese Woche mehr Menschen auf wissenschaftlich fundierte Berichte wie jenen des Welt-Klimarats aufmerksam machen. «Je mehr Menschen davon wissen, desto mehr werden auch Veränderungen in Kauf nehmen.» Dies käme auch der Findung von mehrheitsfähigen Lösungen zugute.
Auch Greenpeace-Mediensprecherin Anliker sagt: «Mit Aktionen des zivilen Ungehorsams allein geht es nicht.» So suche Greenpeace auch den Austausch mit den betroffenen Branchen und mit der Politik. «Wir legen den Finger auf den wunden Punkt, aber wir denken auch mit.»