BürgerdienstVerhilft knappes Kampfjet-Ja neuen Ideen zu Aufwind?
Von Anna Kappeler
28.9.2020
Der Volksentscheid zu neuen Kampfjets ist denkbar knapp ausgefallen – Gegner stellen nun die Armee als Institution in Frage. Könnten Visionen wie ein Bürgerdienst für Frauen und Männer mehrheitsfähig werden?
Die Strategie war riskant – und sie wäre um ein Haar nicht aufgegangen. Die Kampfjet-Befürworter und auch Verteidigungsministerin Viola Amherd selber haben die Abstimmung vom Sonntag zu einer «Alles oder nichts»-Frage gemacht. Ohne neue Kampfjets keine Luftwaffe und, je nach Interpretation, auch keine Armee mehr.
Schliesslich hat es doch noch gereicht – wenn mit 50,1 Prozent Ja-Stimmen auch nur haarscharf. Amherd hat gestern vor den Medien klar darauf hingewiesen, dass das knappe Ja nichts am zeitlichen Beschaffungsplan des Bundesrates ändere. Demokratie heisse, dass die Mehrheit entscheide, und das respektiere sie, so Amherd. Auch ein knappes Ja sei ein Ja.
Die angedrohte Volksinitiative der GSoA (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee) könne sie deshalb nicht abwarten, sagte Amherd weiter. Die GSoA will mit einer Volksinitiative den Kauf der Flugzeuge doch noch verhindern, gibt aber keine Einzelheiten dazu bekannt.
Die Landesregierung und die Kampfjet-Hersteller starten jetzt in die heisse Phase des Beschaffungsgeschäftes.
Für die Gegner ist gleichwohl klar: Man darf jetzt nicht einfach zur Tagesordnung zurückgehen. Sie werten das knappe Ergebnis auch als Grundsatzkritik an der Armee.
«Das Stimmvolk will zwar die Armee noch nicht ganz abschaffen, aber weniger Geld für schwere Waffen wie Kampfjets oder Panzer ausgeben», sagt Lewin Lempert, der Sekretär der GSoA (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee). Diese «Aufrüstungsfantasien» seien spätestens seit gestern komplett veraltet. «Die Armee muss endlich im Jahr 2020 ankommen.»
«Das Verständnis von ‹Sicherheit› entwickelt sich weiter»
Diese letzte Aussage der GSoA teilt auch der Westschweizer Verein ServiceCitoyen.ch, der eine Volksinitiative zur Einführung eines Bürgerdienstes plant. «Das Abstimmungsresultat zeigt es deutlich: Das Verständnis von ‹Sicherheit› entwickelt sich weiter», sagt deren Co-Präsidentin Noémie Roten.
Die Idee eines Bürgerdienstes taucht immer wieder einmal in der Politik auf: eine Dienstpflicht an der Allgemeinheit. Ein Dienst also, der je nach Auslegung auch für Frauen sowie für Ausländerinnen und Ausländer mit einer unbefristeten Aufenthaltsbewilligung gelten soll.
Die Frage, wie die Sicherheit in der Schweiz zu gewährleisten sei, ist für Roten auch angesichts der neuen Herausforderungen wie Cyberbedrohungen, Klimawandel oder Epidemien vieldeutig. Mit der Initiative wolle man der Frage nachgehen, wie die Sicherheit auf allen Ebenen gewährleistet werden und was die künftige Rolle der Armee dabei sein solle, «militärisch wie zivil.»
Die Idee eines Bürgerdienstes hat bereits letzte Woche und somit noch vor dem Abstimmungsresultat Auftrieb im Parlament bekommen. Die FDP-Fraktion will ebenfalls einen ähnlichen Bürgerdienst, weil «die persönliche Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am Sicherheitssystem ein wesentlicher Vorteil der Schweiz in allen Lagen» sei, wie es in dem Vorstoss heisst.
Die Bestände von Armee und Zivilschutz müssten gemäss Vorstellungen der FDP garantiert sein. Und die Fraktion fokussiert auf die Bedürfnisse der Sicherheitspolitik. Falls das Parlament den Vorstoss annimmt, müsste der Bundesrat Rahmenbedingungen für diese Idee schaffen.
Kann neuen Herausforderungen begegnet werden?
Einen Bericht zum selben Thema verfassen muss der Bundesrat auch wegen eines Postulats der Ständerats Beat Vonlanthen (CVP/FR) von letztem Jahr. Dieses hat der Ständerat inzwischen angenommen – die Vorlage genoss Unterstützung von links bis rechts. Der Auftrag an den Bundesrat: Prüfen, ob mit einem Bürgerdienst den neuen gesellschaftlichen Herausforderungen begegnet werden kann – und das Milizsystem gestärkt würde.
Die Details und Auswirkungen eines solchen Dienstes sind allerdings noch sehr unklar. Im Auftrag des Bundesrates hat eine Arbeitsgruppe bereits zwischen 2014 und 2016 Vorschläge für Neuerungen des Dienstpflichtsystems ausgearbeitet. Im Schlussbericht hat die Gruppe neben anderen auch das Modell eines Bürgerdienstes genannt.
Das alles zeigt: Die Idee eines Bürgerdienstes hat Aufwind. Das knappe Abstimmungsresultat zu den Kampfjets und die Ankündigung der Gegner, dem Bundesrat nun während der Beratung dazu im Parlament stark auf die Finger zu schauen, könnte – unabhängig von der Kampfjet-Beschaffung – eine Chance für neue Visionen wie einen Bürgerdienst sein.
Noch ein weiter Weg
Noch allerdings ist der Widerstand dagegen stark: Die GSoA etwa will davon nichts wissen. Und auch der Zivildienstverband CIVIVA findet, die Ausweitung eines zivilen Dienstes soll jedoch auf freiwilliger Basis geschehen und nicht durch eine Erweiterung der Dienstpflichtigen. Gleichwohl zeige das «knappe Abstimmungsergebnis zu den Kampfjets und die Ablehnung der Zivildienstverschärfungen im Parlament vom Juni, dass das Dienstpflichtsystem überdacht und zivile Einsätze gestärkt» werden müssen.
Gegen eine Prüfung eines Bürgerdienstes sei nichts einzuwenden, sagte Alexander Krethlow, Generalsekretär der Regierungskonferenz für Militär, Zivilschutz und Feuerwehr, schon vor einem Jahr zu «blue News». Er ist der Mann, der die Interessen der Kantone in Bundesbern vertritt. Doch stellen sich für Krethlow grundsätzliche Fragen: «Gibt es einen umfassenden Bedarf für diesen Systemwechsel? Wie viel kostet dieser Wechsel? Ist dieser überhaupt erlaubt?»
Das ist der Zeitplan für neue Kampfjets
November 2020: Bis dahin müssen die vier Kampfjet-Anbieter Lockheed Martin, Boeing, Daussault und Airbus beim Bund ihre zweite und letzte Offerte einreichen.
Sommer 2021: Der Bundesrat trifft einen Typenentscheid.
2022: Das Parlament entscheidet im Rahmen der Armeebotschaft – die 6 Milliarden kommen aus dem Armeebudget, welches dafür schrittweise erhöht wird – über den vom Bundesrat ausgewählten Typ.