Basel beschliesst Netto-Null bis 2037 «Wir sehen vor allem, dass die Verzweiflung sehr gross ist»

Von Gil Bieler und Christian Thumshirn, Basel

27.11.2022

Basel prescht beim Klimaschutz voran: «Das Zieljahr 2037 ist die absolute rote Linie»

Basel prescht beim Klimaschutz voran: «Das Zieljahr 2037 ist die absolute rote Linie»

Basel-Stadt erhält das ehrgeizigste Klimaziel der Schweiz: Das Stimmvolk nimmt zwar die Klimagerechtigkeits-Initiative an, gibt aber dem Gegenvorschlag den Vorzug. Das Netto-Null-Ziel gilt damit per 2037 statt 2030. Wie kommt das Initiativkomitee an?

27.11.2022

Netto-Null per 2037: Basel-Stadt eilt den anderen Kantonen beim Klimaschutz davon. Dieser Entscheid kam an der Wahlurne zustande – bei Renovate Switzerland hält man dennoch an Strassenblockaden fest.

C. Thumshirn

Basel-Stadt hat seit diesem Sonntag das ehrgeizigste Klimaziel der Schweiz. Und das ganz ohne Strassenblockaden mit am Asphalt festgeklebten Aktivist*innen – sondern allein mit zugeklebten Abstimmungscouverts.

Die Klimaschützer*innen des Vereins für Klimagerechtigkeit Basel haben den Weg über die politischen Institutionen gewählt. Ihre Klimagerechtigkeitsinitiative verlangte, dass der Stadtkanton bis 2030 netto keine Treibhausgas-Emissionen mehr ausstossen darf. Und sie wurde vom Stimmvolk mit einer Ja-Mehrheit von 56,7 Prozent angenommen.

Nur: Auch zu einem vom Kantonsparlament ausgearbeiteten Gegenvorschlag sagte das Volk mit 64,1 Prozent deutlich Ja – und dieser setzte sich am Ende dank der Stichfrage durch. (Hier geht es zum Abstimmungs-Ticker.)

Damit steht fest: Basel-Stadt soll bis 2037 klimaneutral werden. Das ist nicht ganz so schnell wie von den Initiant*innen erhofft, die 2030 als Zieljahr genannt hatten. Aber Basel-Stadt ist damit immer noch ambitionierter unterwegs als die anderen Kantone und vor allem der Bund, der Netto-Null per 2050 erreichen will.

Als die Ergebnisse im Grossratssaal in Basel am Sonntagmittag verkündet werden, bricht daher in allen Lagern Jubel aus. Macht sich beim Initiativkomitee denn kein bisschen Frust breit, so denkbar knapp unterlegen zu sein? Mediensprecherin Agnes Jezler verneint: «Das Abstimmungsresultat ist ein grosser Erfolg für alle, die sich für sozialgerechten Klimaschutz einsetzen», sagt sie im Interview mit blue News.

Das doppelte Volks-Ja interpretiert sie wie folgt: Das Zieljahr 2037 sei «die absolute rote Linie», und: «Die Baslerinnen und Basler haben sicherlich nichts dagegen, wenn man dieses Ziel übertrifft.»

Braucht es zivilen Ungehorsam überhaupt?

Angesichts der Basler Abstimmungsresultate fragt sich natürlich: Braucht es spektakuläre Aktionen überhaupt, um etwas für den Klimaschutz zu erreichen? Jezler will nicht das eine gegen das andere ausspielen: «Wir sehen vor allem, dass die Verzweiflung sehr gross ist», sagt sie, und «dass die Leute bereit sind für den Klimaschutz.» Auf welchem Weg sich die Menschen engagieren, sei zweitrangig.

Bei den Klimaaktivist*innen im Grossratssaal bricht Jubel aus, als die Ergebnisse verkündet werden.
Bei den Klimaaktivist*innen im Grossratssaal bricht Jubel aus, als die Ergebnisse verkündet werden.
Bild: gbi

Renovate Switzerland – eben jene Gruppe, die mit Strassenblockaden in verschiedenen Städten für Aufsehen gesorgt hat – bleibt ihrer Linie trotz dieses Erfolgs in Basel-Stadt treu: Ans Unterschriftensammeln denkt man nicht, wie Mediensprecherin Cécile Bessire auf Anfrage bestätigt. «Angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise haben sich die Sympathisanten von Renovate Switzerland für den zivilen Widerstand entschieden», begründet sie.

Seit über 40 Jahren würden Bürger*innen Demonstrationen organisieren, Initiativen und Petitionen starten und Briefe an den Bundesrat schreiben. «Doch ebenfalls seit über 40 Jahren steigen die CO₂-Emissionen weiter an und bedrohen unser Leben und das von Milliarden von Menschen.» Für Renovate Switzerland steht daher fest: «Gewaltfreie Aktion ist ein Mittel, das sich in der Geschichte als wirksam erwiesen hat, um die Regierung rascher zu konkreten Massnahmen zu zwingen.»

Soziologin: «Es geht darum, dass ihr Thema präsent ist»

Dass sich viele Menschen über Strassenblockaden aufregen, kann der Gruppierung wohl egal sein: Das sagte die Soziologin Katja Rost kürzlich im Gespräch mit blue News: «Die meisten Menschen sehen die Aktion nicht positiv, das ist richtig. Aber den radikalen Protestgruppen geht es nicht darum, gemocht zu werden. Sie wollen, dass ihr Thema präsent ist.»

Das haben beide Bewegungen geschafft, der Verein für Klimagerechtigkeit Basel als auch Renovate Switzerland. Wenn auch auf unterschiedlichem Weg. Cécile Bessire von Renovate Switzerland sagt denn auch, dass es für den Klimaschutz beides brauche – den Weg über die Institutionen als auch zivilen Ungehorsam. «Beide Ansätze wirken zusammen und sie verstärken sich gegenseitig.» Aktionen wie Strassenblockaden würden zur Beschleunigung der politischen Prozesse dienen.

Und Agnes Jezler vom Initiativkomitee blickt gespannt auf die übrige Schweiz: «Wir hoffen sehr, dass jetzt die nächsten Gemeinden oder Kantone kommen und unser Klimaziel übertrumpfen, das wäre sehr begrüssenswert.»

Auch in Basel selbst zeigt sich an diesem Sonntag, dass der Kampf gegen die Klimakrise noch lange nicht ad acta gelegt wird: Vor den Toren des Grossratsgebäudes sammeln vornehmlich junge Klimaschützer*innen bereits Unterschriften für die nächsten Initiativen.

Was denkst du zur Klima-Abstimmung in Basel-Stadt? Sag es in den Kommentaren (vorerst nur mit Desktop-Ansicht).