Ein Impfskeptiker erklärt sich «Ich traue diesem Verfahren nicht»

Von Gil Bieler

23.6.2021

Der Vorhang zu einer Impfkabine im Impfzentrum Bernexpo in Bern wird geschlossen.
Der Vorhang zu einer Impfkabine im Impfzentrum Bernexpo in Bern wird geschlossen.
Bild: Keystone/Peter Klaunzer

Auf dem Land wollen sich besonders viele Menschen nicht gegen das Coronavirus impfen lassen. Wieso eigentlich nicht? «blue News» hat einen Impfunwilligen nach seinen Gründen gefragt.

Von Gil Bieler

23.6.2021

«Wenn ich Aufwand und Ertrag vergleiche, dann merke ich: Das würde mir nichts bringen.» So erklärt Manuel* aus dem Sankt-Gallischen, wieso er sich gegen eine Corona-Impfung entschieden hat – genau wie rund ein Viertel der Bevölkerung im Kanton. Das zeigt eine breit angelegte Umfrage des Forschungsinstituts Sotomo, über die der «Tages-Anzeiger» am Dienstag berichtet hat.

Manuel fällt in jene demografischen Kategorien, in denen die Impfskepsis besonders gross ist: Er lebt auf dem Land und gehört zur Altersgruppe der unter 45-Jährigen, von denen sich gemäss Studie 30 Prozent nicht impfen lassen wollen. 

Ein Verschwörungstheoretiker ist er aber nicht. Ihm ist durchaus bewusst, dass Menschen am Coronavirus sterben. Es gab sogar einen Fall in seinem eigenen Umfeld. Und dennoch: Da er keiner Risikogruppe angehört, hat Manuel selbst keine Angst vor einem schweren Krankheitsverlauf. «Das Risiko, dass ich auf dem Arbeitsweg bei einem Autounfall sterbe, ist einiges höher.»

«Wenn impfen, dann erst in zwei, drei Jahren»

Woher rührt eigentlich Manuels Impfskepsis? Zum einen glaubt er, die mRNA-Impfstoffe seien zu wenig lange erprobt. «Ich bin kein Mediziner, aber ich traue diesem Verfahren nicht.» Zum anderen will er erst abwarten, ob sich langfristige Nachwirkungen der Impfung zeigen. «Wenn ich mich impfen lassen würde, dann wohl erst in zwei, drei Jahren. Und auch dann nur, wenn ich sonst Einschränkungen in Kauf nehmen müsste.»

Eine Mehrheit der Bevölkerung ist gegenüber der Covid-Impfung deutlich positiver eingestellt: Bisher sind in der Schweiz 37 Prozent der Erwachsenen vollständig geimpft, und: «Die Impfbereitschaft ist höher als erwartet», sagte Anne Lévy, Direktorin des Bundesamts für Gesundheit (BAG), am Dienstag vor den Medien. Die Schweiz nähere sich dem Ziel, bis Ende Juni 75 Prozent der besonders gefährdeten Personen und 60 Prozent aller Erwachsenen, die das auch wollen, impfen zu können.



«Wer sich impfen lassen will, soll das gern tun», sagt Manuel. «Wenn jede und jeder die Chance dazu hatte, dann können wir alles wieder aufmachen», hofft er. Denn die Folgen der Corona-Massnahmen für Gesellschaft und Wirtschaft erachtet er als gravierend.

Die Forschung zeigt, dass die Ausbreitung des Virus eingedämmt wird, je mehr Menschen sich impfen lassen. Wahrscheinlich geben Geimpfte das Virus nicht weiter, die Pandemie könnte so schneller vorüber sein. Ist das für ihn kein Anreiz? Nein.

Er glaubt, dass sich ohnehin genug Leute impfen lassen werden. «Und wer sich nicht impfen lassen will und sich dann trotzdem ansteckt, ist selber schuld», findet er. «Das ist Selbstverantwortung.»

Was aber ist mit Kindern, Schwangeren und Menschen mit geschwächtem Immunsystem? Sie können sich Stand heute in den meisten Fällen nicht gegen das Virus impfen lassen. Sie werden umso besser geschützt, je mehr ihrer Mitmenschen sich impfen lassen ­– und sind damit auf Solidarität angewiesen.

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Für Manuel ist das kein Anreiz, er schaut auf seine persönliche Kosten-Nutzen-Rechnung – und will sich das mRNA-Vakzin nicht spritzen lassen. «Wenn ich etwas nicht brauche, dann nehme ich es auch nicht», sagt er. Dasselbe gelte bei der Grippe, gegen die man sich impfen lassen könne – dennoch mache das niemand in seinem Umfeld.

«Natürlich kann auch eine Grippe einen heftig treffen, in manchen Fällen sogar tödlich verlaufen.» Und man könne ja auch Grippeviren ungewollt an ältere Menschen oder Risikopatient*innen weitergeben, findet Manuel – trotzdem werde die Bevölkerung nicht im gleichen Masse zur Influenza-Impfung aufgerufen. «Erst jetzt bei der Corona-Impfung gilt man schon fast als Mörder, wenn man sich dagegen entscheidet.»

«Covid-19 ist mehr als eine kleine Grippe»

Ein 1:1-Vergleich ist jedoch kaum möglich. Gegen die Grippe können auch Schwangere und Risikopatient*innen sich impfen lassen, was das BAG sogar ausdrücklich empfiehlt. Beim Coronavirus dagegen fehlen Daten zur Verträglichkeit. Schwangere müssen im Einzelfall mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin absprechen, was sinnvoll ist.

Unterschiede gibt es auch bei Minderjährigen: Wenn ein Komplikationsrisiko bekannt ist, können Kinder bereits ab einem Alter von sechs Monaten mittels Impfung gegen die Grippe geschützt werden. Die Corona-Impfung empfehlen das BAG und die Eidgenössische Kommission für Impffragen dagegen erst seit Dienstag auch für 12- bis 15-Jährige.

Hinzu kommt: Die Sterblichkeit zwischen Grippe und Covid-19 ist unterschiedlich. Zwar tut sich die Wissenschaft noch schwer damit, die genaue Letalität von Covid-19 zu beziffern. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält dennoch fest, dass das Sterberisiko höher sein dürfte als bei der Grippe. 



Auch eine Studie mit Daten aus 14 Schweizer Spitälern zeigt: Das Sterberisiko bei Personen, die ins Spital eingeliefert werden mussten, war bei Covid-19 dreimal höher als bei der Grippe. «Covid-19 ist mehr als eine kleine Grippe», sagte Mitautor Rami Sommerstein von der Luzerner Klinik Hirslanden St. Anna im Februar zu SRF.

Manuel steht mit seiner Meinung nicht allein da

Manuel kennt solche Berichte – umstimmen können sie ihn jedoch nicht. Die allermeisten Covid-Fälle würden schliesslich harmlos verlaufen, sagt er. «Es klingt hart, aber es kann halt auch einfach Pech sein, dass man sich das Coronavirus einfängt, und das Immunsystem kommt damit nicht klar», sagt er. Dasselbe gelte aber auch für andere Krankheiten. Er glaubt sogar: Die Corona-Massnahmen hätten gesellschaftlich grösseren Schaden angerichtet als das Virus selber.

In seinem Umfeld müsse er sich für seine Haltung in der Impffrage nicht rechtfertigen, sagt Manuel. «Ich lebe auf dem Land. Hier denken viel mehr Leute so als in der Stadt.»

Das zeigt auch die eingangs erwähnte Sotomo-Studie: Der Anteil an Impf-Skeptikern beträgt im ländlichen Raum 25 Prozent, in den Städten sind es dagegen nur 15 Prozent.

Dass man nicht jede und jeden vom Impfen überzeugen wird, dessen ist man sich auch beim Bund bewusst. Im 3-Phasen-Plan, der die Rückkehr zur Normalität skizziert, steht: «Selbst bei einer hohen Impfbereitschaft bleiben viele Personen ungeimpft», wie Kinder oder ebenjene, die sich nicht impfen lassen können oder wollen – wie Manuel. Die Folge: Auch bei weit fortgeschrittener Impfkampagne müsse mit neuerlich steigenden Fallzahlen gerechnet werden.

*Name der Redaktion bekannt