Studie «Hallo Nachbar*in»Die Schweiz mag Nachbarn – wenn sie auf Distanz bleiben
misc, sda
2.8.2022 - 11:14
Herr und Frau Schweizer haben zumeist ein distanziertes Verhältnis zu ihren Nachbarn. Doch andererseits fühlen sie sich in ihrer Umgebung sicher und sind durchaus hilfsbereit. Eine Studie macht vier Nachbar-Typen aus.
02.08.2022, 11:14
02.08.2022, 11:31
SDA/phi
Die meisten Menschen in der Schweiz pflegen ein eher distanziertes Verhältnis zu ihren Nachbarinnen und Nachbarn. Vertrauen bringen sie ihnen dennoch entgegen. Dies ist das Ergebnis einer am Dienstag veröffentlichten Studie.
Zwar gaben in der Studie «Hallo Nachbar*in» des Gottlieb-Duttweiler-Instituts (GDI) nur gerade 12 Prozent der Befragten an, ihre Nachbarn sehr gut zu kennen. Drei Viertel der Befragten fühlen sich nach eigener Aussage sehr sicher in ihrer Nachbarschaft und fast niemand ist unzufrieden mit dem Verhältnis zu den Nachbarinnen und Nachbarn.
Dies zeigt sich auch in alltäglichen Gesten: 67 Prozent leihen Essenszutaten oder Werkzeuge an Nachbarn aus. 48 Prozent giessen Pflanzen und 26 Prozent hüten gelegentlich Kinder oder kümmern sich um Haustiere von Nachbarinnen oder Nachbarn.
Vier verschiedene Typen
Die Studienautorinnen und -autoren teilen die Befragten in vier Typen ein: Laut der Erhebung zählen fast die Hälfte der Befragten, nämlich 47 Prozent, zu den «Distanzierten»: Sie möchten weder gestört werden noch zur Last fallen. Wenn sie etwas brauchen, helfen sie sich selbst. Dennoch sind sie im Notfall zur Stelle.
Weitere 30 Prozent bezeichnet die Studie als «Inspirationssucherinnen»: Für sie stehen Toleranz und anregende Begegnungen im Vordergrund. Sie schätzen kollektive Aktionen und Vielfalt. Zahlenmässig deutlich kleiner ist mit 14 Prozent die Gruppe der «Beziehungspfleger», die freundschaftliche Verhältnisse in einer homogenen Nachbarschaft anstreben.
Und lediglich rund 10 Prozent «Wertorientierte» möchten den Angaben zufolge unter Gleichgesinnten leben, mit denen sie ähnliche Werte teilen. Statt enger Beziehungen wünschen sich aber auch die Angehörigen dieser Gruppe respektvolle Distanz und einen rücksichtsvollen Umgang.
Wer gilt als Nachbar?
Die Studie zeigt zudem, dass der Begriff der Nachbarschaft in der Romandie und im Tessin breiter gefasst wird als in der Deutschschweiz. Die Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer zählen zu 59 Prozent nur ihre unmittelbaren Nachbarinnen und Nachbarn im Haus oder in den umliegenden Häusern zur Nachbarschaft.
Umfrage
Welcher Nachbarschaftstyp bist du?
Dagegen schliesst der Begriff in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz für 33 respektive 37 Prozent das ganze Quartier mit ein. In der Deutschschweiz äusserten sich lediglich 17 Prozent entsprechend. Die Häufigkeit der Kontakte zu den Nachbarinnen und Nachbarn sei für sie gerade richtig, gaben 81 Prozent der Befragten an. 16 Prozent wünschten sich mehr Kontakt, 2 Prozent weniger.
Allerdings gibt es Unterschiede nach Sprachregion und Siedlungsart. Ein Viertel der Menschen in Städten wünscht sich mehr Kontakt mit den Nachbarinnen. Romands haben häufiger das Bedürfnis nach mehr Kontakt als Personen in anderen Sprachregionen. Die GDI-Studie wurde im Auftrag des Migros-Kulturprozents verfasst. Sie basiert einerseits auf Interviews, andererseits wurden 1021 Personen zwischen 15 und 79 Jahren aus allen Sprachregionen online befragt.
Pandemie hatte nur bedingt Einfluss
Gestützt auf die Antworten aus den Interviews ziehen die Studienautoren den Schluss, die Corona-Pandemie habe die Nachbarschaftsverhältnisse nicht grundlegend verändert: Mit dem Ende der Corona-Einschränkungen sei denn auch die Alltagshektik und damit die Unverbindlichkeit zurückgekehrt.
Eine kurzfristige Änderung sieht die Studie jedoch: In den Zeiten des Homeschoolings habe man schreiende, spielende Kinder eher hingenommen: «Man war pragmatisch und maximal tolerant.»
Ein etwas anderes Bild hatte in der vergangenen Woche die Axa-Versicherung gezeichnet: Zwischen 2019 und 2020 hätten die Anfragen zu nachbarschaftsrechtlichen Streitereien um einen Viertel zugenommen, teilte sie mit. Die Pandemie habe zwar nicht neue Brandherde entfacht. Allerdings seien Störfaktoren mehr aufgefallen, weil alle häufiger zuhause gewesen seien.
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