Energiekrise Darum reichen volle Gasspeicher allein nicht aus

Von Gabriela Beck

8.9.2022

Kugelgasbehälter in Marienpark, Berlin. Dreiviertel ihrer Gaslieferungen bezieht die Schweiz aus Deutschland.
Kugelgasbehälter in Marienpark, Berlin. Dreiviertel ihrer Gaslieferungen bezieht die Schweiz aus Deutschland.
Bildagentur-online/Universal Images Group via Getty Images

Die Schweiz besitzt keine eigenen Gasspeicher und ist auf Importe aus Deutschland angewiesen. Dessen Speicher sind gut gefüllt. Das ist aber kein Grund zur Entwarnung. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Gabriela Beck

Obwohl die Lieferungen aus Russland erneut stocken, konnte Deutschland seine Gasspeicher schneller auffüllen, als zuletzt befürchtet. Laut Gesetz müssen die Speicher bis zum 1. November 2022 zu 95 Prozent gefüllt sein. Das Zwischenziel, am 1. Oktober einen Füllstand von 85 Prozent aufzuweisen, wurde nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums bereits Anfang September erreicht. EU-weit gilt das Ziel, die Gasspeicher bis zum 1. November zu mindestens 80 Prozent zu füllen. Auch dieses Ziel wurde EU-übergreifend bereits erreicht.

Das sind gute Nachrichten für die Schweiz, die über keine eigenen nutzbaren Gasvorkommen verfügt und vollständig von Importen abhängig ist. Dreiviertel ihrer Gaslieferungen bezieht die Schweiz aus Deutschland. Gas macht aber nur etwa 15 Prozent des nationalen Energieverbrauchs aus. Können sich die Schweizer Bürger*innen nun also entspannt zurücklehnen? Eine Einordnung im Frage-Antwort-Format:

Wie wichtig ist Erdgas für die Schweiz?

Etwa die Hälfte des in die Schweiz importierten Erdgases stammt aus Russland. Erdgas wird in der Schweiz hauptsächlich zur Wärmeerzeugung genutzt. In mehreren Schweizer Städten werden zwischen 40 und 65 Prozent der Wohnungen mit Gas beheizt, etwa jeder fünfte Haushalt ist schweizweit betroffen. Gas spielt also in der Energieversorgung der Schweiz zwar nicht die zentrale, aber durchaus eine wichtige Rolle.

Welche Rolle spielen die Gasspeicher?

Die Gasspeicher sind in erster Linie als Puffer bei schwankenden Lieferungen gedacht. Es ist also nicht so, dass sie bis zur Heizperiode aufgefüllt werden und dann den Winter über das benötigte Gas zur Verfügung stellen. Dafür reicht ihre Speicherkapazität nicht aus. Die deutschen Speicher sind zwar die grössten in Europa, mit einem Volumen von 245 Terawattstunden können sie den deutschen Bedarf aber nur für zwei bis drei Monate abdecken, geschweige denn den Bedarf für die Schweiz und weitere Abnehmer wie etwa Polen.

Bekommt die Schweiz auch im Krisenfall Gas aus Deutschland?

Um die Gasflüsse auch im Krisenfall abzusichern, arbeitet der Bundesrat an einem Gas-Solidaritätsabkommen mit Berlin. Doch die Verhandlungen ziehen sich hin. Die Schweiz solle für das Abkommen mit Deutschland auch die Regeln des EU-Binnenmarktes übernehmen, deutete der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck gegenüber CH Media an. Darüber hinaus bestehen bei den Verhandlungspartnern auch Differenzen betreffend die Streitschlichtung. So habe Deutschland der Schweiz vorgeschlagen, dass im Streitfall der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheide, berichten die CH-Media-Zeitungen. Die Schweiz wolle jedoch den EuGH nicht akzeptieren und schlage ein bilaterales Schiedsgericht vor.

Aus welchen Ländern bezieht die Schweiz sonst noch Gas?

Neben Deutschland bezieht die Schweiz Gas aus den Niederlanden, Frankreich und Italien. Doch auch diese Länder kämpfen mit Lieferengpässen und einer drohenden Gas-Mangellage.

Verfügt die Schweiz über Gasreserven, um einen Lieferengpass zu überbrücken?

Zwar müssen die Erdgas importierenden Unternehmen ein Pflichtlager einrichten, das bei Mangellagen für viereinhalb Monate ausreichen soll. Weil die Schweiz jedoch keine Gasspeicher hat, werden diese Pflichtlager in Heizöl angelegt. Bau und Betrieb wären gemäss der Branche viel zu teuer. Begründet wird das mit den sogenannten Zweistoffanlagen. Sie werden in der Industrie eingesetzt und sind mit beiden Energieträgern funktionstüchtig. Die Privathaushalte hat man dabei nicht berücksichtigt – denn eine Gasheizung oder ein Gaskochherd funktionieren nun mal nur mit Gas.

Wie sieht die Lage beim Strom aus?

In den Sommermonaten produziert die Schweiz mehr Strom, als sie verbraucht – hauptsächlich mittels der 682 Wasserkraftwerke und der vier Atomkraftwerke. Im Winter reduziert sich die Wasserkraftproduktion. Dann muss die Schweiz Strom aus den Nachbarländern importieren, hauptsächlich aus Frankreich und Deutschland. Frankreich produziert seinen Strom hauptsächlich über Kernkraft. Rund die Hälfte seiner AKWs steht derzeit jedoch still – aufgrund von Wartungsarbeiten, die während der Pandemie verschoben wurden. Deutschland wiederum generiert seinen Strom zu Teilen aus Gas. Während einer Gas-Mangellage würde das Land wohl auch weniger Strom exportieren. Eine weitere Problematik: Die Schweiz ist nicht Mitglied der EU und seit dem Scheitern des Rahmenabkommens mit Brüssel bestehen Befürchtungen, dass die EU den Stromhahn zudrehen könnte, falls der Strom knapp wird.

Kommt es im Winter zum Blackout?

Experten halten einen Stromausfall in der Schweiz für sehr unrealistisch. Zu dessen Vermeidung hätte der Bund zum Beispiel auch die Möglichkeit zu verfügen, dass Industrieanlagen gedrosselt werden müssen. Darüber hinaus hat die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte am Montag einen Verpflichtungskredit für subsidiäre Finanzhilfen zur Rettung systemkritischer Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft von zehn Milliarden Franken und einen Nachtrag von vier Milliarden Franken bewilligt.