Ökonomen im Dilemma«Die Massnahmen der Notenbanken beissen sich»
Von Andreas Fischer
24.3.2023
Zinsen rauf, Inflation runter: Doch im Kampf gegen die Teuerung geraten Banken in Turbulenzen. Das ist ein Dilemma für Notenbanken. Konjunkturforscher Jan-Egbert Sturm erklärt, was sie nun tun müssen.
Von Andreas Fischer
24.03.2023, 06:35
24.03.2023, 09:32
Von Andreas Fischer
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) bleibt auf die Bekämpfung der Inflation fokussiert: Im vierten Zinsschritt in Folge hat sie den Leitzins um 0,50 Prozentpunkte auf 1,50 Prozent erhöht. Auch die Federal Reserve Bank der USA und die Europäische Zentralbank (EZB) stemmen sich mit einer Serie von Zinserhöhungen gegen die Inflation.
Während die Inflation trotz der Zinsentscheide hoch bleibt, haben sie durchaus Auswirkungen auf den Finanzsektor: Die Bankenturbulenzen der letzten Wochen sind auch eine Folge der steigenden Zinsen. Sowohl Inflation als auch trudelnde Banken bedrohen die Wirtschaft: Doch die Gegenmassnahmen widersprechen sich fundamental.
Wirtschaftsexperte Jan-Egbert Sturm von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich erklärt im Interview, ob die Notenbanken nun vor einer unlösbaren Aufgabe stehen, an welchen Schrauben die SNB noch drehen kann und warum die hohen Inflationsraten bald automatisch zurückgehen.
Zur Person
Keystone
Jan-Egbert Sturm ist ordentlicher Professor für Angewandte Wirtschaftsforschung und gleichzeitig Direktor der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich.
Steigende Zinsen sind nötig, um die Inflation einzudämmen, sorgen andererseits für Turbulenzen im Bankensektor: Was können Zentralbanken gegen dieses Dilemma tun?
Im Prinzip das, was sie bereits machen: In Einzelfällen eingreifen, wenn es grosse Probleme bei Banken gibt. Sie können ja nicht einfach die Inflationsrate immer weiter steigen lassen. Gesamtwirtschaftlich betrachtet brauchen wir jetzt höhere Zinsen und eine restriktivere Geldpolitik. Wenn dadurch vereinzelt gewisse Banken in Schwierigkeiten geraten, müssen Lösungen gefunden werden. Dafür wurden Systeme installiert, die das Schlimmste verhindern sollen.
Wie schwierig ist es für die Zentralbanken derzeit, Geldpolitik zu machen?
Die Zentralbanken müssen abwägen, um die Finanzstabilität zu gewährleisten. Richtig ist, dass sich ihre Massnahmen derzeit ein wenig beissen. Wobei auch gesagt werden muss: Die Probleme durch steigende Zinsen betreffen bei Weitem nicht den gesamten Bankensektor.
Problematisch wird es nur für Geldhäuser, die ihre Zinsgeschäfte so aufgestellt haben, dass der Zinsanstieg eine Abschreibung, also Verluste, mit sich bringt. Das ist nicht bei jeder Bank der Fall. Im Gegenteil: Für einige sind steigende Zinsen sogar ein Vorteil. Wir haben in der Schweiz lange darüber diskutiert, dass die Banken durch die langjährigen Negativzinsen kaum noch Margen hatten. Das ändert sich jetzt mit normalen Zinsen wieder.
Welche Banken bekommen eher Probleme?
Betroffen sind vor allem Banken, die mit Finanzprodukten handeln. Wenn sie sich nicht gut abgesichert haben, kann das jetzt teuer werden. Banken, die vor allem Kredite vergeben und Geld auf Sparkonten verwalten, sollten keine grösseren Probleme bekommen. Ganz gefeit sind sie natürlich auch nicht.
Apropos: Welche langfristigen Effekte erwarten Sie wegen der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS für die Schweizer Volkswirtschaft?
Wenn aus zwei Grossbanken eine noch grössere Grossbank wird, kann das international gesehen die Position der neuen Bank stärken. Grösse kann auch ein Asset sein. Aus Sicht der UBS muss die Übernahme also nicht per se schlecht sein und auch für den Finanzplatz Schweiz nicht.
Allerdings: Die Schweiz hat jetzt einen erheblichen Reputationsschaden erlitten. Eigentlich sind wir ja bekannt als stabiles Land, in dem das Geld sicher ist: Wenn die Schweiz allerdings negativ in den Schlagzeilen ist, ist das für den Ruf nicht förderlich. Mittel- bis langfristig kann das durchaus negative Konsequenzen nach sich ziehen. Konkret lassen diese sich aber jetzt noch nicht abschätzen.
Die SNB hat heute die Zinsen erhöht: Dabei ist die Inflation in der Schweiz auch dank des starken Frankens tief im Vergleich zum Ausland. Könnte die SNB nicht hier den Hebel ansetzen?
Das kann sie durchaus und hat es auch schon gemacht. Sie hat in den letzten Monaten und Quartalen eher Devisen verkauft als angekauft. Damit hat die SNB den Franken gestärkt, um die importierte Inflation von der Schweiz tief zu halten.
Ist das Schrauben an der Geldmenge ganz allgemein ein Ansatz, um die Inflation zu bekämpfen, anstatt die Zinsen zu erhöhen?
Wenn die Zinsen erhöht werden, holt sich der Bankensektor weniger Liquidität von den Zentralbanken. Dadurch schrumpft die Geldmenge tendenziell. Funktioniert die Zinsschraube nicht, dann können Zentralbanken durch ihr Ankaufverhalten selbst die Liquidität im Markt regulieren. Beide Massnahmen sind konzeptionell vergleichbar und haben einen ähnlichen Effekt: Die Banken werden bei Zinsanstiegen oder durch die Reduzierung der Geldmenge im Markt weniger Kredite an die Privatwirtschaft vergeben. Dadurch beruhigen sich Wirtschaft und Preisdynamik.
Nun erhöhen die Zentralbanken schon seit Monaten die Zinsen, um die Inflation einzudämmen: Warum haben sie damit bislang keinen Erfolg?
Sie haben durchaus Erfolg damit beziehungsweise werden ihn haben. Inflation ist ein sehr langwieriges Phänomen: Wir vergleichen für die Berechnung der Inflationsrate die aktuellen Preise mit denen des Vorjahres. Aus diesem Grund werden wir wahrscheinlich erst in den nächsten Monaten einen Rückgang der Inflationsraten sehen. Das liegt auch daran, dass die Zentralbanken die Zinsen erhöht haben. Diese Massnahme hat nämlich auf verschiedene Art und Weise Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung.
Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?
Es gibt viele verschiedene Mechanismen, die dafür sorgen, dass die Inflationsrate nicht weiter steigt, sondern eher sinkt. Ein ganz wichtiger Punkt ist die Erwartungshaltung. Wenn die SNB, die EZB, die Federal Reserve und andere Zentralbanken auf der Welt die Zinsen erhöhen, dann senden sie damit ein klares Signal aus: «Wir werden alles tun, um die Inflation zu bekämpfen.» Die Wirtschaftsakteure glauben dann – hoffentlich – daran und passen ihr Verhalten an.
Ein Unternehmen muss seine Preise festlegen: Es macht einen Unterschied, ob es glaubt, dass die Inflationsrate in Zukunft hoch oder niedrig sein wird. Die Zentralbanken versuchen, mit den Zinsentscheiden dafür zu sorgen, dass die Unternehmen von einer sinkenden Inflationsrate ausgehen: Das ist ein indirekter Erwartungskanal.
Diese Massnahme hat aber auch direkte Auswirkungen. Wenn die Zinsen erhöht werden, wird das Sparen attraktiver. Wir konsumieren dann weniger, was wiederum die wirtschaftliche Dynamik verlangsamt. Durch das veränderte Konsumverhalten kann ein Preisdruck entstehen. Weil es schwieriger wird, Gewinne zu erwirtschaften, kann eine wirtschaftliche Beruhigung stattfinden.
Welche weiteren Möglichkeiten gibt es, um die Inflation zu bekämpfen?
Neben der direkten Liquiditätssteuerung und der Zinspolitik ist die Glaubwürdigkeit ein wichtiger Kanal. Das Festhalten der Zentralbanken an ihren Zielsetzungen sorgt dafür, dass wir einen Anker haben, wenn es um Inflationserwartungen geht: Wir hoffen, dass die derzeit deutlich überhöhte Inflationsrate ein temporäres Problem sein wird.
Für die hohe Inflation wurden vor allem die hohen Energiepreise verantwortlich gemacht. Die sind merklich gesunken, trotzdem bleibt die Inflation hoch: Warum?
Das hängt einerseits damit zusammen, wie die Inflation gerechnet wird: Wie erwähnt, handelt es sich dabei immer um einen Vorjahresvergleich. Gegenüber dem Vorjahr sind die Preise immer noch relativ hoch, auch wenn sie aktuell nicht mehr so stark steigen.
Wichtiger als dieser technische Grund ist jedoch, dass die Erhöhungen der Energiepreise Zweit- und Drittrundeneffekte haben. Für verschiedene Unternehmen ist Energie dauerhaft teurer geworden und wird nicht auf das alte Niveau zurückkehren. Sie geben die höheren Kosten dauerhaft an die Konsumenten weiter.
Die Inflationsrate verbreitet sich dadurch stärker in der Basis, in einer Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen, als es anfangs der Fall war. Durch diesen Prozess müssen wir jetzt durch, und es wird noch eine Weile dauern, bis dieser Effekt verschwindet.
Wenn die Inflationsraten im Vergleich zum Vorjahr berechnet werden, müssten sie in den nächsten Monaten automatisch zurückgehen, weil das Preisniveau im Vorjahr schon ziemlich hoch war, oder?
So ist es. Wir haben bei der Inflationsberechnung ein technisches Phänomen, das dafür sorgt, dass die hohen Teuerungsraten ein Jahr später fast automatisch verschwinden müssten.
Billiger wird es aber nicht wieder, oder?
Richtig, nur die Inflationsrate nimmt ab. Das Preisniveau bleibt hingegen hoch.
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