Die Abhängigkeit von russischem Gas hat die Schweiz in eine schwierige Lage gebracht. Doch warum sollst du deshalb deine Wohnung nur noch auf 19 Grad aufheizen dürfen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Von Herbert Aichinger
01.09.2022, 17:58
Von Herbert Aichinger
Putin dreht willkürlich am Gashahn – das stellt auch die Schweiz vor Probleme.
Laut Jahresstatistik 2021 des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie Gazenergie wird Gas hierzulande hauptsächlich zur Wärmeerzeugung genutzt – dazu zählt das Heizen von Räumen ebenso wie die Warmwasser-Aufbereitung für Küche und Bad, aber auch die Bereitstellung von Prozesswärme für Industrie, Verkehr und den Dienstleistungssektor. Mit einem Anteil von 40 Prozent zählen Privathaushalte beim Gas zu den wichtigsten Konsumenten in der Schweiz.
Gas-Engpässe in der kalten Jahreszeit vermeiden – beim Energiesparen sind alle gefragt
Gazenergie verkündete zwar Ende August, dass «sowohl bei der Gasreserve in den Speichern wie auch bei der Schaffung von Optionen […] die Zielsetzungen erreicht werden» konnten. 20 Prozent des Schweizer Winterverbrauchs an Gas – etwa 6 TWh – könnten durch Lieferungen aus Deutschland, Frankreich und Italien gedeckt werden – allerdings seien hierfür noch zwischenstaatliche Vereinbarungen nötig.
Sparziel: 15 Prozent – was sich mit ein paar Grad weniger Raumtemperatur erreichen lässt
Zu den Zielsetzungen des Bundesrats gehört, die Schweizer Bürgerinnen und Bürger zu motivieren, bis zu 15 Prozent Energie in ihren Haushalten einzusparen. Energie-Expertin Léonore Hälg von der Schweizerischen Energiestiftung wies bereits im Mai bei SRF darauf hin: «Pro Grad, das man weniger heizt, können 6 bis 7 Prozent Energie eingespart werden.» Damit liesse sich mit einer Verringerung der Raumtemperatur um 2 Grad der Bedarf an Gasimporten bereits um 12 bis 14 Prozent reduzieren.
Energiekrise zwingt zum Überdenken bisheriger Heizempfehlungen
Als ein Gas-Notstand noch kein Thema war, propagierte der Schweizer Mieterinnen- und Mieterverband noch ein «Recht auf eine 20 Grad warme Stube». Laut ungeschriebener Regel müsse die Raumtemperatur mindestens 20 Grad betragen, ansonsten liege ein Mangel vor, der einen Anspruch auf eine Mietzinsreduktion begründen würde.
In ihren Wintertipps für 2020 empfahl die Bundesfachstelle Energie Schweiz für Wohn- und Aufenthaltsräume einen Richtwert von 20 Grad, fürs Schlafzimmer 17 Grad und fürs Bad 23 Grad.
In der Energiekrise stellt sich die Situation nun komplexer dar: Noch ist nicht endgültig geklärt, ob eine Energiemangellage den Staat dazu berechtigt, Privathaushalte beim Heizen mit Gas zu Einschränkungen zu verpflichten.
Sondervorschriften zum Gesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung könnten hierfür den Weg ebnen, falls sich der Gas-Notstand nicht durch Handlungsempfehlungen auf freiwilliger Basis beheben liesse.
Auch stichprobenmässige Polizeikontrollen zur Einhaltung von Heizvorschriften sind für den Fall eines extremen Energiemangels denkbar.
Warum gelten 19 Grad zu Hause und im Büro als die ideale Sparlösung?
Während in Schweizer Kantonen und Interessenverbänden noch über die Umsetzung von Massnahmen zur Einsparung von Heizenergie aus Gas diskutiert wird, werden in Deutschland die Raumtemperaturen seit dem 1. September bereits heruntergeregelt: In öffentlichen Gebäuden gilt eine maximale Raumtemperatur von 19 Grad. Auch Heizvorschriften von Vermietern zu Mindesttemperaturen über 19 Grad werden durch die Energiesparvorschriften vorerst bis zum 28. Februar 2023 ausser Kraft gesetzt.
Bei Gas-Engpass darf nur noch auf 19 Grad geheizt werden
Mit Blick auf den drohenden Gasmangel im kommenden Winter hat der Bundesrat am Mittwoch zwei Verordnungsentwürfe in die Konsultation geschickt. Dabei geht es einerseits um das Verbot, Gas für bestimmte Zwecke zu verwenden, andererseits um eine mögliche Kontingentierung.
31.08.2022
Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland erläuterte Heinz-Jörn Moriske, Innenraumexperte und Direktor im deutschen Umweltbundesamt, den Hintergrund der 19-Grad-Regelung: Für das Wohlbefinden und die Gesundheit wären in Innenräumen 20 bis 22 Grad optimal. Bei Temperaturen unter 19 Grad würde jedoch bereits die Anfälligkeit für Erkältungen und Infekte steigen.
Auch in der Energiekrise Räume nicht auskühlen lassen
Trotz allen Energiesparwillens: Eine zu starke Absenkung der Innenraum-Temperatur bedroht nicht nur die Gesundheit, sondern kann auch Schäden in der Gebäudesubstanz zur Folge haben.
Selbst wenn du nicht aktiv bist und nur schläfst, gibst du mit deinem Atem laufend Feuchtigkeit an die Luft ab. Sind die Räume der Wohnung im Winter zu kühl, kondensiert die Feuchtigkeit an den Wänden. Dies begünstigt die Schimmelbildung – auf Dauer kann Schimmel Gebäude komplett unbewohnbar machen.
Zusätzlich verursachen die Sporen giftiger Schimmelpilze in Wänden und Möbeln bei Mensch und Tier weitere schwere, mitunter lebensbedrohliche gesundheitliche Beeinträchtigungen zum Beispiel durch Asthma und andere Atemwegsbeschwerden.
Verzicht auf Heizen kann richtig teuer werden
Von der leerstehenden Zweitwohnung bis zum ungenutzten Gästezimmer: Gerade angesichts der aktuellen Energiespar-Appelle liegt es nahe, in den Wintermonaten nur die Bereiche des Hauses zu beheizen, die man auch tatsächlich bewohnt. Ein gefährlicher Trugschluss.
Extreme Minus-Temperaturen unter 0 Grad können zum Einfrieren schlecht gedämmter Gas- und Wasserleitungen führen und diese womöglich zum Platzen bringen. Wasserschäden, hoher Stromaufwand zum Trocknen der durchfeuchteten Böden und Wände sowie enorme Reparaturkosten sind die Folge. Deshalb ist unbedingt darauf zu achten, dass die Temperatur auch in ungenutzten Räumen möglichst nicht unter 15 Grad absinkt.
Beim Energiesparen durch Absenken der Raumtemperatur in Gebäuden sind uns enge Grenzen gesetzt. Aber die empfohlenen 19 Grad bilden einen sinnvollen Kompromiss, der Gesundheit, Gebäude und die Gasreserven gleichermassen schont.