Jagdgesetz«Die grüne Welle rollt weiter» – wie Umweltschützer nachlegen wollen
Von Gil Bieler
29.9.2020
Das Jagdgesetz haben die Umweltschutzverbände gebodigt. Jetzt wollen sie rasch eine neue Revision anstossen, um den Artenschutz auszubauen. Beim Bauernverband hingegen sieht man keinen Grund zur Eile.
Auch wenn das Stimmvolk das revidierte Jagdgesetz am Sonntag mit 51,9 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt hat, ist das letzte Wort zu Wolf-, Herden- und Artenschutz noch nicht gesprochen. Denn die Umweltschutzverbände halten den Status quo für unbefriedigend. «Wir haben nun die Chance, nachzubessern», sagt Urs Leugger Eggimann, Zentralsekretär von Pro Natura Schweiz, auf Anfrage von «blue News». «Das Stimmvolk hat klargemacht, dass ihm der Schutz von Wildtieren am Herzen liegt.»
Die Abstimmungssieger wollen nun rasch eine neue Revision des Jagdgesetzes aufgleisen. Ziel müsse es sein, bedrohte Arten zu schützen, die Biodiversität zu stärken und einen pragmatischen, artgerechten Umgang mit dem Wolf zu ermöglichen, fasst Leugger Eggimann zusammen.
Der Zürcher Ständerat Daniel Jositsch (SP), der Teil des Nein-Komitees war, hat bereits angekündigt, in der Wintersession im Parlament entsprechende Vorstösse einbringen zu wollen. Man will dabei auch das Gespräch mit Jagdverbänden und der Landwirtschaft suchen.
Wo soll nachgebessert werden?
Doch in welchen Punkten sollte sich ein zweiter Anlauf konkret von der nun gescheiterten Revision unterscheiden? Dazu nennt Leugger Eggimann eine ganze Reihe von Forderungen.
Erstens dürften über die Regulierung von geschützten Arten nicht die Kantone entscheiden, sondern wie bis anhin der Bund. Zweitens müsse die vorgesehene Möglichkeit für den Bundesrat, geschützte Arten auf die Liste der regulierbaren Arten zu setzen, gestrichen werden. Und drittens dürfte ein Abschuss bei geschützten Arten wie dem Luchs oder Biber nur möglich sein, wenn diese effektiv grosse Schäden angerichtet hätten. «Einen präventiven Eingriff lehnen wir klar ab.»
Entgegenkommen will man den Abstimmungsverlierern beim Wolf. «Dort müssen wir eine pragmatische Lösung finden, wie die Bestände reguliert werden können», sagt Leugger Eggimann. Ansetzen könne man etwa bei der Schadensschwelle, ab der ein Wolf zum Abschuss freigegeben werden kann, oder bei der Definition von problematischem Verhalten. Jedoch müsse der Wolfsbestand erhalten und die Familienstrukturen der Tiere intakt bleiben.
Bauernverband sieht keinen Grund zur Eile
Beim Schweizerischen Bauernverband – der am Sonntag auf ein Ja gehofft hatte – sieht man dagegen keinen Grund zur Eile: «Für uns gilt jetzt einfach weiterhin das geltende Gesetz», hält Urs Schneider, stellvertretender Direktor des Bauernverbands, auf Anfrage fest.
Aus Sicht der Landwirtschaft steht im Vordergrund, dass die Regulierung des Wolfes erleichtert wird. Ob dies gleich in der Wintersession angepackt werden muss, da ist Schneider skeptisch: «Vielleicht wird den Leuten besser vor Augen geführt, wo die Probleme mit dem Wolf liegen, wenn wir zuwarten und der Bestand noch weiter anwächst», erklärt er.
An der präventiven Regulierung des Wolfsbestandes will Schneider festhalten. Dafür müsste man wohl auch «hohe Hürden» akzeptieren, wie sie bereits das abgelehnte Gesetz vorgesehen habe. Ob ein Entscheid über einen Abschuss in die Kompetenz des Bundes oder der Kantone fallen solle, darüber lasse sich diskutieren.
«Die grüne Welle rollt weiter»
Der Abstimmungssonntag hat gezeigt: Die Umweltschutzverbände sind zu einem nicht zu unterschätzenden Akteur in der Politik geworden. Sie fuhren eine ihrer bisher teuersten Kampagnen und setzten nach eigenen Angaben gut zwei Millionen Franken ein.
«Die grüne Welle rollt weiter», sagt Lukas Golder, Politologe und Co-Leiter des Forschungsinsituts gfs.bern, gegenüber «blue News». Die emotionale Debatte rund um das Jagdgesetz habe umweltaffine Personen gerade aus den städtischen Räumen motiviert, ihre Stimme abzugeben. Genau diese Kreise hätten auch in grosser Zahl an den letztjährigen Parlamentswahlen teilgenommen, die in einem Sieg des links-grünen Lagers endeten. Konservative und SVP-nahe Wählerinnen und Wähler dagegen seien damals eher zu Hause geblieben.
Können die Umweltschutzverbände nun noch weiter auf dieser Welle surfen? Entsprechende Projekte sind jedenfalls schon vorgespurt: So haben mehrere NGOs Anfang Monat zwei Volksinitiativen eingereicht, mit denen die Biodiversität gefördert und das Bauen ausserhalb von Bauzonen gestoppt werden sollen.
Auf diesen Initiativen liege in nächster Zeit der Fokus von Pro Natura, sagt Urs Leugger Eggimann: «Dafür braucht es erneut ein grosses personelles und finanzielles Engagement sowie die Bereitschaft vieler Freiwilligen, sich für diese Herzensangelegenheit zu engagieren.» Doch auch im Abstimmungskampf um die Pestizidinitiative wolle man sich einbringen, da diese ebenfalls der Förderung der Artenvielfalt diene.
Bauernverband sieht sich für Abstimmungskampf gerüstet
Die Pestizidinitiative stammt von der Stiftung Future3 und fordert ein Verbot von synthetischen Pestiziden in der Schweiz. Auch der Import von Lebensmitteln, die mithilfe solcher Mittel hergestellt werden, soll untersagt werden.
Beim Bauernverband stösst das Begehren auf Ablehnung. Man rechne auch hier mit viel Gegenwind von Umweltschützern, sei aber gewappnet, sagt Urs Schneider: «Wir werden die Lehren aus der Abstimmung über das revidierte Jagdgesetz ziehen und eine engagierte Kampagne führen.» Er rechnet sich gute Chancen aus, die Pestizidinitiative bei einer Volksabstimmung – die im kommenden Jahr erwartet wird – zu bodigen; insbesondere, weil auch das Ständemehr erforderlich sei. «Unsere Chancen sind intakt», ist sich Schneider sicher.
«Zurzeit tickt die politisch bewegte Schweiz etwas linker und etwas grüner», sagt Politologe Golder. Er gibt aber zu bedenken: «Über lange Zeit betrachtet ist es viel schwieriger, mit einer Initiative eine Mehrheit zu überzeugen als bei einem Referendum gegen ein Gesetz.» Es wird also spannend zu sehen, wie weit die grüne Welle trägt.