Wermuth: «Da hat es mir den Nuggi rausgehauen»
Als Teenager zog Cédric Wermuth als Austauschschüler in die Ukraine. Bei Roger Schawinski spricht der Co-Präsident der SP über Sanktionen gegen Russland, Oligarchen in der Schweiz und den Krieg.
27.03.2022
Vermögenssperren und Meldepflichten sind für die Schweiz nichts Neues: Beim Aufspüren russischer Oligarchengelder scheint es aber zu harzen. Ein Experte erklärt die Gründe.
Die Suche nach Vermögenswerten sanktionierter Russinnen und Russen soll intensiviert werden. Um diese Vermögenswerte sperren zu können, ist das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) auf die Beteiligung von Banken, Unternehmen, Steuerverwaltungen und Grundbuchämtern angewiesen. Einige Behörden, so scheint es, fallen nicht gerade durch besonderen Eifer auf.
Beim Seco ist man ob des Tenors der Berichterstattung der vergangenen Tage überrascht. «Es liegt in der Natur der Sache, dass die Übernahme der EU-Sanktionen in Schweizer Recht etwas Zeit erfordert», erklärt Mediensprecher Fabian Maienfisch auf Anfrage von blue News. Die Behörden hätten nach den Entscheiden des Bundesrates «jeweils mit Hochdruck an der Anpassung der entsprechenden Verordnungstexte gearbeitet» und den politischen Entscheid rasch umgesetzt.
Schweizweit wurden bisher Gelder und Vermögenswerte in Höhe von mindestens 5,75 Milliarden Franken gesperrt. Dies wurde auf einer Medienkonferenz am 24. März mitgeteilt. Gemäss Maienfisch kommen beim Seco «laufend Meldungen zu Vermögen von sanktionierten Personen herein.» Da dieser Prozess noch voll im Gang sei, würden bereits eingegangene Meldungen lediglich einen unvollständigen, sich ändernden Zwischenstand abbilden. Das Seco wolle daher «zu gegebener Zeit» wieder informieren.
Die gesperrte Summe könne nicht gleichgesetzt werden mit dem um ein Vielfaches höheren russischen Gesamtvermögens in der Schweiz, erläuterte kürzlich Erwin Bollinger vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) vor den Medien. Nicht alle sanktionierten Personen hätten Gelder in der Schweiz, und nicht jede russische Person, die in der Schweiz Vermögenswerte besitzt, stehe auf der Sanktionsliste.
Einige Kantone stellen sich quer
«Beim Verstecken von Vermögen stand die Schweiz über Jahrzehnte stramm aufseiten der Russen», kommentierte der «Tages-Anzeiger» nach der Lancierung einer internationalen Taskforce, die weltweit versteckte Oligarchenvermögen aufspüren soll. In der Tat scheint es so, dass man sich in der Schweiz teilweise schwertut, aktiv nach dem Vermögen sanktionierter Oligarchen zu suchen.
So schätzte die Steuerverwaltung Zürich gegenüber dem «Tages-Anzeiger» ein, aufgrund des Steuerregimes «wenig attraktiv» zu sein für Personen, die potenziell von Sanktionen betroffen sein könnten. Die Steuerverwaltung Bern sehe sich gar nicht in der Pflicht, nach sanktionierten Vermögenswerten zu suchen. Das obliege eher Banken, Vermögensverwaltern und Grundbuchämtern, die entsprechende Gelder und Liegenschaften verwalten oder beaufsichtigen.
Die Finanzdirektion des Kantons Zug teilte auf Anfrage von blue News knapp mit, dass diesbezüglich «im Moment noch viele Fragen offen sind und dass Abklärungen verschiedenster Art laufen». Diese wolle man nicht über die Medien kommentieren, bevor mehr Klarheit herrsche, heisst es in der schriftlichen Antwort von Regierungsrat Heinz Tännler.
Kommt Berns politischer Wille in den Kantonen an?
Zur Person
Bild: zVg
Wirtschaftsrechtsprofessor Peter V. Kunz ist geschäftsführender Direktor am Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Bern und war von 2015 bis 2020 Dekan der juristischen Fakultät.
Dabei hatte der Bundesrat in einem wegweisenden Entscheid bereits Ende Februar erklärt, die Schweiz schliesse sich den EU-Sanktionen vollauf an. Die entsprechende Ukraine-Verordnung trat am 4. März in Kraft. Die Frage ist also: Ist der politische Wille aus Bern auch in allen Behörden und Ämtern angekommen?
Wirtschaftsrechtsprofessor Peter V. Kunz erklärt im Gespräch mit blue News: «Ich denke, auf Bundesebene ist das schon angekommen.» Man könne nicht generell sagen, die Ämter und Behörden seien zurückhaltend, wenn es darum geht, sanktionierte Vermögenswerte zu finden und zu melden.
Kunz sagt aber auch: «Wir wissen in diesem Zusammenhang von zwei wichtigen Kantonen, Zug und Graubünden, in denen sich die Steuerbehörden gesperrt haben und sagen, dass die Ukraine-Verordnung nicht für sie gelte.»
Seco-Sprecher Fabian Maienfisch verweist darauf, dass die Schweiz die bisherigen vier Sanktionspakete der EU vollständig übernommen und «in Rekordzeit umgesetzt» hat. «Die (ganze oder teilweise) Übernahme von EU-Sanktionen muss gemäss Embargogesetz immer durch den Bundesrat beschlossen werden», so Maienfisch weiter. Dadurch erfolge sie zeitlich etwas verzögert. Im Übrigen entscheide die Schweiz «selbstständig darüber, inwiefern sie sich Sanktionen der EU anschliesst; es besteht diesbezüglich kein Automatismus.»
Umsetzen, was in der Verordnung steht
Dennoch: Dass diese Steuerämter in den Kantonen Zug und Graubünden tatsächlich ein Problem haben, findet Peter V. Kunz überraschend. «Sie müssen umsetzen, was in der Verordnung steht.» Sämtliche Behörden, neben den Steuerbehörden auch die Grundbuchämter in Bezug auf Grundstücke und Handelsregister im Hinblick auf Unternehmer, müssten ihre Datenbanken mit der Liste der sanktionierten Personen abgleichen, «beziehungsweise hätten es schon längst getan haben müssen».
Auch vom Seco heisst es unmissverständlich: «Falls ein kantonales Steueramt im Rahmen seiner Tätigkeit Grund zur Annahme hat, dass Gelder oder sonstige Vermögenswerte im Eigentum oder unter der Kontrolle einer sanktionierten Person stehen, muss das Steueramt diesen Umstand dem Seco melden. Das Seco wird daraufhin den Sachverhalt direkt abklären und die erforderlichen Massnahmen treffen.»
Kunz geht davon aus, dass die meisten Kantone diese Aufgabe bereits erledigt haben, die anderen «können sich aber nicht herausreden und sagen: Die Verordnung gilt nicht für uns».
Pauschal könne man den Behörden dennoch nicht den Schwarzen Peter zuschieben. Zumal in der Politik gerade weitergehende Forderungen nach aktiven Nachforschungen gestellt werden: «Es sollen rückwirkend auch Tatbestände untersucht werden, die vor dem Inkrafttreten der Ukraine-Verordnung erfolgt sind. Das müssen die Behörden aus juristischer Sicht ganz klar nicht. In einem Rechtsstaat müssen sie die geltenden Gesetze anwenden.» Für aktive Nachforschungen jedoch müsste das Parlament erst eine gesetzliche Grundlage schaffen.
Die Russen spielen wirtschaftlich eine grosse Rolle
Die Schweiz sperrt nicht zum ersten Mal ausländische Vermögenswerte, doch im Fall der Russland-Sanktionen scheint es mehr zu harzen als sonst. Das fällt auch Peter V. Kunz auf. «Vermögenssperren und Meldepflichten gibt es seit Jahrzehnten.»
«Die Massnahmen im Zusammenhang mit der Ukraine sind aufgrund der Geschwindigkeit und des Umfangs eine besondere Herausforderung», erklärt Fabian Maienfisch vom Seco dazu.
Dass es zurzeit schwieriger läuft mit der Umsetzung, erklärt auch Wirtschaftsjurist Kunz mit dem höheren Aufwand im Vergleich zu früheren Situationen: «Es geht schliesslich um mehr als 900 sanktionierte Personen. Das kann für ein kleines Grundbuchamt durchaus ein erheblicher Aufwand sein. Aber diesen Aufwand müssen wir betreiben.» Wenn ein Kanton sage, er habe die 900 Abklärungen in einem knappen Monat nicht geschafft, «dann läuft etwas falsch».
Ein weiterer Grund könnte sein, dass es bei den Sanktionen jetzt um eine Nation geht, die wirtschaftlich durchaus eine wichtige Rolle für die Schweiz spielt, wie Kunz erklärt. «Wenn man früher Vermögenswerte für Venezuela oder den Iran gesperrt hat, dann war das wirtschaftlich relativ unbedeutend für die Schweiz und die Kantone. Aber die Russen spielen natürlich – gerade im Bündnerland, in St. Moritz und anderen Gemeinden – eine grosse Rolle.»
Dies nicht nur wegen der hinterlegen Gelder: «Sie geben auch viel Geld aus. Wesentlich mehr als Schweizer, die dort leben.» Es sei durchaus vorstellbar, «dass die Behörden, um zahlungskräftige Klientel nicht zu verprellen, mit eher minimalistischem Aufwand vorgehen».
Oligarchen-Taskforce wäre Augenwischerei
Ob die Schweiz wegen der teilweise schleppenden Ermittlung von Vermögenswerten sanktionierter Russen einen Imageschaden erleidet? Peter V. Kunz bleibt gelassen: «Seien wir ehrlich: Die Schweiz wird im Nachhinein auf jeden Fall kritisiert werden, weil sie nicht macht, was andere Staaten machen. Was sie zu Recht nicht macht, wie ich anmerken möchte.»
So sei die Diskussion über eine Taskforce, wie es sie in anderen Ländern bereits gibt, blosse Augenwischerei, «um ein schlechtes Gewissen abzumildern». In der Sache allerdings werde sie wenig bringen. «Man muss ganz offen sagen: Die Jagd auf Oligarchen wird Putin nicht zum Einlenken bringen.» Sie sei eher ein Signal, dass man etwas gegen Russland unternimmt, um das eigene Unvermögen bei wirksamen Sanktionen zu verdecken.
Wirklich harte Sanktionen, die Putin zum Einlenken bringen, wolle nämlich niemand ergreifen: «Ganz einfach, weil ein Importverbot von russischem Öl und Gas die Bevölkerung schmerzen würde. Die Schweiz könnte es sogar noch eher verkraften, aber Deutschland etwa hätte ein echtes Problem.»
Schweiz sperrte bisher russiche Gelder in Höhe von 5,75 Milliarden Franken
Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine hat die Schweiz bisher Gelder und Vermögenswerte in der Höhe von 5,75 Milliarden Franken gesperrt. Darin enthalten sind auch Liegenschaften in den Tourismuskantonen. Diese Zahl bestätigte Erwin Bollinger,Leiter des Leistungsbereichs Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen im Staatssekretariat für Wirtschaft SECO am Donnerstag.
24.03.2022