Als «Gehilfin Putins» am Pranger«Der Ruf der Schweiz hat – einmal mehr – Schaden erlitten»
Von Andreas Fischer
6.5.2022
Die USA stellen die Schweiz als Hort für russische Vermögen an den Pranger. Experten und Politiker finden, dass sich Bern die heftigen Vorwürfe selbst eingebrockt hat.
Von Andreas Fischer
06.05.2022, 18:05
07.05.2022, 09:31
Von Andreas Fischer
Die Schweiz ein Versteck für dubiose Gelder? Dieses Image hält sich hartnäckig. Dabei hatte der Bund zuletzt etwa die EU-Sanktionen gegen Russland praktisch vollständig übernommen und mittlerweile fast neun Milliarden Franken auf Konten von sanktionierten Russen eingefroren.
Doch aus den USA kommen nun heftige Vorwürfe. «Die Schweiz, seit Langem als Versteck für Kriegsverbrecher und Kleptokraten bekannt, ist eine Gehilfin des russischen Diktators Wladimir Putin und seiner Kumpane», hiess es in der Einladung zu einer Anhörung der «Commission on Security and Cooperation in Europe», der sogenannten Helsinki-Kommission.
Was ist eigentlich die «Helsinki-Kommission»?
Die sogenannte Helsinki-Kommission soll die Einhaltung der Vereinbarungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) überwachen. Die Kommission ist ein unabhängiges Gremium und gibt nicht die Meinung der US-Regierung wieder. Sie ist laut SRF-Korrespondentin Isabelle Jacobi in den USA kaum bekannt, allerdings sitzen prominente Abgeordnete aus dem Senat und dem Repräsentantenhaus sowie drei Regierungsvertreter in dem Gremium. Durch die aktuelle Anhörung könnten US-Kongress und die Biden-Administration nun auf das «Schweizer Problem» aufmerksam werden und die Schweiz vor ein Reputationsproblem stellen.
Gegen den Text der Einladung hatte Bundespräsident Ignazio Cassis persönlich beim US-Aussenminister Anthony Blinken interveniert und die Formulierung «aufs Schärfste zurückgewiesen», wie Bundesratssprecher André Simonazzi bestätigt hat. Dabei habe Cassis die «politisch inakzeptablen» Unterstellungen zurückgewiesen und die Erwartung geäussert, dass die US-Behörden diese umgehend richtigstellten, ergänzte der Bundesrat am Freitag in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber Keystone-SDA.
Die Online-Anhörung (siehe Video) fand trotzdem statt. Und die Schweizer Justiz wurde als korrumpiert dargestellt – auch von einem Schweizer.
Schweizer Korruptionsexperte prangert die Schweiz an
Einer der drei Hauptsprecher war der Korruptionsexperte Mark Pieth, emeritierter Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Basel. Auch er prangerte undurchsichtige Machenschaften an. «Das Problem ist, dass Oligarchen und auch andere Interessenten – ich denke an die russische Staatsbank – Gelder in der Schweiz hatten und wir sie nicht finden, weil sie hinter sogenannten Briefkastenfirmen und Konten an Offshore-Orten versteckt sind», erläuterte Pieth in einem Interview mit SRF.
Schweizer Anwälte helfen nach seiner Darstellung dabei, dubiose Vermögen über Konten in der Karibik zu verstecken. Treten sie als Berater auf, sind sie nicht verpflichtet, Auskunft über die Berechtigten solcher Konten zu geben. Das Anwalts- und Geldwäscherei-Gesetz müsse dahingehend geändert werden.
Parlamentarier vom schroffen Ton überrascht
Dass Aussenminister Ignazio Cassis vehement bei seinem US-Amtskollegen intervenierte, bezeichnet Pieth «dünnhäutige» Reaktion. Besser wäre es, die Kritik ernst zu nehmen, sagte er.
So wie Roland Fischer, Nationalrat der Grünliberalen. Auf Anfrage von blue News gab er zu, von den «Aussagen dieser Kommission überrascht» gewesen zu sein. «Andererseits war es nach der unvollständigen Revision des Geldwäschereigesetzes im letzten Jahr absehbar, dass irgendwann solche Vorwürfe kommen. Die Schweiz kann sich nicht um internationale Standards drücken, wenn sie ein bedeutender Finanzplatz bleiben will.»
Anders sieht es SVP-Nationalrat Franz Grüter: «Die Schweiz hat sämtliche Sanktionen der EU übernommen und diese sogar noch ausgeweitet», teilt er auf Anfrage mit. «Die Sanktionen werden umgesetzt und konsequent angewendet in der Schweiz», betont der Politiker. «Die Vorwürfe gegen die Schweiz sind deshalb zurückzuweisen. Sie dürften auch mit dem in den USA zurzeit stattfindenden Vorwahlkampf in Zusammenhang stehen.»
Dies sei seine persönliche Meinung: Als Präsident der Aussenpolitischen Kommission (APK) möchte sich Grüter zu der Causa «zurückhaltend äussern, weil wir diese jüngsten Vorwürfe bei uns in der Kommission noch nicht besprochen haben».
Laubers «ungute Nähe» zu Putins Justiz
Die APK hat Einiges zu besprechen: Die Helsinki-Kommission kommuniziere zwar «sehr direkt, ja grob» wie Mark Pieth im «Tages-Anzeiger» sagte, aber der Vorwurf der Korruption, der von dem US-Gremium erhoben wurde, sei nicht so einfach von der Hand zu weisen. Pieth ist überzeugt, dass der Druck auf die Schweiz nach der Anhörung steigen wird.
Die Bundesanwaltschaft dürfte ins Visier genommen werden, wenn es etwa um Rechtshilfeverfahren zwischen der Schweiz und den USA gehe. «Der ehemalige Bundesanwalt Michael Lauber und dessen Mitarbeiter haben eine ungute Nähe zu Putins Justiz gepflegt», konstatiert Pieth im «Tages-Anzeiger». Auch dass die erneute Revision des Anwalts- und Geldwäscherei-Gesetzes im März 2021 verworfen wurde, sei klar ein Fehler gewesen, wie sich nun herausstelle.
Geldwäschereigesetz muss auf den Prüfstand
«Die Kommission hat sich zwar eindeutig im Ton vergriffen», findet Roland Fischer. «Die Basis der Vorwürfe jedoch, nämlich das Problem der Ausklammerung von Anwälten und Beratern von den Sorgfaltspflichten des Geldwäschereigesetzes, muss ernst genommen und gelöst werden.»
Der Luzerner Nationalrat kann sich «gut vorstellen, dass der Bundesrat sehr bald wieder mit einer Vorlage kommt, oder dass das Parlament selbst aktiv wird. Denn die Ausklammerung von Anwälten und Beratern von den Sorgfaltspflichten ist nicht mit den internationalen Empfehlungen vereinbar».
Dass die USA aufgrund der jetzt lautstark erhobenen Vorwürfe ihre Beziehungen zur Schweiz überdenken, glaubt Fischer nicht: «Der Ruf der Schweiz hat jedoch – einmal mehr – Schaden erlitten.»
Fidschi beschlagnahmt Oligarchen-Superyacht
Behörden auf den Fidschi-Inseln haben laut US-Justizministerium eine 300-Millionen-Dollar-Superyacht beschlagnahmt. Die «Amadea» soll dem russischen Oligarchen Suleiman Kerimow gehören.
06.05.2022
Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und dpa.